Rückblende
Als noch das Erdäpfelkraut brannte

Früher hießen die Herbstferien auch Kartoffel-Ferien, denn die Kinder mussten bei der Ernte helfen.

01.10.2021 | Stand 16.09.2023, 0:15 Uhr
Jakob Moro
Ein Kartoffelroder und im Hintergrund die erste automatische Kartoffellegemaschine: So sah damals der Maschinenpark in der Landwirtschaft aus – heute sind die Geräte nur noch im Bauernmuseum zu sehen. −Foto: Jakob Moro

Jetzt stünde die Kartoffelernte an, wenn es noch Bauern gäbe, die Kartoffeln anbauen. Heute beherrscht die Wunderpflanze „Mais“ die Landschaft und die Landwirte – eine Gelegenheit, einmal zurückzublenden und der Frage nachzugehen, wie sich das Leben auf den Höfen und die Landwirtschaft verändert haben.

Die Herbstferien hießen früher „Kartoffel-Ferien“. Eine gute Kartoffelernte war Anfang des 20. Jahrhunderts überlebenswichtig. Wochenlang half jeder, der konnte, jedem von morgens bis abends, die kostbaren Knollen rechtzeitig aus dem Boden zu holen. Im herbstlichen Abendrot glühten in der Dämmerung weithin sichtbar große Kartoffelfeuer. Und nach der Arbeit schmeckten die über dem Feuer gerösteten Erdäpfel doppelt so gut.

Als Großbauern und Häuslleut‘ früher Kartoffeln anbauten, waren sie Selbstversorger. Jeder hatte meist mehrere Erdäpfeläcker zu bestellen, zu hacken und im Herbst abzuernten. Die frühreifen Erdäpfel wurden meist in der Nähe des Hofes oder im Wurzgarten mit anderen Hackfrüchten angebaut. Im zeitigen Frühjahr ging es ab in den Erdäpfelkeller, um die Samkartoffeln auszuklauben. Das Feld war zu bestellen. Das Einbringen der Saatkartoffeln geschah meist gemeinsam. Der Knecht hackte mit einer Haue auf dem „Bifang“ ein Pflanzloch, die Magd holte aus dem umgehängten Sätuch eine Samkartoffel und warf sie hinein. Der Knecht trat mit dem Fuß das Pflanzloch zu. Später wurden die Kartoffeln gelegt und mit dem Pflug, dem „Häufler“, eingeackert. Noch später geschah dies in einem Arbeitsgang mit der Kartoffellegemaschine – meist mit einem Geräteträger.

Warten auf den warmen Regen

„Bifang“ (kommt von Umfangen, Einschließen) ist eine altdeutsche Bezeichnung für ein eingefriedetes Feld, gewöhnlich ein schmales Ackerbeet. In unserer Gegend entwickelte sich der Begriff „Bifang“ als Umschreibung für einen schmalen, erhabenen Ackerstreifen zwischen zwei Furchen, z. B. für ein Kartoffel- oder Krautfeld. Warmer Regen war notwendig – und die Keimlinge spießten. Gefürchtet waren „die Eismänner“ im Mai für die frisch keimenden Kartoffeln. Mehrmals im Frühjahr und im Sommer mussten die Kartoffelbifänge gehackt und gepflegt werden. Die „Bifang“ wurden mit einem doppelscharigen Pflug angehäufelt.

Nach der Heu- und Getreideernte folgte die Kartoffelernte etwa ab Mitte September bis weit in den Oktober hinein, je nach Witterung. War das Kartoffelkraut nicht schon dürr, wurde es mit der Sense abgemäht. Mit geflochtenen Körben und dem „Greil“ wurden die Kartoffeln mühsam geerntet. Sie kamen auf dem Feld in einen Jutesack oder auf den Holzwagen. Das Auflesen in gebückter Haltung war eine mühsame Arbeit. Arme Leute – in der Nachkriegszeit Heimatvertriebene und Flüchtlinge – sowie auch Kinder halfen den Bauern. Ihr Lohn? Kartoffeln. Kinder bekamen einst sogar schulfrei für die Kartoffelernte. Die Herbstferien entstanden wegen der Kartoffelernte, sie hießen daher auch Kartoffel-Ferien.

Heute, wenn überhaupt noch Kartoffeln angebaut werden, sind in modernen Betrieben nur noch Vollernter im Einsatz. Eine große Pflugschar hebt die ganze Pflanze samt Knollen aus der Erde. Die sogenannten Sechscheiben schneiden das Kartoffelkraut ab. Auf dem Rüttelband werden die Knollen von der Erde und den Steinen getrennt. Die Sternwalzen sorgen dafür, dass auch das letzte Kartoffelkraut auf den Acker fällt. Die Kartoffeln werden über ein Steilband nach oben transportiert, wo Arbeiter kontrollieren, ob alle Steine oder Erdklumpen entfernt wurden. Ein quer liegendes Förderband transportiert die Kartoffeln in den Ladebunker oder auf einen Hänger.

Heute dauert die Ernte einen Tag

Arbeiten, die früher viele Arbeitsgänge erfordert haben und besonders zeitintensiv waren, werden heute mithilfe von Maschinen oft in einem Arbeitsgang erledigt. Während 1950 für den Anbau und die Ernte eines Hektars Kartoffeln noch mehr als 300 Arbeitsstunden nötig waren, wird das heute an einem Tag erledigt. Überhaupt werden Kartoffeln nur noch von wenigen Landwirten angebaut. Dies hat nicht zuletzt mit dem hohen Pflegeaufwand zu tun, der trotz Maschinen immer noch per Hand zu erledigen ist. (rjm)