„Mir ist so nach Burleske und Maskerade“
Mit „Alles Schwindel“ feiert eine Revue aus dem Jahr 1931 ihre Wiederauferstehung

21.05.2023 | Stand 21.05.2023, 21:27 Uhr

Alles Maskerade, bis auf Eveline und Tonio: Die Darsteller Franziska Sörensen, Jonas Julian Niemann, Natascha Weigang & Joscha Eißen. Foto: Tom Neumeier Leather

Von Peter Geiger

Regensburg. Die Figur des Hochstaplers, sie hat wieder Saison: Donald Trump steht zwar nicht im Verdacht, Doktorarbeiten zu fälschen. Als US-Präsident aber hat er gefühlt 30000 mal die Unwahrheit behauptet. Gerade deshalb ist nicht auszuschließen, dass er von seiner Partei erneut nominiert wird.

Wenn sich also das Theater Regensburg entschließt, die 1931 im Theater am Kurfürstendamm uraufgeführte musikalische Burleske „Alles Schwindel“ des Komponisten Mischa Spoliansky und seines Librettisten Marcellus Schiffer im Antoniushaus Regensburg knallbunt zu inszenieren, dann ist das nicht nur eine in ihrer Überfälligkeit groteske Züge tragende Wiederbelebung eingesargten Revue-Materials. Nein, nein, das zielt auch hochpräzise auf unseren Zeitgeist.

Kraftvolle Comic-Bilder

Den wiederum einzufangen, das ist das Bestreben von Schauspieldirektorin Antje Thoms. 2015 bereits hat sie das Erfolgsduo inszeniert und dem Deutschen Theater in Göttingen „Zwei Krawatten“ umgebunden, und somit viel mehr als eine Hommage auf den ersten großen Erfolg der Marlene Dietrich vorgelegt. Hier im Antoniushaus, in Begleitung des sechsköpfigen Orchesters unter Thomas Basy (der als Dirigent wie Pianist brilliert und dem als Grundlage nur ein kommentierter Klavierauszug zur Verfügung stand), setzt sie auf kraftvolle Comic-Bilder. Sämtliche Figuren dieser schnell erzählten und ebenso rasend in Szene gesetzten Love-Story sind so vordergründig maskenhaft geschminkt (Ausstattung: Jan Hendrik Neidert und Lorena Diaz Stephens), dass man meinen könnte, sie wären einem Stück Pop-Art von Roy Lichtenstein entsprungen. Nur die beiden Zentralfiguren Eveline (Natascha Weigang) und Tonio (Jonas Julian Niemann), sie zeigen ihr wahres Antlitz.

Per Annonce geben sie sich als Erben reicher Industriellenfamilien aus. Nach zwischenzeitlichem Outing als arme Kirchenmäuse und einem Automobil-Crash aber stellen sie fest: Ihre Gefühle füreinander, sie sind ebenso wahrhaftig wie ihre Herkunft aus reichem Hause. Und bedürfen keiner Maskerade.
Waren wir als Publikum zunächst noch – bitte die Buchstaben 8 und 9 beachten! – im „Velodream“ zu Gast, einem Ort, an dem lose Begegnungen in feste Beziehungen umgemünzt werden sollen, wechselt die Szenerie bald hinüber in eine Verbrecherkneipe. Die heißt deshalb „Pinke“, weil hier die Aussicht besteht, Perlenketten auf Pump und Abzahlung zu finanzieren. Gleichzeitig ist sie so pinkfarben gehalten, dass auch Platz ist, für Freddie Mercury als Schmutzmache-Frau Krutschke wie auch den durch einen ins Gesicht geschminkten Blitz in David Bowie und Ziggy Stardust gespaltenen Saxophonisten. Aus der Zeit gefallene Figuren? Nein, nein – so erklärt es der in Regensburg lebende Schiffer-Biograph Viktor Rotthaler: Ein völlig zulässiger Zugriff auf die Ideenwelt des Librettisten. Der liebte es, „mit Bruchstücken zu hantieren“ und „diese comichaft zu montieren“. Nachdem Marcellus Schiffer 1932 freiwillig aus dem Leben geschieden war, rief Herbert Ihering diesem „Mann von Nerven und Witz“ nach: „Die Zeit scheint nur noch grobe Talente zu behalten!“ Mischa Spoliansky aber überlebte den Naziterror.

Musikalisch zart angepasst

Revuen wie „Alles Schwindel“ lagen zeitgenössisch im Trend und boten Unterhaltung für breite Schichten. Berlin hatte importierte Prunk-Revuen satt, stattdessen sehnte sich das Publikum, wie man zeitgenössisch lesen kann, nach Jazz und „nach Witz, Inhalt, Verve und Elan der Musik des Wortes und der Darstellung“. Genau diesen Anspruch konserviert diese auch musikalisch zart dem Gegenwartsgeschmack angepasste Revue – auch, weil das zehnköpfige Schauspiel-Ensemble musikalisch perfekt geschult wurde und bei mehrstimmigen Gesangseinsätzen Erinnerungen an die „Comedian Harmonists“ weckt!