Ukraine-Krieg
Unternehmer bilden Netzwerk für Ukraine

Tonnen von Hilfsgütern werden aus dem Landkreis Neumarkt an die polnische Grenze gefahren. Am Anfang stand ein „eigentlich“.

12.04.2022 | Stand 15.09.2023, 6:01 Uhr
Die Unternehmer aus dem Landkreis Neumarkt organisieren Hilfsgüter und Transporte für die Ukraine: Benjamin Dexl, Lukas Prüfling, Vivian Weißmüller, Manfred Kaiser, Doris Fleischmann und Timo Burger. −Foto: Eva Gaupp

Immer wenn man „eigentlich“ sagt, kann man auch etwas tun. So lautet die Devise von Manfred Kaiser. Und als er die Bilder vom Krieg in der Ukraine sah, stand sein Entschluss schnell fest. Er wollte gleich am ersten Wochenende Hilfsgüter an die polnisch-ukrainische Grenze bringen. Sein Sohn Felix öffnete ihm ebenfalls kurz entschlossen die Türen seines Betriebs „Kaiser Biogenuss“ in Deining und wenige Tage später fuhr der Unternehmer in einem vollgestopften Caddy aufs gerade Wohl nach Polen.

Aus dieser Privatinitiative hat sich inzwischen eine professionell organisierte Hilfsaktion entwickelt, deren Kern ein halbes Dutzend Unternehmen im Landkreis Neumarkt bilden. Sie stehen stellvertretend für zahlreiche Privatpersonen, Vereine und Firmen im Landkreis Neumarkt, die seit Kriegsausbruch nicht nur Geld oder Lebensmittel sammeln, sondern ganz konkret anpacken.

Entstanden ist dieser Helferkreis aus einer WhatsApp-Gruppe, die sich zu Beginn der Pandemie gegründet hatte. Dreh- und Angelpunkt sind inzwischen eine polnische Deutschlehrerin mit ihrem Freundeskreis sowie eine Hotel- und Kochschule in der polnischen Grenzstadt Premysl, in der Freiwillige täglich bis zu 10000 Flüchtlinge mit einer warmen Mahlzeit versorgen. Insgesamt hat der Helferkreis Waren in einem Wert von rund 40000 Euro umgeschlagen.

Verbandskästen für die Ukraine

In Premysl habe sich innerhalb kürzester Zeit eine erstaunliche Logistik entwickelt, erzählt Kaiser. Die Grenze zwischen Polen und der Ukraine habe die Menschen nie wirklich getrennt und so herrsche in diesen Zeiten eine enorme Hilfsbereitschaft. Aber nicht nur in Polen: Als klar war, dass der Caddy von Manfred Kaiser nicht mehr ausreicht, begab er sich auf die Suche nach größeren Transportern. „Ich habe Doris Fleischmann angerufen, ob sie helfen kann – und sie hat nur gefragt: ,Wie viele Fahrer brauchst Du?‘“, erzählt Kaiser.

Geldspenden:Bedarf:
Hilfswerk des Lions Club Neumarkt, Stichwort „Ukraine Hilfe Lukas“, IBAN: DE12 7605 2080 0008 1939 22, BIC: BYLADEM1NM1 – Bürgerstiftung Region Neumarkt „Flüchtlingshilfe“ IBAN DE03 760695530301060600, BIC GENODEF1NM1 – wer bei der Überweisung seine Adresse mit angibt, erhält eine Spendenquittung.Um Kosten wie verschreibungspflichtige Medikamente, Medizingeräte sowie Lebensmittel und andere dringend notwendige Produkte zu kaufen, braucht es Geldspenden.

Die Geschäftsführerin der Auto Bierschneider Gruppe steht in ihrem Unternehmen nicht allein: Verkaufsberater Alexander Ebenhöch setzte sich selbst hinters Steuer, Benjamin Dexl übernahm die Koordination. Neben dem Transport hat die Autohausgruppe mit Sitz in Mühlhausen an allen ihren 23 Standorten eine Aktion gestartet: Autobesitzer können ihren neuen, alten oder vielleicht bald abgelaufenen Verbandskasten vorbeibringen und erhalten dafür einen neuen. Die Kosten von zehn Euro spendet die Firmengruppe für die Ukraine-Hilfe.

