Buch
Biologe schreibt über seltsame Forscher

In „Explodierende Zahnplomben und vergiftete Pralinen“ stellt der Regensburger Winfried Köppele geniale Wissenschaftler vor.

20.08.2020 | Stand 16.09.2023, 4:45 Uhr
Inga Neumann
Winfried Köppele widmet sich in seinem neuen Buch verschrobenen Sonderlingen. −Foto: Inga Neumann

Der Regensburger Biologe Winfried Köppelle hat für sein neues Buch „Explodierende Zahnplomben und vergiftete Pralinen“ die merkwürdigsten Wissenschaftler aller Zeiten portraitiert. Unter ihnen befinden sich Nobelpreisträger und kriminelle Hochstapler, Drogen-Junkies und eine autistische Schweine-Psychologin.

Flächendeckende Corona-Tests sollen ein erneutes Aufflackern der Pandemie in Deutschland verhindern. Binnen zwei Stunden spüren die Tests am Mund- oder Rachen-Abstrich winzige Mengen des Corona-Erregers SARS-CoV-2 auf und weisen so eine Infektion mit dem Atemwegsvirus nach. Das Kernprinzip solcher Tests ist die sogenannte „Polymerase-Kettenreaktion“ (kurz: PCR). Deren Erfinder ist vor genau einem Jahr gestorben: Kary Mullis, einer der merkwürdigsten Wissenschaftler aller Zeiten.

Bei Nobelpreisverleihung fast von Polizei verhaftet

Der eigenwillige Biochemiker aus den USA war zunächst Drogenjunkie und kalifornischer Wellenreiter, und galt als durchgeknallter Hippie, als schillernder Schmetterling unter den Biochemikern – ein Freak, der laut eigener Aussage mit außerirdischen Waschbären plauderte und lieber an kalifornischen Stränden surfte, als seine wissenschaftliche Karriere voran zu bringen. Trotz allem, er wurde für den Nobelpreis nominiert aber am Abend der Verleihung beinahe von der schwedischen Polizei verhaftet.

Wie kam es nun zu der genialen Eingebung, kleinste Mengen an Erbsubstanz (DNS) nachweisen zu können, die 1983 zur Erfindung der PCR führte? Ziemlich banal auf einer nächtlichen Autofahrt entlang der Pazifikküste (mutmaßlich unter dem Einfluss der bewusstseinserweiternden Droge LSD).

Trick findet bis heute Anwendung

Bis heute gilt sein genial simpler Labortrick, mit dem alljährlich Milliarden von Dollars verdient werden, als wohl wichtigste molekularbiologische Methode überhaupt. Mittels PCR werden Vaterschaften nachgewiesen und Sexualstraftäter entlarvt, Erbkrankheiten diagnostiziert, Lebensmittel-Verunreinigungen, aber eben auch virale Erbsubstanz aufgespürt.

Winfried Köppelle, 52-jähriger Diplombiologe aus Kumpfmühl, traf den Biochemiker Mullis im Jahr 2009 persönlich. In seinem kürzlich erschienenen Buch „Explodierende Zahnplomben und vergiftete Pralinen“ hat der Regensburger Autor dem Charakterkopf aus Kalifornien ein herrlich augenzwinkerndes, literarisches Denkmal gesetzt. Er entdeckte darüber hinaus noch jede Menge weitere recht merkwürdige Naturwissenschaftler, die sich ebenfalls für ein Porträt eigneten, insgesamt zehn davon hat Köppelle in seinem Werk in Form von Kurzbiografien verewigt.

Herzkatheter im Selbstversuch gelegt

Da finden wir den legendären Berliner Arzt Werner Forßmann, der 1929 Medizingeschichte schrieb: Er legte sich im Selbstversuch den ersten Herzkathether, spazierte dann seelenruhig mit dem aus seinem Körper ragenden Gummischlauch durchs Krankenhaus und erschreckte seine Kollegen fast zu Tode; sein damaliger Chef, der berühmte Professor Sauerbruch, feuerte ihn umgehend: Mit derartigen Kunststückchen gehöre Forßmann in einen Zirkus, soll er gewettert haben. Erst 25 Jahre später kam mit dem Nobelpreis die verdiente Würdigung des lebensgefährlichen Experiments.

Ein anderes Buchkapitel ist dem „schlimmsten Erfinder aller Zeiten“ gewidmet: Thomas Midgley, dem die Menschheit sowohl das Ozonloch als auch die chronische Verseuchung unserer Umwelt mit Blei verdankt. Sowohl die FCKW als auch verbleites Benzin erfand der umtriebige Selbstvermarkter und verdiente ein Vermögen damit. Dass sich dieser genialistisch-grauslige Chemiker am Ende selbst erwürgte, ist nur ein weiterer makabrer Treppenwitz der Wissenschaftsgeschichte.

„Speziell in der Forschung ist der sprichwörtliche Grat zwischen Genie und Wahnsinn oft sehr schmal“, glaubt Köppelle, „ich denke, dass ein gewisses Maß an Exzentrik sogar Grundvoraussetzung für geniale Erkenntnisse und Erfindungen ist.“ Damit wolle er nicht behaupten, dass jeder Spitzenforscher verrückt sei. Aber es helfe durchaus, wenn man gewohnte Gleise verlasse und unkonventionelle Wege gehe – „und diese erscheinen uns Nicht-Genies eben total verrückt – zu Lebzeiten und manchmal sogar noch im Rückblick“, so der Regensburger Autor.

Sein Buch scheint diese These zu bestätigen: Auf knapp 300 Seiten reiht sich ein verschrobener Sonderling an den nächsten; in der Spitzenforschung scheint es von Ausgeflippten und Eigenbrötlern nur so zu wimmeln. Als Leser mag man kaum glauben, dass es all diese skurrilen Charaktere, Ereignisse und Handlungen wirklich gegeben haben soll. Doch Köppelle versichert: „Jeder Satz und jede geschilderte Anekdote ist wahr und genau so passiert.“ Zahllose Interviews und Gespräche mit Zeitgenossen habe er im Vorfeld geführt und nebenher dutzende Biografien und Lebensbeschreibungen gelesen.

Mit Pralinen an Richter gerächt

Auf knapp 300 Seiten präsentiert er einen bunten Strauß höchst skurriler Persönlichkeiten: Den rastlosen Quantenphysiker Richard Feynman, der einst mithalf, die Atombombe zu entwickeln und als Hobby nächtliche Indianertänze in der Wüste aufführte; den Erfinder des LSD, Albert Hofmann, der bekifft durch die Baseler Innenstadt radelte und 102 Jahre alt wurde; die autistische Nutztier-Psychologin Temple Grandin, die gerne auch mal auf einer Kuhweide schläft; oder den Primatenforscher John Buettner-Janusch, der im Institutskeller eine Drogenküche betrieb und sich an seinem Strafrichter mittels vergifteter Pralinen rächte.

Ein Buch, das Lust macht auf mehr, denn es gibt in der jüngeren Wissenschaftsgeschichte noch unzählige solch skurrile Genies. Ein Buch, das etablierte Naturwissenschaftler zum Schmunzeln bringt, und Studenten und angehende Forscher auf die interessanten Fährten des Entdeckens bringt. „Jawohl – er arbeite bereits an einem Nachschlag“, sagt der Autor.

Winfried Köppelle: Explodierende Zahnplomben und vergiftete Pralinen: Die merkwürdigsten Wissenschaftler aller Zeiten. 297 Seiten. Springer-Verlag Heidelberg, 2020. 283 Seiten, 19,99 Euro (Taschenbuch inkl. eBook). ISBN: 978-3662583319.

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