Arnold Schönbergs Gurre-Lieder
Darf’s ein bissl mehr sein? – Symphonieorchester des BR feiert 75. mit Monumental-Konzert

Das Konzert hören Sie hier in voller Länge

20.04.2024 | Stand 26.04.2024, 15:04 Uhr

Mit zwei Konzerten gigantischen Ausmaßes in der Münchner Isarphilharmonie hat das BRSO mit seinem seit 2023 neuem Chefdirigenten Simon Rattle am Wochenende 75. Geburtstag gefeiert.  − Fotos: BR/ Astrid Ackermann

Zum runden Geburtstag darf man sich schon was gönnen. 1949 wurde nicht nur die Bundesrepublik Deutschland gegründet, sondern auch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das die Dirigenten Eugen Jochum, Rafael Kubelik, Colin Davis, Lorin Maazel und Mariss Jansons zu einem der besten der Welt geformt haben.



Mit zwei Konzerten gigantischen Ausmaßes in der Münchner Isarphilharmonie hat das BRSO mit seinem seit 2023 neuem Chefdirigenten Simon Rattle am Wochenende 75. Geburtstag gefeiert. Am Ende: Riesenjubel und Standing Ovations.

Arnold Schönbergs Gurre-Lieder nicht zu kennen ist weder Schande noch verwunderlich, denn der Aufwand ist so monströs, dass selbst das BR-Orchester das Werk zuvor erst dreimal aufgeführt hatte, zuletzt zum 60. Jubiläum unter Mariss Jansons. Der Komponist verlangt drei vierstimmige Männerchöre, einen achtstimmigen gemischten Chor, fünf Gesangssolisten, einen Sprecher und ein Orchester mit rund 130 Musikerinnen und Musikern mit zehnfach geteilten Violinen - im Interims-Gasteig HP8 wurden Sitzreihen überbaut, damit die Ausführenden überhaupt Platz haben.

Gurre: Die Burg des dänischen Königs Waldemar



Wer bei Gurre an Tauben denkt, liegt nur halb falsch: Gurre heißt die Burg des dänischen Königs Waldemar, dessen wilde Geschichte Jens Peter Jacobsen in Gedichte gefasst und die Schönberg hier vertont hat - doch tritt immerhin eine Waldtaube als Erzählerin auf. Die Handlung, wie Sprecher Thomas Quasthoff in der Einführung sagt, ist simpel: „König liebt Frau. Frau tot. König traurig.“ Genauer: Die Königin lässt Tove, das angebetete Täubchen des Gatten, ermorden, worauf dieser als Geist umherjagt und Gott droht, mit seinen Mannen das Himmelreich zu stürmen. Mehr Drama geht nicht.

Wer bei Schönberg an Zwölftonmusik denkt, erlebt in den Gurre-Liedern, 1900 begonnen und 1911 vollendet, einen Gipfelpunkt der Spätromantik, von der sich Schönberg zum Zeitpunkt der triumphalen Uraufführung 1913 längst abgewandt hatte: 20 Lieder, verbunden zur symphonischen Dichtung.


Von Drama und Leid zum Lied des Lebens



Dirigent Simon Rattle lenkt den Riesenapparat mit Eleganz, Feingefühl und höchst organischen Tempi und Dynamiken. Er lässt den Sonnenuntergang flirren, die Zeit stillstehen, lässt den Mord erschütternd kalt zuschlagen, stürzt sich lustvoll in die Zirkus-Musik des Narrenlieds, balanciert behutsam Soli und Orchester, schafft geschmeidige Übergänge, bei denen der Innerlichkeit schon der Keim eines neuen Rasens innewohnt – und bleibt dabei in jedem Moment kontrolliert.

Von erster Güte ist das Solistenensemble mit Simon O‘Neill als König Waldemar, ein famoser Heldentenor mit profunder Tiefe, im Übrigen Siegfried auf Rattles aktueller Wagner-Einspielung, Sopran Dorothea Röschmann als hochdramatische Tove sowie Jamie Barton als Waldtaube, Peter Hoare als Klaus-Narr, Josef Wagner als Bauer und Thomas Quasthoff als rhythmisch deklamierender Sprecher.

BR-Chor und MDR-Chor vereinen sich, einstudiert von Peter Dijkstra, zum überwältigenden Klangkörper, wobei das Lied der wilden Jagd leider zum intransparenten Tumult gerät und erst in den Piano-Passagen klar wird, welches überragende Präzisionsensemble hier am Werk ist.

Trotz allen Dramas und Leidens mündet das Werk schließlich in ein Lied des Lebens, in ein Chor-Orchester-Tutti-Fortissimo, in einen Sonnenaufgang mit final bombastisch glühender „Strahlenlockenpracht“. Wie sagte Thomas Quasthoff in der Einführung: „Wenn der Schlusschor Sie nicht berührt, suchen Sie sich einen sehr guten Psychologen.“ Den braucht in diesem Fall wohl niemand.


Das Konzert wird am Samstag, den 20. April, um 22 Uhr, im BR-Fernsehen gesendet. Die Aufzeichnung hören Sie auf br-klassik.de.