Spedition übernimmt einige Fahrten

Inzwischen haben die Hilfslieferungen eine solche Dimension angenommen, dass auch die Transporter nicht mehr ausreichen. Denn allein Burgis-Geschäftsführer Timo Burger hatte mehrere Tonnen Lebensmittel bereitgestellt. Mit dem Logistikunternehmen Dachser, mit dem er zusammenarbeitet, hat er deshalb eine Pauschale ausgehandelt: Für 400 Euro pro Fahrt machen sich jetzt große Sattelschlepper auf den Weg ins polnische Premysl. „Ich sehe das als Verantwortung, wenn man privilegiert ist, dann muss man auch etwas zurückgeben“, sagt Burger. Für ihn sei vor allem wichtig, dass die Hilfe genau dort ankomme, wo sie gebraucht werde und nicht in einer großen Verwaltung versickere.

Das ist Dank eines detaillierten Netzwerks garantiert: Denn rund um die Deutschlehrerin Anna und ihren Mann hat sich eine Gruppe von Fahrern, Ärzten und Organisatoren gebildet, die dafür sorgt, dass die Hilfsgüter zum einen für die Flüchtlinge in den polnischen Übergangslagern verwendet werden. Zum anderen gibt es mutige Fahrer, die Krankenhäuser und in den zerbombten Städten eingeschlossene Menschen mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgen.

Eine Geschichte berührte die Neumarkter Helfer besonders: In Premysl war ein Bus voll mit Säuglingen angekommen. Sie stammten aus einer Geburtsklinik in Mariupol, in der Leihmütter ihr Kind geboren und sich dann in Sicherheit gebracht hatten. Ein Busfahrer mit nur einem 14-jährigen Schüler als Begleiter fuhr die Babys nach Premysl. Dort übernahmen Frauen aus der gesamten Umgebung die Versorgung.

Während Doris Fleischmann in den ersten Tagen für 1000 Euro Medikamente in der St. Vitus-Apotheke gekauft hat und die Apotheke Arzneimittel im Wert von 500 Euro mitgegeben hat, die kurz vor dem Verfall standen, ist inzwischen die Bionorica mit im Boot. Ihre Nature Heart Foundation organisiert zusammen mit Max Bögl ebenfalls Hilfslieferungen für die Ukrainer. Das Unternehmen für pflanzliche Arzneimittel als Partner macht es zusammen mit befreundeten ukrainischen Ärzten des Uniklinikums Regensburg außerdem möglich, verschreibungspflichtige Medikamente zu besorgen und zu transportieren.

Ärzte setzten Autoreifen ein

„Ein Arzt hatte Tränen in den Augen, weil er für seine Patienten endlich wieder starke Schmerzmittel zur Verfügung hatte“, erzählt Vivian Weißmüller. „Wunden können meistens nur noch mit einem Stück Autoreifen und Stoff verbunden werden“, weiß Manfred Kaiser. Vivian Weißmüller hat zwei Mal Hilfstransporte an die Grenze begleitet. „Die Frauen, die flüchten, sind in meinem Alter. Ich kann mich extrem gut in ihre Lage versetzen. Da muss ich einfach helfen.“

Mit von der Partie ist außerdem Lukas Prüfling. Logistik, Kisten packen, Spenden sammeln – als Past President des Lions Clubs hat er neben der Bürgerstifung das Hilfswerk der Lions ins Spiel gebracht, über das Spenden abgewickelt werden können. Außerdem fuhr er zusammen mit seinem Lionsfreund Jochen Geiger nach Premysl, um auf der Rückfahrt Geflüchtete in den Landkreis Neumarkt mitzunehmen. Die Organisation hat ihn beeindruckt: „Über eine App registriert man sich noch in Deutschland als Fahrer, weist sich vor Ort aus, erhält ein Armbändchen mit QR-Code und bekommt Geflüchtete zugeordnet. Das ist perfekt organisiert.“

Manfred Kaiser, den Doris Fleischmann als den „Leitwolf“ der Unternehmer-Gruppe bezeichnet, macht sich in diesen Tagen erneut auf den Weg nach Premysl. „Es gibt so viele Menschen, die sich verantwortlich fühlen“, sagt er. „Und die Erfahrung ist toll, was dies bei anderen auslöst.“