Landesausstellung
Nach 1000 Jahren: Der Kelch von Tassilo und Liutpirc kommt nach Bayern zurück

25.01.2024 | Stand 29.01.2024, 14:04 Uhr

Das wohl bedeutendste Objekt der bayerischen Geschichte: der Messkelch, gestiftet von Tassilo und seiner Gattin Liutpirc. Direktor Richard Loibl (links) und Projektleiter Michael Nadler zeigen in Regensburg eine aufwendige Kopie. Foto: altrofoto.de

Die Bayerische Landesausstellung reist dieses Jahr ins frühe Mittelalter. Auf dem Freisinger Domberg ist das wohl bedeutendste Objekt der bayerischen Geschichte überhaupt zu Gast: der kostbare Messkelch.

Richard Loibl inszeniert in der Bavariathek eine kleine Show. Der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte (HdBG) schwärmt am Donnerstag bei der Jahrespressekonferenz erst vom Spitzenobjekt der Landesausstellung 2024: dem Kelch, den der Agilolfinger-Herzog Tassilo und seine Frau Liutparc, eine langobardische Königstochter, vor 1300 Jahren gestiftet haben. Er füttert die Erwartungen, erzählt von der „ganz großen Ehre“, das Objekt nach 1000 Jahren erstmals wieder in Bayern zeigen zu können, und spricht vom „Weltkunstwerk, das eine ganze Epoche prägte“. Dann streift er Handschuhe über, hebt den Kelch, der das größte und schönste Artefakt seiner Zeit war, aus der Schatulle in die Kameras, macht eine dramatische Pause und sagt: „Das ist nicht das Original.“

Raunen im Saal, obwohl klar ist: kann ja gar nicht anders sein. Das Benediktinerstift Kremsmünster trennt sich für sechs Wochen, nicht länger, von seinem Schatz, und der Transport von Österreich zur Landesausstellung am Domberg Freising wird geheim – „irgendwann im April“ – und unter höchster Sicherheitsstufe erfolgen. Die Journalisten sehen also eine Kopie, über die ein Herr mit Silberbart, der unauffällig im Saal sitzt, alles weiß: Jean Louis Schlim.

„Dieser Kelch war mein Traum! Seit ich so groß war“, sagt der Münchner Historiker und Autor und deutet mit flacher Hand auf Kniehöhe. 2017 realisierte er den Traum, kontaktierte einen Silberschmied, der die Kostbarkeit aus Kupfer und Gold für das Kunsthistorische Museum Wien kopiert hatte, und investierte eine fünfstellige Summe. „Jetzt steht der Kelch auf meiner Anrichte“, erzählt Schlim – sofern er nicht gerade ans HdBG verliehen ist.

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„Tassilo, Korbinian und der Bär“: Mit den drei Charakteren aus dem Titel der Schau, die von 7. Mai bis 3. November in Freising zu sehen ist, reisen die Besucher ins frühe Mittelalter, bis ins achte Jahrhundert. Bayern erstreckte sich bis Südtirol, Kärnten, Oberösterreich und Slowenien. Hauptverkehrsachsen waren Inn, Donau und Römerstraßen, München gab es noch nicht. Regensburg war Bayerns Hauptstadt, und wie viel Reichtum das Herzogtum hatte, zeigt – nur als Beispiel – Niederaltaich, eine der Klostergründungen der Agilolfinger. Mit sage und schreibe sieben Dörfern und 150 großen Höfen wurde es ausgestattet.

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Die Ausstellung erzählt, wie ein mächtiges Königreich der Bajuwaren zum Greifen nahe rückte. Der Hof von Tassilo III. zelebrierte selbstbewusst einen eigenen Kunststil, der durchaus als politische Ansage zu verstehen war und sich am schönsten an dem berühmten Gefäß studieren lässt, wie Projektleiter Michael Nadler erklärt. Angelsächsisch-irische und italienische Elemente verschmelzen hier, im Rankenwerk umschlingen sich s-förmige Greiftiere. Der Kelch, der den Stil einer Epoche begründete, bekommt in der Ausstellung einen eigenen Saal. Korbinian, zweite Titelfigur der Schau, steht für die Anfänge der Kirche in Bayern. Mehrere christliche Missionare wirkten hier: Erhard und Emmeram in Regensburg, Rupertus in Salzburg. Kostbare Erinnerungsstück wie die Fragmente der seidenen Reliquienhülle für Emmeram, sind zu sehen.

