Nostalgie
Als in Nittenau noch der Bär los war

Postkartensammler Tonollo hat in seinem Archiv gekramt. Mit Bildern von der „Hafenbar“ weckt er aufregende Erinnerungen.

12.09.2015 | Stand 16.09.2023, 6:59 Uhr

Das waren noch Zeiten: „The Rags“ heizten nach erfolgreicher Premiere in Reichenbach immer öfter auch in Nittenau ein, vorzugsweise im Café Helgert. Unser Bild zeigt (von links): Bernhard Tonollo, Waldi Schäfer (†) und Benno Hochmuth (heute Albatros). Vorne: Bandmitglied Max

Für Nachtschwärmer ist in Nittenau immer weniger los. Das ist nicht nur der Eindruck von Werner Raab, der mit seiner Kulturinsel hartnäckig versucht, wenigstens ein bisschen gegenzusteuern. Ob er sich je fest etablieren kann, sei dahingestellt; fest steht, dass die Regentalstadt eine durchaus wilde Vergangenheit hat, auf die sie stolz sein darf. In den 1960er und 70er Jahren gab es Tanzlokale, die sich großer Beliebtheit erfreuten und regelmäßig mit Livemusik auch Publikum von auswärts lockten.

Rudolf Tonollo, allseits bekannter Sammler historischer Postkarten, hat in seinem reichen Fundus Belege gefunden, die an die „glorreiche Zeit“ erinnern, als in Nittenau noch der Bär los war. Besonders hübsch sind die Exemplare, die Eindrücke von der legendären „Hafenbar“ vermitteln.

Das Tanzcafé, das mit Steuerrad, Rettungsring und Segelschiff stilecht eingerichtet war, befand sich am Anger zwischen den Regenbrücken in einem Gebäude, in dem heute ein Fachgeschäft für Orthopädietechnik untergebracht ist. Eröffnet Mitte der 1950er Jahre, entwickelte sich das Lokal zu einem regelrechten Szenetreff. „Es gibt wohl keinen Nittenauer, der die Chance nicht genutzt hätte, sich in der Hafenbar zu amüsieren“, weiß Rudolf Tonollo. Noch heute gerät der rüstige Senior ins Schwärmen, wenn er von den Mädchen erzählt, die seinerzeit Petticoats trugen und viel Bein gezeigt haben. Neben Standardtänzen wie Tango und Walzer erfreute sich der Twist wachsender Beliebtheit.

Dass es gesittet zuging, dafür sorgte nach Tonollos Erinnerung Betreiber Ewald Kempf persönlich. „Hatte einer einmal zu tief ins Glas geschaut und begann deshalb zu pöbeln, war er sofort zur Stelle und setzte den Unruhestifter an die frische Luft.“ Am nächsten Tag habe der (bisweilen durchaus reuige) Flegel im Postkasten einen blauen Brief vorgefunden, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass er auf unbestimmte Zeit Lokalverbot habe.

Neben der Hafenbar, die Anfang der 1970er Jahre für immer geschlossen wurde, zählt Tonollo weitere Betriebe auf, in denen sich die Jugend, aber auch die etwas reifere Generation amüsierte. Besonders hebt er das Lokal Artmann, den „Pferdestall“ in der Kolpingstraße, den „Beatschuppen“, eine ehemalige Hühnerfarm am Rande der Stadt, und das Tanzcafé Helgert in der Fischbacher Straße hervor. „Dort kam man ganz schön ins Schwitzen!“

Kein Wunder, heizte doch regelmäßig die Nittenauer Band „The Rags“ ein, eine vierköpfige Rockformation, die sich vom Geist der 1960er Jahre inspirieren ließ, was äußerlich auch an den Mähnen zu erkennen war. Mit Benno Hochmuth steht ein Mitglied dieses Quartetts noch heute regelmäßig auf der Bühne; zusammen mit seiner Ehefrau Rosi bildet er seit zwölf Jahren das Duo „Albatros“.

Mit Tonollos Erinnerungen konfrontiert, holt Hochmuth ein eigenes Fotoalbum hervor, das mit vielen Höhepunkten aus seiner Musikerkarriere gespickt ist. Sie begann bereits mit 14, als er als Gitarrist mit den „Regentalern“ bei Faschingspartys im Krankenhaus eher volkstümlich geprägte Lieder zum Besten gab. Blutjung musste sich „der Benno“ erst daran gewöhnen, im Rampenlicht zu stehen. Verlegen mied er anfangs, wie er zugibt, den direkten Blick ins Publikum so gut es ging.

Wenige Jahre später aber hatte sich das gründlich geändert. Hochmuth gewann an Selbstbewusstsein und gründete mit Bernhard Tonollo, Waldi Schäfer und einem gewissen Max 1967 seine eigene Band: „The Rags“. In Reichenbach, „beim Hering“, legten sie vor mehreren Hundert Besuchern einen furiosen ersten Auftritt hin.

Die verschworene Gruppe erwarb sich schnell einen sehr guten Ruf. Um so härter traf sie nach wenigen Jahren der tragische Tod ihres Kameraden Waldi. Mit ihm waren auch „The Rags“ gestorben, doch Hochmuth hatte längst viel zu viel Gefallen daran gefunden, auf Bühnen zu stehen und tanzfreudigem Publikum Gas zu geben, als dass er seine Gitarre für immer in den Koffer gelegt hätte.

Und so war es nur eine logische Folge, dass er mit diversen anderen Bands in der Region weiter für Stimmung sorgte. „The Generation’s“, „Laredos“, „The Diamonds“ und die „Silverbirds“ sind die klangvollsten Namen weiterer Formationen, für die Hochmuth in die Saiten griff. An eines erinnert er sich ebenfalls noch allzu gut: Rudolf Tonollo, damals noch kein Kartensammler, fiel vor Konzerten eine besonders reizvolle Rolle zu: Er war für die Mädchen zuständig. Vor Beginn der Veranstaltung kurvte er mit seinem NSU Prinz durch die Gegend, um Mädchen zum Tanzlokal zu chauffieren, nach Mitternacht brachte er sie persönlich wieder nach Hause...

Tonollo lässt es heute eher gemütlich angehen; wann „Albatros“ Hochmuth im Ruhestand landet, ist indes unabsehbar. Allerdings, so gibt der 66-jährige gelernte Orthopädie- Schuhmachermeister zu, sei es nicht zu leugnen, dass er nach einem intensiven Auftritt etwas mehr Ruhe nötig hat als es früher der Fall war.