Beruf
Dorothea Liebl nimmt Hunden den Schmerz

Wenn die Leiterin der Tierphysiotherapie Haslbach in Regensburg genau hinschaut, zeigen ihr die Haustiere, wo es wehtut.

23.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:51 Uhr
Französische Bulldoggen wie Banshee sind anfällig für Bandscheibenvorfälle. Tierphysiotherapeutin Dorothea Liebl stärkt durch eine besondere Form der Tiefenmassage, der sogenannten Matrix-Rhythmus-Therapie, das Gewebe rund um zwei Keilwirbel. −Foto: Fotos: mt

Die Sache ist Noah nicht geheuer. Es stinkt nach Lavendel-Reinigungsmittel und riecht nach fremden Artgenossen. Zwar ist der Raum angenehm warm und der kleine Begrüßungs-Snack war lecker, aber jetzt fasst ihm die Frau auf einmal hinter die Ohren, beginnt seinen Nacken zu kneten und wandert dann immer weiter den Rücken hinunter – hin zu seiner empfindlichsten Stelle, der Hüfte.

Noah ist ein Gordon-Setter-Mischling. Und die Frau, die sich langsam an seinen Schmerzpunkt herantastet, ist Dorothea Liebl,Leiterin der Tierphysiotherapie Haslbach in Regensburg. Jedes ihrer 33 Lebensjahre hat sie mit Tieren an ihrer Seite verbracht und während ihrer Ausbildung deren Körper genau studiert. Trotzdem steht sie bei Noah – wie bei jedem Patienten – erneut vor einer großen Herausforderung: Der Kommunikation.

Liebl ist im Arbeitsalltag quasi dreisprachig unterwegs. Mit den Ärzten der im Gebäudeangeschlossenen Tierklinikdiskutiert sie in schonungslosem Klartext: „Diagnose Bandscheibenvorfall, Lähmung trotz OP, gibt es noch Hoffnung durch Physiotherapie?“ Gegenüber den Tier-Besitzern schlägt sie einen sensibleren Ton an. Sie muss sie trösten, psychologische Aufbauarbeit leisten und sie motivieren, selbstständig mit ihren „Sorgenkindern“ die Übungen zu machen, die sie ihnen bei den Sitzungen zeigt. Mit den Tieren selbst verständigt sich Liebl durch Berührung, Bewegung und Belohnung. Ihre einzige Chance ist es, die Signale der Tiere zu lesen. Als Hund kann Noah ihr schließlich nicht einfach sagen, wo es zwickt oder welche Behandlung er bevorzugt.

Bei dem Gordon Setter ist die Sache trotzdem sehr schnell eindeutig. Mit einer kurzen, unguten Bewegung hat er sich das sogenannte Kreuzbein-Darmbein-Gelenk verrenkt, das weiß Liebl bereits von Noahs Haustierarzt. Seither ist diese Verbindung zwischen Wirbelsäule und Hüfte blockiert.

Therapeutin leistet Detektivarbeit

Jeder Schritt schmerzt den Hund. Deutlich erkennbar war das schon bei der Begrüßung: Noah stellte beim Laufen sein rechtes Hinterbein unnatürlich aus. Als Liebl ihn jetzt auf dem Behandlungstisch abtastet, versteift er sich. Dann werden seine Augen groß, er zieht die Mundwinkel hoch, schmatzt und schaut weg. Die Therapeutin weiß jetzt genau, welche Bewegung sie mit Noah machen muss. Aber die wird ihm nicht gefallen.

Natürlich weiß Liebl nicht immer sofort, wo sie ansetzten muss. „Oft ist es eine richtige Detektivarbeit“, sagt sie. „Aber wenn man genau hinschaut, zeigen einem die Tiere, wo es wehtut.“ Zu Lautäußerungen wie Winseln oder Jaulen, die eine extreme Schmerzbelastung ausdrücken, kommt es äußerst selten. Normalerweise erhält Liebl wesentlich subtilere Zeichen: Ein Zucken, ein Schlecken, ein Gähnen. „Die Augenbewegung ist wichtig“, sagt sie. „Oft ist auch das Haarkleid verändert oder die Schmerzpatienten riechen strenger.“

Problem erkannt, heißt noch lange nicht Problem gelöst. Manchmal scheitert die Behandlung am Willen oder der Toleranz des Patienten. In der vergangenen Woche hat Liebl mit einer Senioren-Hündin trainiert. Nach zehn Minuten wurde die Atmung des Tiers auf einmal hektisch, der Kopf zuckte immer wieder zur Besitzerin. Liebl musste unterbrechen und zur Beruhigung mit dem Hund ins Freie gehen. Auch das ist ein Unterschied zur Humanmedizin: Die Therapeutin kann nicht immer tun, was gerade das Beste für den Patienten wäre. „Wenn der Hund sich stresst, muss man die Behandlung anpassen und langsamer aufbauen“, sagt Liebl. „Er muss von sich aus mitmachen, es als positiv empfinden.“

Manchmal hat sie aber auch Glück. Am Vormittag zeigte sich ein Kater namens Done überraschend therapiefreudig. Katzen mögen Wasser nicht sonderlich, auf Zureden seiner Besitzerin wagte sich dieser Kater aber ins Behandlungsbecken vor. Bei der Physiotherapie geht es nicht nur um Muskelentspannung, sondern auch um Muskelaufbau. Und dafür ist das Unterwasserlaufband gut. Done hatte infolge eines Autounfalls einen Bruch im Bereich der Hüfte, der nicht mehr abheilen wollte. Der Oberschenkelhals musste entfernt werden. Faktisch fehlt Done damit nun an einer Seite sein Hüftgelenk. Auf dem Laufband stärkt er bei dem Vormittagstermin zunächst mit sehr vorsichtigen, gegen Entlohnung mit Malzpaste dann aber durchaus auch energischeren Schritten, seine Muskulatur, damit sie die Funktion des fehlenden Gelenks übernimmt. Vier Minuten hält er es im Wasser aus. Seine Besitzerin ist stolz.

