Bestsellerroman fürs Kino verfilmt
Diese Leidenschaft ist nicht zu stillen: „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“

11.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:46 Uhr

Felix Kramer als Henner und Marlene Burow als Maria in einer der starken Liebesszenen des Films. 22 Jahre Altersunterschied herrschen zwischen diesen Charakteren. −Foto: Pandora Film/dpa

Der Film führt ins Irgendwo auf dem Land im Sommer: Die 18-jährige Maria (Marlene Burow) sehnt sich nach mehr als dem Einerlei zwischen Wald und Flur. Sie flüchtet sich in eine von hemmungslosem sexuellen Begehren geprägte Liebe zu dem 22 Jahre älteren Bauern Henner (Felix Kramer). Doch er kann ihr Verlangen auf Dauer nicht stillen. Es kommt zu einer Katastrophe.

Erfolgsregisseurin Emily Atef („3 Tage in Quiberon“, „Mehr denn je“) hat sich mit der Verfilmung des 2011 erschienenen Bestsellers „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ von Autorin Daniela Krien viel vorgenommen. Die Geschichte einer von sexueller Gier dominierten Lovestory, einer Amour Fou, soll die Probleme im Osten Deutschlands in der sogenannten Wendezeit spiegeln. Dem Roman gelingt das mit einer erzählerischen Dichte, die dem Film trotz mehr als zwei Stunden Dauer fehlt.



Nicht allein das belastet die Kinoversion. Gravierend ist auch, dass Maria im Buch erst 16 ist. Das sorgt für enorme Spannung. Die Veränderung ihres Alters auf im Film zunächst 18 und am Ende 19 Jahre nimmt dem Stoff viel Brisanz und beschädigt die Figur. Denn sie handelt nicht wie eine Erwachsene, sondern kindlich-trotzig. Obendrein fehlen einige im Roman fein gezeichnete persönliche und gesellschaftliche Hintergründe. Dadurch hat die Geschichte gehörig an Dringlichkeit verloren.

Die lastende Schwüle des Sommers wird in opulenten Bildern spürbar. Sie symbolisieren die Schwere eines Lebens voller lähmender Routinen. Das ist für Momente wirkungsvoll. Doch auf Dauer drängt sich die simple Frage auf, warum Maria nicht längst das Weite gesucht hat. Der Film gibt keine Antwort. Er verrät auch nicht, wieso sie ausgerechnet diesen Bauern Henner begehrt.

Das zunächst alle Vernunft ausblendende körperliche Miteinander des ungleichen Paares zeigt Regisseurin Emily Atef kraftvoll. Marlene Burow und Felix Kramer überzeugen in den Sex-Szenen. Wobei es Felix Kramer mit ausdrucksstarker Mimik sogar gelingt, neugierig auf die Geschichte Henners zu machen, sein früheres Leben, die Gründe, warum er ein derart gebrochener Charakter ist. Leider wird die Neugier nicht befriedigt.

Am Rande gibt es Momentaufnahmen vom komplizierten Leben im Osten Deutschlands nach dem Zusammenbruch des Honecker’schen Sozialismus. Betriebe verschwinden, Arbeitslosigkeit grassiert, der Alkoholmissbrauch steigt an, Hoffnungslosigkeit macht sich breit. In wenigen Szenen schafft es beispielsweise Jördis Triebel in der Rolle von Marias Mutter eindringlich ein Frau zu zeigen, deren Welt schmerzvoll aus den Fugen geraten ist.

Die wenigen, aber gelungenen Skizzen sozialer und psychologischer Folgen der politischen Ereignisse des Herbstes 1989 für viele Menschen in der nun nicht mehr existierenden DDR machen den Film bemerkenswert. Sie prägen sich stärker ein als die im Zentrum stehende Liebesgeschichte. Als künstlerisches Zeugnis der jüngsten deutschen Vergangenheit bietet der Film also durchaus einige Denkanstöße.

Peter Claus


Deutschland/Frankreich 2023, von Emily Atef, mit Marlene Burow, Felix Kramer, Jördis Triebel, 132 Minuten, frei ab 16 Jahren