Medizin
Blutverdünner machen Not-OPs schwieriger

Immer mehr Menschen nehmen Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen. Für Unfallchirurgen ist das eine große Herausforderung.

03.01.2017 | Stand 16.09.2023, 6:31 Uhr
Ein Rettungswagen vor der Notaufnahme der Uniklinik Regensburg −Foto: dpa

Der Mann ist 70 Jahre alt. Er ist bei Glatteis gestürzt und hat sich das Handgelenk gebrochen. Er leidet unter Osteoporose und nimmt ein Medikament ein, das die Blutgerinnung hemmt. Professor Bernd Füchtmeier, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Sportmedizin am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg, spricht von einem „absoluten Klassiker“. Aber auch wenn zunehmend älteren Patienten mit erhöhtem Sturz- und Frakturrisiko in einer Notaufnahme zum Alltag gehören, werden Notfalloperationen zugleich immer komplizierter – selbst wenn es sich um ein vergleichsweise banales Trauma wie ein angeknackstes Handgelenk handelt. Ein wichtiger Grund sind gerinnungshemmende Mittel.

Nutzen und Risiken abwägen

Bis vor acht Jahren etwa hatten die Mediziner aus diesem Grund stets ein Gegenmittel in der Hinterhand, das sie verabreichen konnten, wenn jemand einen Gerinnungshemmer einnahm. Konnte eine Operation nicht aufgeschoben werden, beispielsweise nach einem schweren Unfall, ließ sich die Wirkung des Medikaments schnell ausschalten. Das änderte sich, als mit dem Wirkstoff Dabigatran das erste Präparat einer ganz neuen Art von Gerinnungshemmern auf den Markt kam. Es handelt sich um direkte beziehungsweise nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (DOAKs).

Horrorvorstellung für Chirurgen

Ernstberger hat an der Uniklinik den Vorteil, dass er mit dem Rotations-Thromb-Elastogramm (Rotem) die Blutgerinnung messen kann. Dafür braucht die Rotem-Maschine rund 15 Minuten. Am Krankenhaus Barmherzige Brüder steht ein Test zur Verfügung, der Informationen darüber liefert, wie aktiv der Faktor Xa im Blut ist, wie Professor Füchtmeier schildert. Der Faktor Xa ist eine sehr wichtige Substanz für die Blutgerinnung. Fehlt sie oder ist sie nur sehr gering vorhanden, kann man darauf schließen, dass ein Patient DOAKs einnimmt. Solche Test sind aber aufwendiger und noch nicht in allen Kliniken verbreitet. „Die Diagnostik hinkt der Therapie ein bisschen hinterher“, umschreibt Füchtmeier die Situation.

Im Herbst schlug der Unfallchirurg Marc Maegele Alarm. In einem Beitrag im Deutschen Ärzteblatt warnte der Notarzt am Klinikum Köln-Merheim vor der Herausforderung, die Apixaban, Rivaroxaban, Edoxaban und Dabigatran für die Notfallmedizin sind. Angesicht der üblichen Dosierungen sollten Operationen – falls möglich – mindestens 24, besser 48 Stunden aufgeschoben werden. Maegele hält außerdem fest, dass Störungen der Blutgerinnung bei einem Trauma mit einer höheren Sterblichkeit verbunden sind.

Ärztekammer rät zu Zurückhaltung

Die Einführung der DOAKs war mit vielen Hoffnungen verbunden. Denn mit den Vorgängerprodukten waren weder Ärzte noch viele Betroffene richtig zufrieden. Es gab unerwünschte Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Lebensmitteln. Das empfindliche Gleichgewicht der Blutgerinnung stand immer ein wenig auf der Kippe, weshalb der Blutspiegel kontrolliert werden musste. Regelmäßiges Blutabnehmen war Pflicht. Für die DOAKs versprach die Pharmaindustrie: keine Nebenwirkungen, keine Kontrollen. Doch die Begeisterung hat sich abgekühlt. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft überarbeitete Ende 2016 den „Leitfaden Orale Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern“. Darin wird Medizinern bei der Verschreibung von DOAKs zu Zurückhaltung geraten. Es ergebe sich „kein Vorteil“ einer Therapie mit den neuen Mitteln, heißt es im Leitfaden. Der Einsatz von DOAKs solle sich auf Patienten beschränken, für die besser erforschte Vorgängerprodukte nicht in Frage kommen.

Der Unfallchirurg Füchtmeier fasst zusammen: „Mit jedem Medikament entstehen neue Probleme.“ Und die neue Gerinnungshemmer verkomplizieren Notfalloperationen, manchmal sogar erheblich. Ein Rat des Chirurgen: Einen Patientenpass immer bei sich tragen.

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