Halter geben viel Geld für Tiere aus

„Immer häufiger werden Haustiere zum Familienersatz“, sagt Liebl. Davon profitieren die gesamte veterinärmedizinische Branche und alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur, Osteopathie oder Physiotherapie, die erst in den vergangenen 15 Jahren für Tiere modern wurden. Einen Umsatz von 45 Millionen Euro machen die etwa 3000 deutschen Tierphysiotherapeuten durch die Behandlung von Heimtieren. Zu diesem Ergebnis kommteine 2014 veröffentlichte Studie der Universität Göttingen.

Dass die Deutschen dafür so viel Geld ausgeben, kommt auch Vierbeinern wie Jigger zugute. Noch im Herbst scheint das Schicksal des Terrier-Mischlings besiegelt. Er stürzt an einem Hang und schlägt mit dem Nacken auf. Als er wieder zu sich kommt, kann er den Kopf nicht mehr bewegen, seine Beine rutschen weg. „Im ersten Moment dachten wir: das war es. Wir müssen ihn einschläfern lassen“, sagt seine Besitzerin, Claudia Schlüter.

Die Diagnose der Ärzte in der Tierklinik Haar lautet schließlich: Schwere Rückenmarksprellung. Eine Neurologin empfiehlt die Tierphysiotherapie. „Am Anfang war Frau Liebl jeden Tag für uns da und das hat Jigger wohl gerettet“, sagt Schlüter. „Ich hätte das nie gedacht, aber dadurch hat er wirklich tägliche Fortschritte gemacht.“ Durch kontinuierliche Elektro-Tiefenmassagen schwillt die Prellung zügig wieder ab.

Obwohl die Physiotherapie für Tiere auf schulmedizinischen Ideen beruht, nehmen viele Ärzte und Patienten-Besitzer die Methode noch nicht ernst. Für höchstens zwei Prozent der bei einem Tierarzt behandelten Patienten wird eine anschließende Physiotherapie vereinbart, schätzt Liebl. Auch Fitnessprogramme für übergewichtige Haustiere bietet sie an, die Mehrheit ihrer Patienten leidet aber anProblemen wie Lähmungen, Arthrose oder Kreuzbandverletzungen. „Hat ein Tier chronische Schmerzen, geben viele Besitzer lieber Tabletten statt den langwierigen und oft auch kostspieligeren Weg einer Physiotherapie mit ihrem Tier zu beschreiten.“ Eine Standardbehandlung von 30 Minuten kostet in Haslbach 30 Euro.

Tiefenmassage für eine Bulldogge

Es sind nicht nur die betuchten Tierbesitzer, die sich eine Therapie leisten. Katharina Beck und Nicole Wenrich wissen, dass bei ihren vier Hunden Probleme mit dem Bewegungsapparat auftreten können: Boxer-Mischling Silas ist schon alt, Rottweiler Chino hat knöcherne Verwachsungen zwischen den Wirbeln. Und die beiden Französischen Bulldoggen Fausto und Banshee sind anfällig für Bandscheibenvorfälle. „Eine Operation wäre richtig teuer“, sagt Nicole Wenrich. „Deshalb machen wir lieber alle zwei Wochen einen Prophylaxe-Termin“. Heute ist Banshee dran. Liebl stärkt durch eine besondere Form der Tiefenmassage, der sogenannten Matrix-Rhythmus-Therapie, das Gewebe rund um zwei problematische Keilwirbel. Mit dem rüttelnden Kopf des stabförmigen Geräts fährt sie Banshees Wirbelsäule entlang. Die Bewegungen sollen bestimmte Zellverbände anregen, ihre Regenerationsfähigkeit steigern.

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Ob sie einmal viel Geld mit ihrem Beruf verdienen würde, war für Liebl nie wirklich relevant. Sie will mit Tieren arbeiten, nur das stand für sie nach dem Abitur fest. Durch den Bandscheibenvorfall eines Hundes, den sie zu dieser Zeit betreute, lernte sie eine Therapeutin kennen und entdeckte, dass sie selbst ein Händchen für die physikalische Heilmethode hat. Liebl recherchierte, hörte sich in Tierarztkreisen um und entschied sich für eine Ausbildung im Vierbeiner-Reha-Zentrum Bad Wildungen – unter anderem weil dort nur schon ausgebildete Tiermedizinische Fachangestellte oder studierte Tiermediziner lernen dürfen.

Jahre später – und um unzählige Übungen und Theoriestunden schlauer –arbeitet Liebl in Haslbach mit Hunden, Katzen, Kaninchen, eigentlich mit sämtlichen Kleintieren. „Privat hab ich aber auch schon mal eine Kuh massiert“, witzelt sie – gerade in dem Moment, in dem wesentlich mehr Feingefühl als bei so einem Großtier vonnöten ist.

Liebl hat sich derweil hinter den Gordon Setter Noah gesetzt. Sie greift an beide Hinterbeine und versucht das Gelenk mit leicht wippenden Bewegungen wieder zu mobilisieren, die Verkeilung zu lösen. Noahs Augen werden groß und als sein Gelenk dann plötzlich wieder in die richtige Position springt, ist der Schmerz noch einmal intensiv da. Sein Kopf zuckt hoch, ein Schlucken – mehr Zeit für eine Reaktion bleibt ihm nicht, denn es gibt schon wieder eine Belohnung. Dann geht es erst mal an die frische Luft.