Klassik
Joana Mallwitz als neue Chefdirigentin der Staatsoper: Was ist dran an dem Gerücht?

23.04.2024 | Stand 26.04.2024, 11:55 Uhr
Marco Frei

Kunstminister Markus Blume strebt angeblich für Deutschlands größtes Opernhaus eine deutliche Verjüngung an und will Dirigentin Joana Mallwitz nach München holen. Foto: Albert, dpa

Die 37-Jährige gab ihr Debüt in der Konzertreihe am Nationaltheater München. Auch Kunstminister Markus Blume saß im Publikum. In der Landeshauptstadt wird Mallwitz bereits als Nachfolgerin von GMD Vladimir Jurowsky gehandelt.

Ihr Statement im Vorfeld hat nicht viel gebracht. Auf das Gerücht, wonach sie Vladimir Jurowski als Generalmusikdirektor (GMD) der Bayerischen Staatsoper in München beerben könnte, äußerte sich Joana Mallwitz überrascht. Sie habe davon aus den Medien erfahren. Ein Gespräch mit dem bayerischen Kunstministerium habe es nicht gegeben, zitierte zuletzt eine Zeitung aus Österreich das Umfeld der deutschen Dirigentin.

Trotzdem war jetzt am Montag das Nationaltheater in München rappelvoll, als Joana Mallwitz beim Bayerischen Staatsorchester das 5. Akademiekonzert der Saison leitete. Draußen vor den Toren des ehrwürdigen Kunsttempels standen viele Menschen und suchten händeringend nach einer Karte. Alle wollten „die Mallwitz“ hören. Nun hatte die 37-Jährige zwar seit 2018 wiederholt an der Bayerischen Staatsoper dirigiert, aber noch kein Akademiekonzert.

Im Rahmen dieser Reihe des Bayerischen Staatsorchesters war es ihr Debüt. Schon im März 2020 hätte diese Premiere stattfinden sollen, wurde aber pandemiebedingt abgeblasen. Jetzt war der Druck auf Mallwitz gewaltig. Alle Augen, das gesamte Interesse, war am Montag nur auf sie gerichtet. Besonders auffallend: Auch Kunstminister Markus Blume (CSU) wurde im Nationaltheater gesichtet.

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Es scheint also doch irgendetwas dran zu sein an dem Gerücht, dass Mallwitz den aktuellen Staatsopern-GMD Vladimir Jurowski spätestens 2028 beerben könnte. Klar ist: Bislang hat das Kunstministerium weder den Vertrag von Jurowski, noch den Vertrag von Staatsopern-Intendant Serge Dorny verlängert. Ihre aktuellen Verträge laufen 2026 aus. Und: Das Kunstministerium kennt Mallwitz sehr gut. Von 2018 bis 2023 wirkte die gebürtige Hildesheimerin als GMD am Staatstheater in Nürnberg.

Schon in dieser Funktion hatte Mallwitz international viel Aufsehen erregt und das Haus nach vorn gebracht. Dafür wurde sie gerade zur Ehrendirigentin der Staatsphilharmonie Nürnberg ernannt. Seit Herbst wirkt Mallwitz als Chefdirigentin am Konzerthaus in Berlin. Eine Sensation war ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen im Sommer 2020: Sie war dort die erste Frau überhaupt, die die Premiere einer Opern-Neuproduktion dirigierte, Mozarts „Così fan tutte“.

Die Musik Mozarts zählt zu ihren Spezialitäten, das offenbarte sich auch im Nationaltheater. Die „Linzer Sinfonie“ Nr. 36 KV 425 kam wohltuend frisch und beschwingt daher, mit fließenden Tempi und ohne Romantisierung. Mozart ist eine wichtige Feuerprobe, denn: Er zählt, mit Richard Wagner und Richard Strauss, zu den Hausgöttern der Bayerischen Staatsoper.

Mit Mozart hatten bereits viele Staatsopern-GMDs teils gewaltige Probleme, auch Kirill Petrenko. Der Mozart von Jurowski war schon deutlich besser, aber: An die Frische von Mallwitz reicht das nicht heran.

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Nach der Pause gab es mit Peter Tschaikowskys Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“ ein Werk aus dem hochromantischen Kernrepertoire, und auch hier agierte Mallwitz hellhörig, mit straffen Tempi. Statt mit sentimentaler Larmoyanz auf die Tränendrüse zu drücken, wurde Tschaikowsky vom Klischee eines Über-Pathos’ befreit. Das ist schon sehr viel. Nun mag man streiten, ob Mallwitz’ ausgeprägtes Gefuchtel samt balletthaften Tanzeinlagen auf die Dauer erquickend ist, aber: Das Staatsorchester griff ihre Impulse konzis auf. Sie wirkte vor allem im Umgang weitaus angenehmer als der bisweilen mit kühler, auch autoritärer Arroganz auftretende Jurowski.

Seit seinem Amtsantritt in München 2021 hat es Jurowski nicht geschafft, das Staatsorchester geschlossen hinter sich zu vereinen. Die Stimmung im Orchester war selbst unter Kent Nagano nicht derart schlecht wie bei ihm. Er ist nicht wirklich angekommen, und dafür ist er selbst verantwortlich.

Wer macht also am Ende das Rennen? Mallwitz – oder auch eine ganz andere Persönlichkeit? Tatsache ist, dass Antonio Pappano schon bei der Nachfolge von Petrenko auf der Wunschliste stand. Im Repertoire ist der Italiener so breit und stilsicher aufgestellt, wie es weder Jurowski noch Mallwitz sind. Hochinteressant ist zudem die Sänger-Dirigentin Nathalie Stutzmann: Ihr Debüt bei den Bayreuther Festspielen 2023 wurde umjubelt.

Orchester muss mitreden dürfen



Eines steht fest: Auch das Bayerische Staatsorchester muss künftig entscheiden können, wer GMD wird. Es ist absolut unzeitgemäß und künstlerisch unverantwortlich, dass diese Entscheidung bislang das Kunstministerium allein fällen kann: quasi von oben herab. Hier muss sich etwas ändern, und zwar schnell.

Und Jurowski? Ob er nun in München bleibt oder geht: An seinem zwischenmenschlichen Auftreten sollte er arbeiten. Beide, Jurowski und Mallwitz, sind – noch – keine Dirigenten der absoluten Weltspitze, aber: Im Kernrepertoire bewegt sich Mallwitz insgesamt sicherer und stilgerechter als Jurowski. Das hat sie schon in Nürnberg bewiesen.

An einem weltweit führenden Opernhaus wie München fällt das umso mehr ins Gewicht. Hier liegt der Schwerpunkt eben nicht auf Schattengewächsen des Repertoires oder der Moderne, wo Jurowski bleibende Ergebnisse gelingen. Das glanzvolles Kernrepertoire steht hier im Zentrum. Auch Dorny hat das noch nicht umfassend begriffen. Wer das nicht verinnerlicht, ist jedoch an der Bayerischen Staatsoper faktisch fehl am Platz.