Aufstieg und Fall
Neustart mit Trainer Geserer: Regensburgerin Jule Niemeier froh über ihr schlechtes Tennisjahr

27.12.2023 | Stand 27.12.2023, 7:53 Uhr

In Berlin verzeichnete Jule Niemeier im Sommer einen ihren Hoffnungsschimmer 2023: Gegen Ons Jabeur feierte sie dort einen von vier Siegen gegen eine Top-20-Spielerin der Weltrangliste: „Und das kann auch nicht jeder von sich behaupten.“ Foto: Imago/Claudio Gärtner

Eines ist schon einmal anders: In diesem Jahr hat Jule Niemeier Weihnachten wieder zuhause verbracht. Für eine Tennisspielerin ist das nicht selbstverständlich. Diesmal gönnte sich die 24-Jährige, die in Regensburg lebt, anders als 2022 noch einmal vier Tage zuhause bei der Familie in Dortmund, ehe sie am ersten Weihnachtsfeiertag mit ihrem Tross aufbrach zur neuen Saison.



„Ich weiß, es ist knapp, sogar sehr knapp. Aber es ist wichtiger zuhause zu sein Kraft zu tanken, und dann erholt, frisch und gut gelaunt wegzufliegen“, sagt Jule Niemeier. Vor einem Jahr war das anders: Es folgte ein – nach Ergebnissen – schlechtes Jahr. Als „Aufstieg und Fall der Jule Niemeier“ ließen sich die letzten zwei Jahre beschreiben. Alles, was 2022 so locker und unbeschwert klappte, in Wimbledon ins Viertelfinale und bei den US Open unter die besten 16 führte, ging 2023 schief. Niemeier schien die große deutsche Tennis-Hoffnung im Damen-Umbruch, stieg bis auf Weltranglistenplatz 61 und stürzte wieder ab auf den aktuellen Rang 165.

Jule Niemeier sieht all das reflektiert. Sie begründet die schnellen Erfolge mit der Begeisterung des Neuen auf ihrem ersten Tourjahr und die Rückschritte mit den gestiegenen Erwartungen des zweiten Jahrs. Auch, dass es für ihren bislang größten Erfolg, den Einzug in die Top acht in Wimbledon, keine Punkte gab, beeinflusste womöglich ihre Karriere. „Dann wäre ich Top 40 gewesen, dann kam der Erfolg bei den US Open (Top 16, d. Red.) und ich wäre vielleicht in Australien gesetzt gewesen. Aber vielleicht hätte ich mich persönlich auch nicht so weiterentwickelt“, sagt Niemeier und kommt zu dem Schluss: „Im Nachhinein ist es genau richtig, wie es gekommen ist dieses Jahr. Ich bin froh, dass es so war, wie es war. Denn ich glaube, ich wäre viele Dinge nicht so angegangen, wenn das Jahr nicht so verlaufen wäre.“

Zumal in der Statistik der vielen Erstrunden-Niederlagen eines untergeht: „2022 habe ich gesehen, dass ich gegen gute Spielerinnen gewinnen kann. Das habe ich aber dieses Jahr auch gezeigt und vier Top-20-Spielerinnen geschlagen“, erinnert Niemeier an die gewonnenen Duelle mit Yulia Putinseva in Hamburg, Karolina Muchova in Wimbledon, Ons Jabeur in Berlin und Petra Kvitova in Madrid. „Das können nicht viele behaupten. Auch wenn es kein berauschendes Jahr war, bin ich sehr zuversichtlich.“

Lerneffekt durch Niederlagen

Freilich gibt die Regensburgerin zu, dass eine Niederlagenserie das Selbstvertrauen anknackst. „Deswegen habe ich eine kleine Auszeit genommen, die mir sehr, sehr gut getan hat. Nach Niederlagen geht die Welt nicht unter, das Leben normal weiter. Das muss man lernen. Ich konnte das durch die vielen Niederlagen besser einschätzen. Nach einer Niederlage nimmst du das Match auseinander. Ziehst du die richtigen Schlüsse, kann das sehr wertvoll sein.“