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Mit der Ankunft von Korbinian 724 – auf Geheiß der bayerischen Herzöge – begann auch die Geschichte des Bistums Freising; die Diözese feiert 2024 ihr 1300-jähriges Bestehen. Und: Mit Korbinian zieht der Bär in die Landesausstellung ein.

Der Legende nach wurde das wilde Tier von Korbinian gezähmt. Für die Besucher wird es zum stetigen Begleiter. An drei begehbaren, „bärig“ gestalteten Medienstationen hinterfragt der Bär Klischees – zum Beispiel, ob die Bayern sich wirklich so gern bekehren ließen. Auch der heute berühmteste bayerische Bär bekommt einen Auftritt: Bruno, der „Problem-Bär“, der 2006 aus Italien einwanderte und erschossen wurde.

Christoph Süß erzählt Polit-Krimi



Tassilo regierte wie ein König und nahm es sogar mit Frankenkönig Karl auf, mit „Karl, dem sogenannten Großen“, wie Richard Loibl ihn mit Blick auf seine Bluttaten nennt. Ein Herrscher mit Schwert und Szepter, ein Heiliger, der einen wilden Bären zähmt: Der Stoff, heißt es vom HdBG, könnte das Drehbuch für einen Hollywood-Blockbuster schreiben, ist aber pure bayerische Geschichte. Moderator Christoph Süß wird den mittelalterlichen Politkrimi in einer packenden Multivisionsschau erzählen: den Kampf um Macht, die Blütezeit unter Tassilo, den gefährlichen Zusammenstoß mit dem Frankenkönig – und auch, wie es mit dem bayerischen Rebellengeist weiter ging.

Mitveranstalter der Schau, die „100000 Besucher plus x“ anziehen soll, ist die Erzdiözese München und Freising. Prunkräume des Dombezirks wie der Fürstengang und die Dombibliothek, sonst für Besucher verschlossen, werden erstmals öffnen. Und: Nachhaltigkeit, sozusagen ein ganzjährig berittenes Steckenpferd des Hauses der Bayerischen Geschichte, setzt auch in Freising einen Akzent. Statt neuer Vitrinen, Möbel und Geräte werden vorhandene genutzt. Und wo Neuanschaffungen nötig sind, wird ein einheitlicher Standard umgesetzt, der spätere Wiederverwendung erleichtert.

Zwei Ausstellungen in Regensburg



„Ois anders“: Die Ausstellung zeigt von 19. April bis 22. Dezember, wie Bayern sich verändert hat – und zwar nicht gefühlt, sondern recherchiert. Zehn Großprojekte aus der Zeit von 1945 bis 2020 werden untersucht: Main-Donau-Kanal, Flughafen im Erdinger Moos, aber auch Nationalpark Bayerischer Wald, ein Beleg für wachsendes Umweltbewusstsein in den 1970ern.

Bewertung: Viele Projekte sind ambivalent, sagt Ausstellungsleiter Andreas Kuhn. Die Wasserkraftwerke am Lech etwa liefern erneuerbare Energie, schaden aber Tier- und Pflanzenwelt. Am Ende der Ausstellung bauen Besucher selbst an einem virtuellen Projekt. Die Ausstellung ist als Baustelle inszeniert und verwandelt sich im Intervallen mit eingespielten Filmen in einen Kinosaal.

„Weltenbrand!“: Eine Kabinettausstellung in Regensburg (22. März bis 12. Februar) befasst sich mit Bayern im Ersten Weltkrieg, erzählt vom Sterben der Soldaten, von der Not der Zivilisten und einer Liebe mitten im Krieg. Der Film zur Ausstellung von Michael Bauer leuchtet ein dunkles Kapitel aus: bayerische Kolonialgeschichte am Beispiel von „Deutsch-Südwestafrika“.