Handball, 2. Liga
Aus eigener Kraft Spitzenreiter: ESV Regensburg jubelt gegen Göppingen

11.12.2022 | Stand 15.09.2023, 2:33 Uhr
Gerhard Winkler
Pure Glückseligkeit: Um 18.18 Uhr gingen die Bunkerladies am Samstag in Führung und gaben sie nicht mehr ab – auch wenn es durchaus nochmal eng wurde. −Foto: Andreas Nickl

Die größte Sensation im deutschen Frauenhandball spielt sich aktuell in Regensburg ab. Vergangenes Jahr im Mai gelang dem ESV 1927 per Relegation der Aufstieg in die zweite Bundesliga. Eineinhalb Jahre später ist nun ein Traum in Erfüllung gegangen.Ein Traum, den vorher in Regensburg niemand geträumt hatte. Die Bunkerladies haben am zehnten Spieltag die Tabellenführung übernommen. An der Dechbettener Brücke schlug die ersatzgeschwächte Truppe von Trainer Csaba Szücs im Gipfeltreffen Zweiter gegen Erster das bis dato unbesiegte Frisch Auf Göppingen mit 27:24 (13:10).

Es war 18.18 Uhr als der ESV die Tabellenspitze übernahm. Zu diesem Zeitpunkt sorgte Franzi Peter für die erstmalige Führung zum 8:7 (19.). Den Platz an der Sonne trug Regensburg ununterbrochen ins Finish. Mit nun achten Partien ohne Niederlage (5/3/0) im Rücken macht sich der Tross zum Jahresausklang am Sonntag auf den Weg zum zwei Punkte weniger aufweisenden Rekordmeister HC Leipzig.

Zuschauer tragen Team

Auf der nach oben hin offenen Richterskala erreichte der nicht nur in der letzten Minute mächtig bebende Bunker einen neuen Bestwert in der ESV-Historie. Von Standing Ovations wurden die Regensburgerinnen über die Ziellinie des von einer Strafzeitenflut (14/12) begleiteten Abnützungskampfes getragen. Auf der Tribüne tosender Applaus, auf dem Spielfeld wunderbare Jubelszenen – eingebettet in „Laola“ und „Humpa, Humpa“ – sorgten für Gänsehaut pur.

Ein Statement von Göppingens Coach Nico Kiener war nicht zu kriegen: Während sich seine Mannschaft artig vom mitgereisten Anhang verabschiedete, flüchtete Kiener, auf der Bank einst mit Franzi Peter Junioren-Europameisterin geworden, – vermutlich vor lauter Enttäuschung – sofort in die Katakomben. Derweil zeigte der sonst eher nüchtern und sachlich daherkommende ESV-Trainer Csaba Szücs nach dem Husarenstück tatsächlich einen Hauch von Emotionen. „Zum ersten Mal seit unserem Aufstieg haben wir ein Ligaschwergewicht besiegt“, freute sich der Haudegen mit bewegter Stimme. „Die Tabellenführung fühlt sich sehr gut an. Ich habe bei meinen Mädels nur strahlende Gesichter und funkelnde Augen gesehen“, ergänzte der ebenso strahlende Szücs. Um dann doch zu mahnen: „Das ist eine Momentaufnahme.“ Dabei hatten den Coach mittags Hiobsbotschaften der Kränkelnden ereilt: Anika Bissel, im November ligaweit die effektivste Linksaußen, Kreisläuferin Julia Drachsler und Rechtsaußen Theresa Lettl mussten daheim per Livestream das Spitzenspiel verfolgen.

Holpriger Start beiderseits

Vom Anwurf weg legten beide Teams einen Stotterstart hin. Die ersten acht Angriffe wurden fahrig vorgetragen, viermal ging der Ball verloren, viermal wurde überhastet abgeschlossen. Zunächst kam Göppingen in Tritt und legte ein 6:2 (9.) vor. Nun kam der ESV in die Gänge. Bis zur Pause machte Torfrau Steffi Lukau sieben „Freistehende“ (6., 10., 14., 21., 24., 27., 30.) und einen Strafwurf (15.) unschädlich. Unterdessen war Franzi Peter im Positionsangriff nicht zu bändigen. Die Werte der Halbrechts – kaum fassbar: Vier Tore (6., 12., 16., 19.), viermal der finale Pass (17., 18., 24., 28.), drei gezogene Strafzeiten (2., 4., 27.) sowie ein erzwungener Strafwurf (4.).

Nach dem 13:10 zur Halbzeit schien der ESV trotz Rot (32.) gegen Nicole Schiegerl einem ungefährdeten Sieg entgegenzusteuern (17:11, 21:14, 24:18). Das zwischenzeitliche Einsetzen einer siebten Feldspielerin ging für Göppingen in die Hose: Die nach der Pause auf Torejagd gehende Marleen Kadenbach (37., 39.) und Amelie Bayerl (40.) trafen unter lautem Gejohle ins verwaiste Gehäuse.

Als Gästecoach Kiener jedoch auf kurze Deckungen (48.) gegen Peter und Kadenbach umschwenkte, kam der ESV kaum in die gefährliche Zone. Bayerl (54.) kassierte eine Zeitstrafe – bei 25:23 (56.) waren die Gäste dran. Dann musste Kadenbach (58.) ebenfalls vom Feld. Zum großen Zittern kam es nicht, weil die effizient spielende Rechtsaußen Carina Vetter eine halbe Minute später eine Strafzeit zog.