OB-Wahl
Bezahlbare Wohnungen in Neumarkt: Wie viele gibt es, wie viele braucht es und wie sollen sie entstehen?

15.09.2023 | Stand 15.09.2023, 15:00 Uhr

In der Dr.-Schrauth-Straße in Neumarkt baut die städtische Wohnbaugesellschaft mit staatlicher Förderung Wohnungen. Foto: Endlein

In den Großstädten ist es schon länger ein Thema, auch in Neumarkt gewinnt es zusehends an Gewicht: Wohnraum an sich und noch dazu solcher, der bezahlbar ist. Die OB-Kandidaten sagen unisono, dass bezahlbarer Wohnraum entstehen muss. Doch wie? Und was meint der Begriff genau? Wie groß ist der Bedarf in Neumarkt?

Wie erleben Neumarkter die Lage auf dem Wohnungsmarkt?



Unser Medienhaus wollte von Neumarktern wissen, wie ihre Erfahrungen bei der Suche nach Wohnraum sind. Die Reaktionen zeigen eine angespannte Lage. „Bezahlbarer Wohnraum in Neumarkt ist ein Mythos“, lautet ein Kommentar. „Vor allem im jungen Alter ist es schwierig, eine Wohnung zu finden“, ist ebenso zu hören wie die Beispiele von Rentnern und Alleinerziehenden, die bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum Probleme haben. Und noch etwas wird erwähnt: Es sind breitere gesellschaftliche Schichten, die damit zu kämpfen haben. „Selbst mit gut bezahlten Berufen kommt man nur noch schwer voran“, sagt eine Neumarkterin.

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Wie schätzten Experten den Wohnungsmarkt in Neumarkt ein?



Willi Kirsch, Immobilienmakler und Berichterstatter an den Immobilienverband Deutschland, spricht allgemein von einem in den vergangenen Jahren überhitzten Mietmarkt in Neumarkt. Aktuell sei die Preisdynamik zwar rausgenommen, allerdings werde das Mieteniveau hoch und der Markt belastet bleiben. Die Nachfrage wird seiner Einschätzung nach auch weiterhin auf ein zu geringes Angebot treffen. Kirschs Fazit: Locker bekommen die wenigsten eine Wohnung, aber sie bekommen sie. Sehr schwierig werde es jedoch für sozial schwächere Gruppen.

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Nicht nur, aber vor allem mit diesen hat Brigitte Falkner von der Sozialberatung der Caritas zu tun. „Das Problem besteht schon, seit ich in der Sozialberatung tätig bin“, sagt Falkner, die dort seit 2010 arbeitet. Doch in jüngster Zeit spitze sich die Lage zu. Ukraine-Krieg und andere Flüchtlingsströme hätten die Konkurrenz um Wohnungen weiter verschärft. „Leider bleibt in diesem Zusammenhang Sozialneid nicht aus“, sagt Falkner.

Und noch etwas hat sie beobachtet: Dass Menschen mit gewissen Merkmalen es besonders schwer haben, auf dem freien Wohnungsmarkt fündig zu werden. Beispielsweise kinderreiche Familien, Geflüchtete, Bürgergeld-Empfänger und Alleinerziehende. Sie könne für die Betroffenen nicht viel machen, außer die Kontaktadressen der staatlichen Anlaufstellen weiterzugeben. Aber auch deren Hände sind angesichts zu weniger geförderter Wohnungen gebunden.

Was bedeutet der Begriff bezahlbarer Wohnraum überhaupt?



Streng genommen ist der Begriff irreführend. Denn bezahlbar muss Wohnen für jeden sein. Aber was der Einzelne braucht und was er dafür bezahlen kann, ist sehr individuell. Man muss daher eher fragen: Wer hat die größten Probleme, Wohnraum zu bezahlen?

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Zahlen von Eurostat, dem statistischen Amt der Europäischen Union, aus 2019 zeigen: Es sind allen voran Alleinstehende, insbesondere Frauen und solche mit Kind. Sie wendeten 2019 bis zu 39 Prozent ihres Haushaltseinkommens für die Wohnkosten auf. Gehörten sie der Gruppe der armutsgefährdeten Menschen an (weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens) lag der Wert sogar bei 59 Prozent.

