Ukraine-Krieg
Die Aktion Tschernobyl gibt nicht auf

Die humanitäre Initiative aus dem Landkreis Schwandorf will ihr Netzwerk weiter für medizinische Hilfe in der Ukraine nutzen.

18.03.2022 | Stand 15.09.2023, 6:41 Uhr
Mit der Reaktor-Havarie fing alles an: Angelika und Josef Ziegler haben die Aktivitäten der Aktion Tschernobyl im Eingang ihres Hauses in Pfreimd auf großen Bildtafeln dokumentiert. −Foto: Hubert Heinzl

Eigentlich wollten sich Angelika und Dr. Josef Ziegler, so etwas wie Gesicht und Kopf der Aktion Tschernobyl aus Pfreimd, nach 31 Jahren humanitärer Hilfe zurückziehen. Der Verein, der medizinische Hilfsgüter im Wert von zig Millionen Euro in die Ukraine gebracht hat, sollte aufgelöst werden. Doch dann kam der Krieg, der seit 2014 im Donbass schwelte, mit voller Wucht in das Land. Am 24. Februar 2022 marschierten Putins Truppen in die Ukraine ein. Und Unterstützung ist nötiger denn je, besonders für die Krankenhäuser.

24 Hilfskonvois in die Ukraine haben Josef Ziegler (80) und seine Mitstreiter von der Aktion Tschernobyl seit 1991 organisiert, vielleicht hundert Mal hat der ehemalige BRK-Chefarzt aus Pfreimd das osteuropäische Land bereist – auch um sicherzustellen, dass die medizinischen Geräte nicht nur an der richtigen Stelle ankommen, sondern auch gewartet werden und dauerhaft betriebsbereit sind.

Hilfsgüter im Wert von „zig Millionen“

Ganze OP-Säle und Sterilisationsanlagengingen auf die rund 1700 Kilometer lange Reise. Seit dem Beginn des Kriegs in der Ostukraine 2014 startete die Aktion Tschernobyl allerdings keine eigenen Konvois mehr. Stattdessen wurden Speditionen vor Ort mit der Auslieferung betraut. Mit Corona endete auch dies. „Im Frühjahr 2020 wollte ich mit einigen Technikern in die Ukraine fliegen. Doch der Lockdown hat es verhindert. Im Dezember haben wir dann alle unsere Lager in der Oberpfalz geräumt“, sagt Josef Ziegler.

Doch nun sitzen die beiden wieder in der Essecke im großen Wohnzimmer in ihrem Haus in Pfreimd, das Handy läutet, und auf dem Tisch liegen E-Mails mit langen Wunschlisten. Was ihre Freunde aus der Ukraine berichten, ist bedrückend: Die Versorgungslage in den belagerten Städten spitzt sich immer mehr zu, Lebensmittel und Hygieneartikel, Waschpulver, Windeln und Medikamente werden knapp, und das gilt auch für die betreuten Krankenhäuser. Deren Betrieb läuft im Rahmen des Möglichen weiter, aber was heißt das schon?

Wenn die Patienten im Keller behandelt werden

Geschichte: Krankenhäuser:Aktion: Kontakt und Infos:
In den vergangenen 31 Jahren hat die Initiative aus Pfreimd mit 24 Hilfskonvois medizinische Hilfsgüter für Millionen von Euro in ukrainische Krankenhäuser gebracht.Unterstützt wurden und werden vier Krankenhäuser im 200-Kilometer-Umkreis der Hauptstadt Kiew: die Einrichtungen in Narodytschi, Yahotyn, Blahovishtchenske und die neurologische Kinderklinik in Kiew.Wenn es der Krieg zulässt, will die Aktion Tschernobyl das Krankenhaus in Narodytschi wieder instand setzen und Hilfe beim Wiederaufbau weiterer Häuser leisten.http://aktiontschernobylpfreimd.de, Spendenkonto: Aktion Tschernobyl Pfreimd e.V., VR-Bank Mittlere Oberpfalz eG, Kontonummer: 310522, BLZ: 750 691 71, IBAN: DE67 7506 9171 0000 3105 22, BIC: GENODEF1SWD

Und das ist einiges. Denn die Kontakte in die Ukraine sind nie abgerissen, vor allem zu den langjährigen Übersetzern. Einer von ihnen, Wolodymyr aus Yahotyn, ruft laut Ziegler „mindestens dreimal täglich an und hält uns auf dem Laufenden“. Aber auch mit den Dolmetscherinnen Natascha und Sophia stehen beide regelmäßig in Verbindung.

Als Drehscheibe für die Ukraine-Hilfe ist die Aktion Tschernobyl zudem längst auch international bekannt. Erst am Montag erhielten die Zieglers eine lange Liste mit über 170 Posten, bestimmt für die Klinik im ausgebombten Zhytomyr, etwa 150 Kilometer westlich von Kiew. Eine befreundete japanische Stiftung will wenigstens einen Teil der Hilfsgüter finanzieren, der Pfreimder Verein unterstützt bei Transport und Logistik.

Dabei soll es nicht bleiben. Am 12. März hat Josef Ziegler einen Spendenaufruf verfasst, in dem er die Bevölkerung um Unterstützung bittet. „Sobald es der Krieg zulässt und gewährleistet ist, dass die Hilfe ankommt“, wolle man das Krankenhaus von Narodytschi und die Kliniken in Owrutsch und Zhytomyr beim Wiederaufbau der medizinischen Versorgung unterstützen, heißt es darin. Und: „Wir haben uns entschieden, eine Region abseits der großen Zentren in den Blick zu nehmen, eine Region mit Menschen, die uns seit vielen Jahren vertraut sind und unser Vertrauen nie enttäuscht haben.“

Acht Tage unterwegs von der Ukraine nach Nabburg

Dass sie sichprivat auch noch für Flüchtlinge hier engagieren, erzählen die Zieglers eher am Rande. Erst am Freitag kamen drei junge Frauen aus Blahovisthtchenske in den Landkreis Schwandorf, denen das Ehepaar schon im Vorfeld eine Bleibe in Nabburg vermittelt hatte. „Sie waren acht Tage mit dem Auto unterwegs. Am Freitag um halb zwölf haben sie hier geklingelt“, erzählt Josef Ziegler. Dass sie Menschen aus der Ukraine aufnehmen können, haben die beiden dem Landratsamt schon vor Tagen mitgeteilt.

Natürlich wissen Angelika und Josef Ziegler nicht, wie sich der Krieg weiter entwickelt. Angenommen, Putins Truppen würden am Ende auch noch die betreuten Krankenhäuser zerstören – was bliebe dann von ihrem Lebenswerk? „Was bleibt? Die Menschen bleiben“, sagt Josef Ziegler und holt eine Montage, die ihm Fotografin Mila Pavan vor Jahren geschenkt hat.

Kinder, Ältere und Alte sind darauf zu sehen – müde, lachend, nachdenklich. Und in weißer Schrift: „Die Ukraine hat ein Gesicht“. Wir gehen in den Garten und machen ein Bild beim Gingko-Baum. Der galt schon immer als Symbol von Freundschaft, Verbundenheit und Hoffnung. In den nächsten Tagen wird er austreiben.