München.
Angst, Folter und Diskriminierung

Eine Geschichte über das Volk der Uiguren: Wenn Haiyuer Kuerban zu seiner Mutter fahren würde, da ist er sich sicher, käme er ins Gefängnis.

12.06.2009 | Stand 12.06.2009, 18:37 Uhr

Von Katia Meyer-Tien, MZ

Jetzt kommen sie wohl doch nicht, die Uiguren aus Guantánamo, um deren Aufnahme in Deutschland die USA gebeten hatten. Vier der 17 auf Kuba inhaftierten Uiguren sind am Donnerstag in Bermuda freigelassen worden. Der Inselstaat Palau im Pazifik hat sich am Mittwoch bereiterklärt, die weiteren 13 Menschen aufzunehmen (die MZ berichtete). Die Bundesregierung dürfte erleichtert sein. Die uigurische Gemeinde in Deutschland dagegen ist enttäuscht. Doch wer sind die Uiguren überhaupt?

Wenn Haiyuer Kuerban erzählt, wie er von Urumchi nach München kam, klingt das nicht nach Flucht. Trotzdem erzählt der 25-Jährige eine Geschichte von Diskriminierung und Angst. Wenn er heim zu seiner Mutter fahren würde, da ist er sich sicher, erwartete ihn das Gefängnis, vielleicht sogar Folter. Kuerban ist in einer kleinen Stadt im Nordwesten Chinas, in der Region Xinjiang, aufgewachsen. Kuerban spricht von Ostturkestan, für ihn ist es das Land der Uiguren. Das muslimische Turkvolk siedelt dort seit Jahrhunderten. 1949 verleibten die Kommunisten das Gebiet China ein und erklärten es wenig später formell zum autonomen uigurischen Gebiet. Xinjiang grenzt an die Mongolei, an Russland, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Afghanistan und die Kaschmir-Region. Es ist eine strategisch wichtige Gegend, die immer wieder hart umkämpft war, nicht zuletzt wegen ihrer Ölvorkommen.

In seinem Heimatdorf gab es zwei Stadtteile, erzählt Kuerban. In dem einen wohnten die Uiguren. Wer in die Straßen des chinesischen Teils geriet, wurde verprügelt. Trotzdem: Kuerban wuchs glücklich auf, ab und zu ging er in die Moschee, bis es seine Mutter nicht mehr erlaubte. Später sollte er herausfinden, dass die chinesische Regierung Kindern und Jugendlichen den Besuch verboten hatte. Mit 18 zog Haiyuer Kuerban zum Studieren in die Hauptstadt Urumchi.

Generell ist es schwer, sich ein Bild davon zu machen, wie die Situation in der Region aussieht. Die Uiguren, vertreten von Organisationen wie der Ostturkestanischen Union in Europa, deren Generalsekretär Kuerban heute ist, berichten von Verhaftungen, Umsiedlungen und Zwangssterilisationen. Chinas Regierung spricht vom Kampf gegen Separatismus, Terrorismus und religiösen Extremismus. „Die Menschenrechtssituation in Xinjiang ist dramatisch“, sagt Verena Harpe von Amnesty International, „Wir hören von grausamen Foltermethoden.“

Nach seinem Studium gelang es Kuerban, nach Deutschland zu kommen, wo er nur staunte: Dass Menschen auf der Straße für ihre Rechte demonstrieren können, davon habe er vorher gehört. „Aber das war für mich genauso abstrakt wie Quantenphysik.“ Im Internet fand er Seiten, die er nie hatte aufrufen können. Nachdem er sie alle gelesen hat, ist er sich sicher, „dass die Chinesen das uigurische Volk vernichten wollen“.

Die Entscheidung, die Uiguren aus Guantánamo unter anderem auf Palau freizulassen, begrüßt er. „Aber wir sind gleichzeitig sehr enttäuscht“, sagt er. Enttäuscht darüber, dass Staaten wie die USA und Deutschland, die nach seiner Ansicht für die Menschenrechte einstehen sollten, sich weigerten, die Landsleute aufzunehmen.