Interview
Empathie gehört zu gutem Benehmen

Amélie Gräfin von Montgelas ist „Die Benimmgräfin“. Seit 2005 gibt sie auf Schloss Gerzen Seminare und Coachings.

13.08.2018 | Stand 16.09.2023, 5:55 Uhr
Angela Sonntag

Amélie von Montgelas bietet seit 2005 als „Die Benimmgräfin“ Kurse und Seminare zu richtigem Benehmen, Stil und Etikette an. Foto: Sonntag

Gleich zu Beginn die Frage, die sich für den Anfang anbietet: Wie begrüße ich richtig? Mit Handschlag? Grüß Gott? Geht eigentlich das „Hallo“?

In Bayern gilt für uns auf alle Fälle das „Grüß Gott“. Das „Hallo“ finde ich nicht wirklich richtig. Ich gebe zudem immer den Tipp: Sagen Sie am Morgen ein schönes, freundliches „Guten Morgen“, am Abend wünschen Sie „Guten Abend“ und zwischendrin geht immer „Guten Tag“ oder „Grüß Gott“. Das „Hallo“ hat sich leider immer mehr eingebürgert. Dabei kommt es schlicht von der Erfindung des Telefons, als man den ersten Test gemacht hat, ob es funktioniert. Da riefen sie „Hallo“ durch die Leitung. Es ist also eher ein Testruf, in der Art: „Hallo, hören Sie mich“, als eine Begrüßung. Aber das werden wir im Alltagsgespräch wohl nicht mehr wegbekommen. In lockerer Gesellschaft hört man oft auch das verkürztere „Hi“. Das ist ebenso eine „Grußformel“, die man wirklich nur bei guten Bekannten anwendet. Wenn ich beim Italiener bin, sage ich schon auch mal „Ciao“, „Buon Giorno“ oder „Arrivederci“. Die Grußformel kann also an das Ambiente angepasst werden.

Wenn der Begriff „Knigge“ oder „Benimmregeln“ fällt, wird das oft als antiquiert und überholt abgetan. Wie reagieren Sie auf solche Meinungen?

Genau diese Personen, die Benimm als antiquiert abtun, können sich meist überhaupt nicht benehmen. Umgekehrt – was ich oft beobachte – diejenigen, die bei mir Seminare machen, haben meist schon sehr gute Manieren. Die sind so gut gerüstet, dass ich oftmals auch nachfrage, warum sie zu mir kommen. Woran es ihnen meist fehlt, sind korrekte Tischmanieren, und das lernen sie dann bei mir. Aber das sind Angewohnheiten, schlechte Angewohnheiten, wenn man so will, die man früh gelernt, oder eben nicht gelernt hat. Das ist allgemein bei uns in der Gesellschaft so und das werden wir auch nicht komplett ändern können. Umso schöner finde ich es, wenn es Menschen gibt, die sich dafür interessieren und Wert darauf legen und dann eben in ein Seminar kommen. Leider nicht alle. Ich beobachte das mit Entsetzen, wie manchmal im Restaurant die Leute „fressen“. Ich gehe unwahrscheinlich gerne mit jemandem essen, der Manieren hat. Das ist auch ästhetisch schön. Aber wenn jemand nicht einmal mit Messer und Gabel richtig umgehen kann, ist das traurig. Das sollte man als Kind schon lernen. Jimmys (siehe Geschichte auf Seite 2) kleine Cousine zum Beispiel ist sechs Jahre und kann schon sehr gut mit Messer und Gabel essen. Obwohl Chinesen ja hauptsächlich Stäbchen benutzen.

Für Sie gilt trotzdem: Gutes Benehmen geht über Tischmanieren hinaus. Was sind grundlegende Dinge, die jeder beherrschen sollte?

Grundlegende Dinge sind zum Beispiel: Jemand anderen nicht bloßstellen. Ich maßregele andere Menschen nicht in einer Gruppe. Despektierlich kritisieren ist sehr stillos. In Deutschland ist direkte Kritik üblich, aber das sollte man eher im Vier-Augen-Gespräch machen. Ebenso – das ist gerade jetzt bei den heißen Temperaturen sehr aktuell – kann ich einer anderen Person schon sagen, dass sie nach Schweiß riecht. Da haben viele ein Problem damit. Aber wenn ich jeden Tag in ein Büro muss und der Kollege oder die Kollegin riecht unangenehm, dann ist das nichts, was ich hinnehmen muss. Sollte ich die betroffene Person selbst nicht so gut kennen, kann ich auch eine mit ihr näher befreundete Person bitten, sie darauf anzusprechen. So etwas muss man sogar sagen, weil es die Betroffenen ja oftmals selbst nicht merken. Und dann ist es eher die Höflichkeit, dass man sie darauf hinweist. Mobbing dagegen geht gar nicht. Und nicht zuletzt gehört Empathie für mich zum guten Benehmen. Ebenso Hilfsbereitschaft.

