Frage des Momentums
Sportpsychologe Paasch analysiert die Situation beim SSV Jahn Regensburg

10.05.2024 | Stand 10.05.2024, 17:51 Uhr

Sportpsychologe René Paasch Foto: Paasch

Im Interview erklärt der renommierte Sportpsychologe René Paasch, was es nun braucht beim Fußball-Drittligisten SSV Jahn Regensburg.

„Wir konnten halt mit dem Druck nicht umgehen“, haderte der Regensburger Trainer Joe Enochs nach der folgenschweren Niederlage in Freiburg. Inwieweit wird Aufstiegskampf im Kopf entschieden?
René Paasch: In jedem Hochleistungssport, insbesondere dort, wo Bruchteile von Sekunden entscheidend sind, ist der Umgang mit Druck zentral. Es gilt zu differenzieren, wie sowohl das Team als Ganzes als auch individuelle Spieler diesen Druck verarbeiten. Priorität sollte jedoch nicht die fixierte Zielsetzung des Aufstiegs sein, sondern vielmehr die Konzentration auf beeinflussbare Faktoren im Training und im direkten Wettkampf, unabhängig von langfristigen Ergebnissen. Laut Weinberg und Gould (2019) kann eine solche Fokussierung auf Prozesse die Leistung unter Druck erheblich verbessern.

Die Regensburger haben einen Zwölf-Punkte-Vorsprung, den sie zwischenzeitlich auf den Relegationsplatz hatten, völlig verspielt. Was macht sowas mit den Köpfen?
Paasch: Wir Menschen tendieren dazu, in der Vergangenheit oder der Zukunft zu leben, was insbesondere nach Misserfolgen zu einem präsenten Negativdenken führen kann. Dies beeinträchtigt das Verhalten und die Leistung der Spieler. Eine umfassende psychologische Aufarbeitung der Ereignisse ist daher essenziell, um aus negativen Erfahrungen lernen und sich von ihnen lösen zu können. Gross et al. (2004) betonen die Wichtigkeit emotionaler Regulierung in derartigen Situationen, um Leistungsabfall zu verhindern.

Lesen Sie hier: So will Enochs das Ruder herumreißen

Zwei Spiele stehen zwar noch aus. Aufgrund der Konstellation sieht es aber schwer danach aus, dass es für die Regensburger in die Relegation gehen dürfte. Kann das gutgehen bei diesem Abwärtstrend?
Paasch: Das Leben ist eine Abfolge von Momenten. Ein positiver Momentumswechsel, etwa durch einen starken Start in ein Spiel, kann die Basis für die Überwindung einer Abwärtsspirale bieten. Relegationsspiele bringen eine zusätzliche psychologische Herausforderung mit sich, da sie von den Spielern verlangen, über sich hinauszuwachsen. Kerr und Vierimaa (2017) stellen fest, dass gerade das Momentum in kritischen Phasen eines Wettkampfes entscheidend für die sportliche Wende sein kann.

Während sich in der Relegation zwischen Bundesliga und 2. Liga meist die Bundesligisten durchsetzen, ist es in zwischen Zweit- und Drittligisten meist genau anders herum. Gibt es für dieses Phänomen auch Erklärungsansätze aus psychologischer Sicht?
Paasch: Fachlich betrachtet ist der Unterschied zwischen der zweiten und dritten Liga gering, anders als zwischen der Bundesliga und der zweiten Liga. Psychologisch lässt sich beobachten, dass Teams, die bereit sind, unkonventionelle Strategien zu verfolgen und eine hohe mentale Resilienz aufweisen, oft erfolgreich sind. Der Erfolg in Relegationsspielen hängt maßgeblich von der mentalen Stärke der Einzelnen und des Teams ab. Fletcher und Sarkar (2012) beschreiben, wie mentale Resilienz sportliche Leistung in Drucksituationen fördern kann.

Neben Ulm könnte nun auch Münster von der 4. in die 2. Liga durchmarschieren. Das wäre ein historischer Doppelpack.
Paasch: Die Beispiele von Teams, die es geschafft haben, durch kontinuierliche Leistung aufzusteigen, zeigen, dass dafür eine Gruppe von 20 bis 25 mental starken Spielern erforderlich ist. Deci und Ryan (2000) zeigen in ihrer Selbstbestimmungstheorie, wie intrinsische Motivation und eine starke Gruppendynamik zur Steigerung der Leistungsfähigkeit beitragen können.

Im Winter hatte alle noch auf den Jahn und Dresden getippt, die großen Vorsprung hatten. Dresden ist sogar noch stärker eingebrochen und aktuell Letzter der Rückrundentabelle.
Paasch: Die Ursachen für Leistungseinbrüche sind vielschichtig und liegen selten ausschließlich in physischen Aspekten. Als soziale Wesen benötigen Menschen Anerkennung, Selbstvertrauen und ein funktionierendes Gemeinschaftsgefühl. Kleinste Störungen in diesen Bereichen können signifikante Auswirkungen auf die individuelle und damit auf die Teamleistung haben. Baumeister und Leary (1995) argumentieren, dass das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und sozialer Unterstützung entscheidend für die Aufrechterhaltung der Leistungsbereitschaft ist.