Landtagswahlen am 8. Oktober
Mission „Fünf Prozent“: ÖDP-Spitzenduo drängt in den Landtag

24.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:40 Uhr

Mit 100 Prozent gewählt: Agnes Becker und Tobias Ruff führen die ÖDP als Spitzenkandidaten in die Landtagswahl. Foto: altrofoto.de

Selbstbewusster Start in die heiße Phase des Landtagswahlkampfs: Agnes Becker und Tobias Ruff sehen die ÖDP als einzig wahre Ökopartei. Auch CSU-Wählern bieten die beiden frisch gekürten Spitzenkandidaten eine neue politische Heimat.



100 Prozent Zustimmung – kein einziges Nein, auch keine Enthaltungen: Agnes Becker und Tobias Ruff starten mit größtmöglichem Rückhalt der rund 300 Delegierten als Spitzenduo der ÖDP in die Landtagswahl. Der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, der seit Gründung der Partei in den 1980er-Jahren unermüdlich, aber bisher vergeblich versucht wurde, soll dieses Mal gelingen. „Wir wollen rein in diesen Landtag“, ruft Becker am Samstag beim Landesparteitag in Regensburg in den Saal − und hat sogar einen Wunsch-Kabinettsposten im Blick. Die Tierärztin und Nebenerwerbslandwirtin aus dem Landkreis Passau, die sich vor vier Jahren als Frontfrau des erfolgreichen Bienen-Volksbegehrens einen Namen gemacht hat, würde zu gerne Michaela Kaniber als Landwirtschaftsministerin ablösen.

Ruff: 10 bis 15 Prozent der Wähler heimatlos



Noch ungehobenes Stimmenpotenzial sehen die beiden Spitzenkandidaten, die auch Co-Parteichefs sind, genug. „10, 15 Prozent der Wähler wandern hin und her und fühlen sich heimatlos“, schätzt Ruff die politische Lage gut drei Monate vor dem Wahltermin ein. Der 46 Jahre alte Stadtrats-Fraktionschef aus München zielt auf enttäuschte Grünen-Wähler speziell in den Großstädten, die wie er selbst der Überzeugung sind, dass überall dort, wo Grüne mitregieren, bei der Energie- und Verkehrswende nicht wirklich etwas vorangeht. Becker möchte wiederum querbeet je mindestens ein Prozent aus den Reservoirs der CSU, der Freien Wähler, der SPD samt Linken sowie der Gruppe der Nichtwähler abknapsen.

Bei der FDP, die nach aktuellen Umfragen um den Wiedereinzug in den Landtag bangen muss, könnten nach Beckerscher-Rechnung sogar drei Prozent abgeschöpft werden. Denn die Liberalen setzten im Bund gerade „das CSU-Elend in der Verkehrspolitik erfolgreich fort“. Eine Stimme für die FDP sei deshalb „zukunftsgefährdend“.

Fünf Botschaften in nur drei Wörtern



Die Salven auf den politischen Gegner werden von den Delegierten mit stehendem Applaus belohnt. Die Augsburger Werbeagentur „m&m“ hat der ÖDP für die Stimmenjagd ein Plakat-Konzept mit fünf „Drei-Wörter-Botschaften“ geschneidert. Das Poster „Arten ohne Sterben“, das bald an vielen Straßen zu sehen sein wird, schmückt eine Biene – es soll Wähler an das Volksbegehren erinnern, das der ÖDP viel Auftrieb gab. „Wirtschaft ohne Wachstumsplan“, „Green ohne Washing“, „Partei ohne Filz“ und „Alternative ohne Rechts“ sind weitere Slogans, mit denen sich die ÖDP als Gegenentwurf zur politischen Konkurrenz positionieren will.

Streitschrift zum Wachstum



Auch ein Dutzend Forderungen für die ersten Wochen nach einem Einzug in den Landtag ist schon fix: Bayern soll Forschungsstandort für „Postwachstumsökonomie“ werden – das Fach beschäftigt sich mit einer Wirtschaft, für die Wachstum nicht mehr das Nonplusultra ist und trifft damit auch den Markenkern der ÖDP. Er lässt sich grob mit „Weniger ist mehr“ umschreiben. Becker, Ruff und das Regensburger ÖDP-Urgestein Bernhard Suttner haben dazu auch eine Streitschrift verfasst, die ab Juli im Buchhandel zu haben ist. Titel: „Wir haben genug. Warum das gute Leben jenseits von Konsumismus, Wachstumswahn und Überfluss liegt“. Die Stapel, die vorab beim Parteitag für Delegierte bereit stehen, finden reißenden Absatz. Im Verzicht könne die großartige Chance auf persönlichen Gewinn liegen, sagt Suttner.

Zum Dutzend an Forderungen zählt natürlich weit mehr – so sollen etwa alle Forderungen des juristisch gescheiterten „Radentscheids Bayern“ umgesetzt, alle wichtigen Moorlandschaften im Freistaat wiederhergestellt und mindestens 30 Prozent Bio-Lebensmittel in allen öffentlichen Kantinen eingeführt werden. Familiäre „Care-Arbeit“ will die ÖDP besser honoriert wissen. Die Staatsregierung soll zudem durch einen Tierschutzbeauftragten komplettiert werden.

Bei CSU verortet Becker Selbstherrlichkeit



Becker läutet am Samstag mit Angriffen auf die CSU die heiße Phase des Landtagswahlkampfs ein. Jedem, der sich „mal schön aufregen mag“, legt sie als Lektüre das CSU-Landtagswahlprogramm ans Herz, das für sie in vielen Passagen „unverhohlene Selbstherrlichkeit“ verströmt. „Bayern ist spitze. Wir sind Spitze“, sei auch sonst bei Terminen von Vertretern der CSU wie auch der Freien Wähler in jedem ersten, zweiten und dritten Satz zu hören, spöttelt die 42-Jährige. Bei der Windkraft stimme das aber unter anderem nicht. Da sei der Freistaat Schlusslicht. Die Verantwortung macht Becker an CSU-Chef Markus Söder fest. Sie würde sich einen Ministerpräsidenten wünschen, „der Manns genug ist, zu sagen, in der Energiepolitik haben wir Fehler gemacht", sagt sie.