Soziales
Arbeiten im Regensburger Frauenknast

Die Caritas-Suchtberaterin gewährt Einblicke in ihre Arbeit hinter Gittern. Ein Ort der Tragik – aber nicht nur.

06.04.2019 | Stand 16.09.2023, 5:39 Uhr

Hinter Gittern zu arbeiten, ist für die meisten unvorstellbar. Foto: Schophoff

Das Büro von Elisabeth Pollwein-Hochholzer liegt hinter Gittern in der Justizvollzugsanstalt Regensburg, Friedrich-Niedermayer-Straße 34. Die JVA bietet Platz für einhundert männliche Gefangene und 33 weibliche Häftlinge – der einzige Frauenknast in Ostbayern. Über dem Schreibtisch der Caritas-Suchtberaterin hängt ein farbiger DinA4-Ausdruck der sieben Werke der Barmherzigkeit. Eines davon lautet: „Sich um Gefangene sorgen“. Doch manchmal sorgen sich die Gefangenen auch um die Suchtberaterin. Genauer gesagt: um ihre Pflanzen.

Vor einem Urlaub hat Elisabeth Pollwein-Hochholzer einmal eine kraftlose, blattarme Schefflera in die Frauenabteilung gebracht – an das lichtdurchflutete Plätzchen, fünf Quadratmeter an einer Fensterfront, an dem nahezu alle Pflanzen der Justizvollzugsanstalt Regensburg stehen. Wenige Wochen später strotzte die Schefflera wieder vor Kraft. Die Häftlinge haben sich um sie gekümmert. Sie hat sie dann gleich dort gelassen. Heute rankt sie zwei Meter an der Fensterfront empor, doppelt so groß wie damals.

Eine freundliche Atmosphäre

Seit 16 Jahren arbeitet die Sozialpädagogin als externe Suchtberaterin der Caritas in der JVA Regensburg. Die Atmosphäre in der Frauenabteilung ist freundlicher als drüben in der Männerabteilung. In den Zellen, auf den Fluren, in den Gemeinschaftsräumen gibt es selbstgemachte Deko. Fotoleinwände zieren die Wände der Gemeinschaftsbereiche, die Teeküche ist blitzsauber. Vor dem Raum der Beamtinnen hängt ein Türschild: Ein Füchslein baumelt auf einer Schaukel, darüber steht der Schriftzug „Welcome“.

„Siebzig bis achtzig Prozent der Inhaftierten haben Suchtprobleme“, sagt Pollwein-Hochholzer. Nirgends sonst sind solche Menschen so gut zu erreichen wie im Gefängnis. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Joanna Sommer hat sie im Jahr 2018 196 Häftlinge in der JVA betreut, davon 35 Frauen. Den Betreuungsaufwand für Frauen schätzt sie fünfmal höher ein als für Männer. Denn Männer machen vieles mit sich selbst aus. Wenn sie in die Suchtberatung kommen, suchen sie praktischen Rat und konkrete Hilfe, beispielsweise bei der Antragstellung für einen Therapieplatz. Die Frauen hingegen wollen reden. Über ihre Geschichte: über Fehlgeburten oder sexuellen Missbrauch, über gescheiterte Beziehungen oder Prostitution. Über Gewalt. Über Kinder, die zu Hause sind bei ihrem alkoholabhängigen Vater. „Frauen haben mehr im Gepäck“, sagt Pollwein-Hochholzer.

Vor kurzem zelebrierte Bischof Rudolf Voderholzer einen Gottesdienst in der Regensburger JVA:

Nur sieben Prozent der Inhaftierten in Deutschland sind Frauen. „Was auf den ersten Blick positiv scheint, steckt in Wirklichkeit voller Probleme“, sagt Pollwein-Hochholzer. Die Frauen kommen in einen differenzierten Justizvollzug. Die Probleme inhaftierter Frauen sind nämlich oft völlig anders gelagert als die der männlichen Häftlinge. „Die Delikte sind andere, der Drogenkonsum ist höher, die Beziehungen untereinander sind emotionaler. Es wird mehr gelacht, aber auch mehr gezickt und gemobbt“, schreibt dazu der bekannte Gefängnisarzt Dr. Karlheinz Keppler in dem Buch Frauenknast. Pollwein-Hochholzer beobachtet Ähnliches in Regensburg. Dort sind Frauen in Untersuchungshaft oder mit Freiheitsstrafen von maximal einem Jahr inhaftiert. Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei 45 Tagen.

Auch die Straftaten der Frauen unterscheiden sich von denen der Männer. „Sie werden kaum Frauen mit Gewaltdelikten erleben. Wenn doch, dann ist es gleich Mord, also von langer Hand geplant“, sagt Pollwein-Hochholzer. „Frauen sind anders sozialisiert. Gewalt ist für sie in der Regel keine Lösung.“ Die meisten Frauen, die in Regensburg einsitzen, hätten mit illegalem Drogenkonsum und Beschaffungskriminalität zu tun, was mitunter auf die Lage in Grenznähe zurückzuführen sei.

Für die Arbeit der Suchtberaterin spielt der Haftgrund meist keine Rolle. „Das Delikt tritt hinter die Person“, sagt Pollwein-Hochholzer. „Egal welches Suchtmittel, egal welches Delikt – was zählt, sind die Menschen dahinter.“ In 16 Jahren Beratungstätigkeit hat sie gelernt, nicht in Schubladen zu denken. Es gäbe Schwerverbrecherinnen „voller Charme und Eleganz“ und Eierdiebinnen, „die wahnsinnig nerven“. Eine Klientin hat der Suchtberaterin mal ein Kompliment gemacht, das sie nie vergessen wird: „Sie begegnen uns auf Augenhöhe. Sie hören uns zu, ohne zu bewerten.“

Ein innerer Garten als Hilfe

Manche Frauen erzählen ihr von Bildern, von denen sie nachts überrollt werden. Erinnerungen, die sie mit dem Suchtmittel verdrängten, sind plötzlich wieder da. In solchen Fällen beginnt die Suchtberaterin das Gespräch mit einer Imaginationsübung zum „inneren Garten“, einem sicheren Ort. „Ich sage: ‚Ihr Kopf und Ihre Fantasie, das ist Ihre letzte Freiheit.‘“

Auch wenn die Frauenabteilung manchmal geradezu idyllisch wirkt, bleibt sie ein Ort der Dramen und der Tragik. „Hier wird geweint, geschrien und gestritten“, sagt Pollwein-Hochholzer, „aber auch gelacht und zusammengehalten“. Es ist ein Raum extremer Emotionen und extremer Lebenssituationen. Eben das macht für die Suchtberaterin den Reiz ihrer Arbeit aus. „Die Haft macht deutlich: So wie es jetzt ist, geht es nicht weiter.“ Viele Suchtkranke seien deshalb gerade im Gefängnis zugänglich für die Hilfe der Suchtberater.

Manche empfinden die Haft sogar als positiv, sagt Pollwein-Hochholzer. „Für einige ist die Lebenssituation drinnen besser als draußen.“ Sie erfahren zum ersten Mal eine Alltagsstruktur und verlässliche Bindungen. Für manche Frauen bietet das Gefängnis gar so etwas wie einen geschützten Raum. Sie dürfen zwar nicht raus. Aber sie können entscheiden, wer rein- kommt.

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