Neumarkt
„Father Moses“ bittet um Solidarität

Beim „Red Wednesday“ im Münster predigt Priester Mussie Zerai. Sein Bericht über die Situation in Eritrea macht betroffen.

11.11.2021 | Stand 15.09.2023, 23:24 Uhr
Josef Wittmann
Mussie Zerai war zu Gast in Neumarkt. −Foto: JOSEF WITTMANNJosef Wittmann

Am Mittwochabend erstrahlte das Münster außen und innen in feurigem Rot. Zum Erinnerung an die verfolgten Christen werden am „Red Wednesday“ weltweit markante Gebäude angestrahlt – von der Christusstatue in Rio über die Dome in Wien und Köln bis hin zum Colosseum in Rom.

Von dort war ein besonderer Gast zum ökumenischen Gottesdienst nach Neumarkt gekommen, zu dem der ökumenische Arbeitskreis Religionsfreiheit um Pfarrer Ernst Herbert und „Kirche in Not“ eingeladen hatten. Dr. Mussie Zerai ist ein Priester aus Eritrea. Das Time-Magazin nennt den Gottesmann einen der 100 einflussreichsten Menschen auf Erden.

Sein Spitzname „Father Moses“ ist Programm. Denn wie Moses hat er zahllosen Migranten den Weg in ihr gelobtes Land geebnet. Während Moses seinerzeit die Fluten des Meeres mit seinem Stab teilte, benutzt Dr. Zerai dazu sein Mobiltelefon. Dessen Nummer, die ursprünglich nur die Großmutter in Eritrea besaß, verbreitetet sich mit der Zeit unter den Flüchtlingen, die ihn immer öfter anriefen, wenn ihr Boot in Seenot geriet.

Viele Leben gerettet

Zerai gab die GPS-Koordinaten der Schiffbrüchigen an die italienische Küstenwache weiter und rettete so vielen das Leben. Die Nummer gibt es noch. Und noch immer rufen viele Migranten aus Libyen, Sudan und Äthiopien an, um Hilfe zu erbitten. Heute ist sie zu Zerais gemeinnütziger Agenzia Habeshia mit einigen Freiwilligen aus Italien, Spanien, Deutschland und Griechenland weiter geroutet.

Beim ökumenischen Gottesdienst im Münster berichtete Serai über die Zustände in seiner Heimat und wie es den Christen dort ergeht. Er ist ein glaubwürdiger Zeuge, denn mit 17 Jahren kam er selbst als Flüchtling nach Rom. Bevor er Priester wurde, lebte er acht Jahre lang das Leben der Einwanderer. Sein erster Job sei gewesen, in Rom auf dem Markt Obst und später Zeitungen zu verkaufen, übersetzt Florian Ripka, der Geschäftsführer von „Kirche in Not“, mit dem Zerai gekommen ist, das fließende Italienisch und Englisch des Ordensmannes.

Der Priester hat keine Verwandten mehr in Eritrea. Die Großmutter sei inzwischen gestorben und alle Geschwister sind vor der brisanten Situation in ihrer Heimat geflohen.

Bürger ohne Rechte

„In Eritrea gibt ein Regime, das alle Bürgerrechte verneint. Mein Bruder, der in Deutschland lebt, hat mehr als 20 Jahre Militärdienst in Eritrea ableisten müssen. Er konnte seine Familie mit vier Kindern mit dem Sold von 45 Euro pro Monat nicht ernähren“, sagt Zerai. 90 Prozent der Menschen lebten davon, dass von ausgewanderten Verwandten Geld komme. Wenn kein Geld geschickt werde, hätten sie keine Grundlage zum Überleben. Diese Armut sei vom Regime künstlich herbei geführt und beabsichtigt. Das Land am Roten Meer mit 300 Inseln („eine schöner als die andere“) könnte vom Tourismus leben, wenn es nicht vom Regime geschlossen worden wäre, ist sich der Priester sicher.

Der Mann aus Eritrea gehört in Rom den Scalabrini-Missionaren an. Der Orden wirkt überall dort, wo Migration stattfindet. Und Mussie Zerai betreut eritreische Asylgemeinden überall in Europa. Er reist gerne und fordert überall die Rechte der Immigranten und Frieden und Demokratie in Afrika ein. Zeugnis zu geben und einschreiten sei seine Mission, wie Mutter Teresa gesagt habe – „steter Tropfen höhlt den Stein“. Auch heute werde die Solidarität mit den Migranten von der Politik in Italien noch kriminalisiert.

Heimat: Berufung:
Geboren wurde der Priester 1975 in Asmara als fünftes von acht Geschwistern im damals von Äthiopien besetzten Eritrea. Als Mussie vier Jahre alt war, floh der Vater nach einer Inhaftierung allein nach Italien. Die Mutter starb drei Jahre später. Die Geschwister lebten bei der Großmutter.Mit 14 Jahren entschloss sich Zerai, Priester zu werden. Mit 17 Jahren emigrierte er nach Rom und wurde geweiht. Bis 2010 arbeitete er in Rom in der Scalabrinianischen Mission. Seit 2011 betreibt er vom Schweizer Erlinsbach aus die Seelsorge für die in der Schweiz lebenden Eritreer.

Auch auf europäischer Ebene habe sich nicht viel verändert. Man müsse nur nach Lesbos oder an die belarussische Grenze schauen, dann sehe man, was in Wirklichkeit passiere – das Gleiche wie in Libyen und im Mittelmeerraum. „Die Leute hier sollen wissen, was gerade in Eritrea und Afrika den Christen geschieht“, wünscht sich Zerai. „Wenn sie einen Eritreer sehen, der um Asyl bittet, sollen sie verstehen, woher er – und warum er kommt. Die Solidarität der Neumarkter mit den Eritreern und den vielen leidenden Christen soll geboren werden“.