Genau diese Personen, die Benimm als antiquiert abtun, können sich meist überhaupt nicht benehmen.Amélie Gräfin von Montgelas, Benimm-Coach

Pünktlichkeit ist ja auch immer so eine Sache. Was gilt als pünktlich?Da gibt es regionale Unterschiede. Bin ich in Deutschland um 15 Uhr eingeladen, da sollte ich auch um 15 Uhr da sein. Nicht früher, denn da könnte der Gastgeber noch in der Dusche stehen. Aber auch nicht später. Unsere Zeitangaben sind also sine tempore und nicht cum tempore zu verstehen. Anders ist das beispielsweise in Frankreich. Pünktlich heißt da 15 Minuten später, also mit dem klassischen akademischen Viertel.

Wie sieht es mit der Sprache aus? Wann ist formelle Sprache gefordert, wann darf ich beispielsweise auch Dialekt sprechen?Da gilt, wenn mein Gegenüber Dialekt spricht, dann kann ich natürlich im Dialekt antworten. Aber ich muss mich nicht verbiegen. Wenn ich es nicht kann, sollte ich es lassen.

Wie kann ich dann wiederum ein Gespräch höflich beenden?Bin ich unter Zeitdruck, kann ich klar die Wahrheit sagen, indem ich mich verabschiede und sage: „Tut mir leid, ich habe jetzt einen Termin.“

Und wenn ich beispielsweise auf einer Abendveranstaltung bin und merke, das Gespräch mit meinem Gegenüber ist sehr belangloser Smalltalk, wir unterhalten uns eigentlich schon sehr lange, aber die Person hört einfacht nicht auf zu reden?Sie wollen Ihr Gegenüber also loswerden? (schmunzelt)

Ja genau!Dann sagen Sie einfach: „Entschuldigen Sie vielmals, ich habe soeben dort drüben Herrn Huber gesehen, mit ihm muss ich heute unbedingt noch sprechen!“ Und schon sind Sie weg.

Welche Regel gilt für den Kaugummi?Oh Gott! Kaugummi ist für mich ein rotes Tuch. Kaugummi-kauende Schauspieler, die in einer Talkshow sitzen, sind für mich schrecklich. Das geht nicht. Kaugummi hat nichts verloren in einer Fernsehsendung, genauso wenig aber darf ich auch Kaugummi-kauend durch die Stadt gehen. Ich darf auch nicht wiederkäuend an der Kasse am Supermarkt stehen. Danach wird der Kaugummi ja oft auch noch auf die Straße gespuckt, damit der nächste reintritt. Also Kaugummi sollte man bitte einfach dezent einsetzen.

Wie sehen die Regeln zwischen Männern und Frauen aus? Wie weit geht die Emanzipation, wie weit darf ich Gentleman-Gesten des Mannes annehmen?Eine sehr gute Frage. Wenn ein Mann einer Frau in den Mantel hilft, dann darf und soll das auch die emanzipierteste Frau zulassen. Das ist eine sehr schöne Geste. Die Über-Emanzen sollen sich nicht so aufführen. Manchmal hört man dann Sätze wie: „Ich bin doch noch keine 80, dass du mir in den Mantel helfen musst!“ Das ist doch Quatsch. Jede Frau darf sich die Autotüre aufhalten lassen und sollte sich eher freuen, dass es noch Gentlemen gibt. Das darf man annehmen und genießen.

Wie sieht es dann in Sachen Komplimenten aus? Gerade mit der aktuellen #MeToo-Debatte hat man sich mit Komplimenten ja zunehmend auf dünnerem Eis bewegt. Was ist angemessen?Als Erstes müssen Komplimente echt sein. Und dann geht es darum, wie weit oder gut ich mein Gegenüber kenne. Ist mir derjenige fremd, sollte man sehr vorsichtig sein. Wenn Ihnen abends ein Mann auf einer Gala sagt: „Sie tragen aber ein sehr schönes Kleid“, ist das in Ordnung. Wenn er sagt: „Ihr Kleid hat einen schönen Ausschnitt“, dann nicht. Was überhaupt nicht geht, ist Berührung, also Antatschen. Genauso ist es mit Anstarren. Das ist ganz schlechtes Benehmen. Das gilt zum Beispiel auch, wenn man im Aufzug steht. Es gibt diese Menschen, die einen dann von oben bis unten mustern. Ich habe das vor Kurzem erst erlebt. Das ist absolut unhöflich, unangebracht und dreist.

Was ist für Sie der größte Stilbruch? Der schlimmste Fauxpas, den man begehen kann?Allgemein: Unhöflichkeit. Und bei Tisch: Wenn sich jemand das Essen reinschaufelt und dann mit vollem Mund spricht.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.