Eurostat setzt den Wert, was noch bezahlbarer Wohnraum ist, mit 40 Prozent des Haushaltseinkommens an. Andere Quellen gehen von nicht mehr als einem Drittel des Haushaltseinkommens aus.

Wie groß ist der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen in Neumarkt?



Wie viele Menschen in Neumarkt besonderen Bedarf an bezahlbaren Wohnraum haben, ist unklar. Man kann sich dem Wert nur annähern. Das tut auch die Stadt Neumarkt. Sie nimmt dafür die Zahl der Anträge, die für eine städtische Wohnung eingegangen sind. Im noch laufenden Jahr ist diese rasant angestiegen auf bislang rund 230. In den Vorjahren pendelte der Wert zwischen 110 und 160.

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Wie viele Neumarkter werden vom Staat beim Wohnen unterstützt?



Einen weiteren Eindruck geben näherungsweise die Zahlen der Empfänger von Bürgergeld und Wohngeld sowie die Zahl der Wohnberechtigungsscheine (WBS).

Letztere ermöglichen Menschen, sich für eine staatlich geförderte Wohnung mit niedrigeren Mieten, zu bewerben. Wie viele Menschen einen solchen WBS haben, weiß die Stadt nicht. Denn nicht nur sie stellt die Scheine aus, sondern auch andere Kommunen. Mindestens aber sind es 80. So viele geförderte Wohnungen gibt es in Neumarkt. 2023 haben bislang bei der Stadt 19 Haushalte einen WBS beantragt.

Eine Art Zuschuss in Form des Wohngeldes zahlt der Staat Haushalten mit Einkommen, das aber nicht gewisse Grenzen überschreiten darf. Im Landkreis waren dies Stand Juli 568 Haushalte. Für Neumarkt liegen keine eigenen Daten vor. Das Landratsamt geht jedoch davon aus, dass der Hauptteil von dort stammt. Der deutliche Anstieg um bislang fast 200 Haushalte im Vergleich zu 2022 erklärt sich laut Amt durch eine Gesetzesänderung und den Zustrom an Geflüchteten.

Für Menschen am untersten Rand der Einkommen ist das Bürgergeld gedacht. Rund 650 bis 700 sogenannte „Bedarfsgemeinschaften“ (kann auch eine Person sein) erhalten es aktuell vom Jobcenter. Es zahlt nicht pauschal die Miete, sondern in einem Gesamtbedarf sind Unterkunftskosten eingerechtent. Sie dürfen definierte Grenzen nicht übersteigen. Auch beim Bürgergeld gibt es einen Anstieg der Betroffenen bedingt vor allem durch die Ukraine-Flüchtlinge.

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Wie viele geförderte Wohnungen gibt es in Neumarkt?



Die Zahl derer, die Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein und damit Zugang zu einer geförderten Wohnung hat, dürfte größer sein als die Zahlen oben nahe legen. Auch Menschen mit mittleren Einkommen können in die Einkommensgrenzen fallen. Nur wissen das viele nicht.

Der Staat gibt für den Bau derartiger Wohnungen Darlehen bzw. gleicht die Differenz zwischen den gedeckelten Mieten der Wohnungen und marktüblichen Mieten aus. Klingt gut, aber das Problem ist: Es gibt zu wenige solcher Wohnungen – deutschlandweit und in Neumarkt. 80 sind es in der Stadt. Sechs kamen 2022 hinzu. Gleichzeitig fielen 22 aus der Mietbindung.

Hinzu kommen 260 Wohnungen im Besitz der Stadt, die zwar nicht gefördert sind, die diese aber nach Gesichtspunkten des bezahlbaren Wohnens vermietet.

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Wie entwickelt sich die Zahl der geförderten Wohnungen in Neumarkt?



51 der 80 geförderten Wohnungen in Neumarkt gehören der Stadt. 33 davon hat sie seit 2019 gebaut. Die Bayernheim will in Neumarkt 80 bis 100 geförderte Wohnungen bauen (wir berichteten). Das Unternehmen gehört dem Freistaat. Private Bauherren scheuen den geförderten Wohnungsbau.

„Es ist ein Draufzahlgeschäft“, sagt Dieter Donauer vom Neumarkter Bauträger Siebentritt und Donauer. Teurer Grunderwerb, hohe Baukosten, zahlreiche staatliche Vorschriften: Das alles macht aus seineŕ Sicht geförderten Wohnungsbau nicht wirtschaftlich. „Lasst die Finger davon“, habe ihm der Chef einer großen städtischen Wohnbaugesellschaft in Bayern geraten.