Nie zur Debatte stand, dass Jule Niemeier ihre Lebensbasis in Regensburg aufgibt. „Das ist mein zweites Zuhause. Ich fühle sehr, sehr wohl und war froh, dass ich jetzt mal fünf Wochen am Stück hier sein kann“, sagt sie und sortierte sich auch sonst neu. „Es geht darum, dass ich guten Physio hab, einen guten Athletiktrainer und einen guten Tennistrainer.“ Wegen Florian Zitzelsberger war Niemeier vor zweieinhalb Jahren nach Regensburg gezogen. Aus Zitzelsbergers Intergralis-Team versorgen Ehefrau Simone und Florian Nowy die Tennisspielerin – und dieser Tage wurde verkündet, was auf der Hand lag. Mit Michael Geserer (54), der in den vergangenen Jahren Julia Görges, Jennifer Brady und zuletzt Petra Martic (Weltranglisten 40) so erfolgreich betreute, geht ein erfahrener Trainer jetzt mit Jule Niemeier auf Tour – und das Regensburger Erfolgsduo Geserer/Zitzelsberger ist vereint. „Es war an der Zeit“, sagt Geserer, der von jeher Niemeier auf allen Belägen viel zutraute. „Es geht jetzt darum, sie auf konstantes Topniveau zu bringen. Es gilt, einiges an negativer Erfahrung zu überschreiben und sie spielerisch weiterzuentwickeln. Dann traue ich ihr alles zu“, sagt der Mann, der im Hintergrund stets an seiner Akademie „BeTennisBase“ bastelt.

Jule Niemeier weiß, dass sie, die jetzt auch wieder öfter in die Qualifikation der großen Turniere muss („Das kann auch ein Vorteil sein“), nicht auf Knopfdruck wieder Top-Ergebnisse liefern kann. „Ich habe nicht die Erwartung, dass ich Matches gewinne, weil ich jetzt Michael an meiner Seite habe. Ich will wieder Spaß haben, Matches zu spielen, mein Tennis zu verbessern. Die vergangenen Wochen habe ich guten Schritt nach vorne gemacht. Jetzt geht es darum, dass ich genau das in Matches zeige. Darauf liegt der Fokus.“

Leiden mit dem BVB

Und auch immer ein bisschen auf Borussia Dortmund. „Schlechtes Thema derzeit“, sagt sie. Der glühende BVB-Fan Niemeier schaut nämlich, wann immer es geht, die Spiele des Lieblingsklubs aus der Heimatstadt und leidet mit. „Auch Trainingszeiten wurden teilweise schon angepasst“, sagt Jule Niemeier mit einem Lächeln. „Fünf-, sechsmal“ reichte es auch heuer zum Stadionerlebnis in Dortmund, dazu ging’s auch mal zu Spielen in Bayern wie in Augsburg oder im Pokal bei 1860. Fragt sich nur, wer 2024 eher positive Ergebnisse liefert: Jule Niemeier oder ihr BVB? Die Tennisspielerin könnte zum Saisonstart in Auckland oder in der Qualifikation in Melbourne für die Australian Open schon mal vorlegen.

Jule Niemeier und Regensburg

Umzug: Im März 2021 kam die gebürtige Dortmunderin Jule Niemeier nach Regensburg und machte flotte Sprünge. Bis Jahresende kletterte sie von Platz 265 der Weltrangliste auf Platz 130.

Topjahr: 2022 startete Niemeier durch und schaffte es in ihrem ersten Tourjahr bis auf Weltranglistenplatz 61 (und bei den US Open in die Top 16), ihrem Bestwert – obwohl es fürs Viertelfinale in Wimbledon keine Punkte gab.

Rückschlag: 2023 lief es deutlich schlechter: Nach vielen Erstrunden-Niederlagen steht Niemeier jetzt auf Rang 165 der Weltrangliste.

Team: Gerade verkündet ist, dass Michael Geserer, der seit Jahresanfang Niemeiers Manager ist, als Trainer mit auf Tour geht. Dazu steuert Florian Zitzelsberger das Athletiktraining, dessen Frau Simone das Bewegungs- und Mentaltraining und Florian Nowy ist als Physio dabei.