Wie wird sich der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen in Neumarkt entwickeln?



Ob Behörden, soziale Beratungsstellen, Makler und andere Gesprächspartner: Dass die Situation sich entspannt, glaubt keiner. Die Faktoren dafür sind vielfach: Die gestiegenen Lebenshaltungskosten bleiben auf hohem Niveau. Das gilt auch für die Baukosten. Neumarkt als attraktiver Wirtschaftsstandort lockt Menschen an. Bis 2041 ist dem Landkreis ein weiteres Bevölkerungswachstum im hohen einstelligen Prozentbereich prognostiziert. Die anhaltenden Flüchtlingsströme werden sich zusätzlich auswirken.

Die Stadtverwaltung kam deswegen im Juli 2022 zu dem Schluss: „Der generelle Wohnungsbedarf wird sich [...] vermehrt auf bezahlbaren Wohnraum niederschlagen“.

Was sind die Überlegungen der Stadtverwaltung, wie bezahlbarer Wohnraum entstehen soll?



Im Juli 2022 stellte die Stadtverwaltung dem Stadtrat Ideen vor, wie Neumarkt dem Bedarf an bezahlbaren Wohnraum gerecht werden könnte. Drei Säulen machte sie aus: Die Stadt baut selbst auf städtischen Grund. Sie findet einen Träger, der das für sie tut. Oder sie macht Vorgaben bei privaten Bauvorhaben. Als Beispiele nannte die Verwaltung eine Quote für bezahlbare Wohnungen bei Bauprojekten.

Zu Letzterem ist bislang noch nichts passiert. Ein erstes Projekt, bei dem ein Träger geförderte Wohnungen baut, bahnt sich indes mit der Bayernheim an.

Die Stadt selbst baut aktuell acht neue Wohnungen in der Dr.-Schrauth-Straße und hat teure Haussanierungen in der Schwesternhaus- und Botengasse angestoßen. Allerdings ist die Bauverwaltung im Rathaus notorisch überlastet. Die noch laufenden Großprojekte wie Feuerwache und Hochschule binden Kapazitäten und schränken größere eigene Wohnbauvorhaben ein.

An dieser Stelle kommt die städtische Wohnungsbau- und Servicegesellschaft (WSG) ins Spiel. Es scheint politischer Wille, dass die WSG maßgeblich dazu beitragen soll, Wohnraum durch Sanierungen und Neubau zu schaffen. Die WSG stellte inzwischen eine Fachkraft ein, die die aktuellen Sanierungen betreut. Die Verwaltung bezeichnete das als eine „erste Maßnahme“. Möglich also, dass weiteres Personal und Projekte folgen.

Wie die OB-Kandidaten das Problem angehen wollen?



Thomas Thumann (UPW): Dass die Bayernheim 80 bis 100 geförderte Wohnungen bauen will, nennt der OB ein Paukenschlag. Diesem und den stadteigenen Projekten werden weitere folgen müssen, sagt Thumann. Der Bedarf bleibe hoch.

Markus Ochsenkühn (CSU): Die Stadt besitze eigene Flächen, auf denen Externe bezahlbaren Wohnraum schaffen sollen, sagt er. Vorbild dürfte das Projekt der Bayernheim sein. Die städtische Wohnbaugesellschaft könne das nicht leisten.

Marco Winkler (Die Linke): Er sieht den Wohnungsbau als eine der wichtigsten Aufgaben und will dafür finanzielle und personelle Mittel frei machen. Sanieren geht ihm vor neu bauen. Die Stadt dürfe sich nicht allein auf den Markt verlassen.

Matthias Sander (SPD): Die Stadt besitze Grund, auf dem sie selbst oder Bauträger jährlich 20 bis 25 geförderte Wohnungen bauen könne. Sander glaubt, dass private Bauherrn geförderten Wohnungsbau als Option entdecken werden.

Ira Hörndler (FDP): Der Bedarf für geförderte Wohnungen müsse geklärt werden, sagt sie. Im Zweifel könne die Stadt staatliche Förderprogramme durch eigene ergänzen. Bezahlbares Wohnen beinhaltet für sie auch, Eigentumsbildung zu fördern.