Schlossfestspiele
Bryan Ferry: Musik, die Zeit braucht

Der ewige Dandy Brian Ferry startet in Regensburg unterkühlt und mit Anlauf. Der zweite Teil des Abends ist maßgeschneidert.

19.07.2018 | Stand 16.09.2023, 6:02 Uhr
Claudia Bockholt

Glamrocker Bryan Ferry hatte auf der Bühne eine aparte Begleitung: Saxofonistin und Keyboarderin Jorja Chalmers Foto: altrofoto.de

Lidschatten trägt er nicht mehr, auch das Sakko glitzert nicht wie damals, in den 70ern und 80ern, als Bryan Ferry sich wie ein geschmeidiger Paradiesvogel unter all den Bellbottomhippies und Lederkuttenträgern, den Bundfaltenpoppern und Irokesen-Punks in neue Dimensionen emporschwang. Im weißen Tuxedo eleganten Rock zelebrieren – das war in den Anfangsjahren von Roxy Music absolute Avantgarde. Mit ihrem Lichtspielhaus-Namen „Roxy“ zeigte die britische Band schon an, was sie zu bieten hatte: Das Eintauchen in eine faszinierend vielfältige, andere Welt. Ganz großes Kino.

Fast 50 Jahre später entfaltet sich dieses besondere Artrock-Universum mit einigen Rucklern und nur allmählich vor den Besuchern der Schlossfestspiele. Der Sound stimmt nicht, Bryan Ferrys noch immer charismatischer, aber leicht brüchig gewordener Crooner-Bariton geht unter im schlecht abgemischten Getöse. Nur ein kleiner Bereich unterhalb der Lautsprecher bleibt verschont vom dröhnenden Bass-Matsch, dem auch die Background-Sängerinnen Bobbie Gordon und Hannah Khemoh nichts entgegenzusetzen haben. Allein das – unvermeidliche, weil zeittypische – Saxofon von Jorja Chalmers dringt lasziv und brillant zu den Fans durch. Die schöne Australierin, wie einem Tarantino-Film entsprungen, bekommt am Ende vom männlichen Teil des Publikums besonders freundlichen Beifall.

Nur Kühle statt Coolness

Bryan Ferry hingegen muss sich mühsam zum Publikum durcharbeiten. Das liegt einerseits daran, dass er neben Hits wie „Don‘t Stop The Dance“ und „Oh Yeah!“ im ersten Set vor allem weniger bekannte Roxy-Music-Songs wie „Ladytron“ und „Out Of The Blue“ singt, dazu Nummern früher Solo-Alben, „Casanova“ etwa, vom dritten Solo-Album „Let’s Stick together“ aus dem Jahr 1976, das Jahr, als Roxy Music sich zum ersten Mal auflöste. Oder „A Waste Land“ aus dem Jahr 1985. Musik aus längst vergangenen Tagen, an die die Fans zunächst nicht andocken können. Statt eleganter Coolness herrscht Kühle.

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Der Dandy unter den Popstars wirkt unnahbar. Seine Zurückhaltung ließe sich leicht als Arroganz fehldeuten. Nur für kurze Momente huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Dann jedoch weiß frau sogleich, warum dieser Kerl zuletzt mit einer 36 Jahre jüngeren Frau verheiratet sein konnte. Seine Begründung, es gebe halt in seinem Alter „einfach zu wenig Frauen“, lassen wir einfach mal als britischen Humor durchgehen. Der 72-Jährige hat sehr viel Charme. Dem verfiel schon Jerry Hall, bevor sie sich doch für Mick Jagger entschied.

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Die Stimmungslage wechselt erratisch zwischen Popsüße und Rock‘n‘ Roll. Ferry singt ins Mikro und doch an den Zuschauern vorbei, die Augen geschlossen oder den Blick auf ein fernes, unsichtbares Ziel gerichtet. Er beschwört eindringlich die „Bête Noire“, die schwarze Bestie, vom gleichnamigen 87er-Album, untermalt vom folkloristischen Fiedeln Marian Moores. Nur: Das Biest kommt nicht, auch die rechte Stimmung lässt auf sich warten.

Nach der Pause ist alles anders. Der Sound stimmt, Ferry geht aus sich raus – so, als helfe ihm die nun herrschende Dunkelheit dabei, ins Scheinwerferlicht zu treten und seine Fans anzustrahlen. Eine opulente Lightshow, packende Soli von Ferrys erstklassigem Gitarristen Chris Spedding, mit dem er schon in den 70ern im Studio war: Die Show nimmt mächtig Fahrt auf. Großartig ist das mysteriöse, wuchtige „In Every Dream Home A Heartache“ aus dem Jahr 1973, mit seinen kleinen, sparsamen, aber zwirbelnd bohrenden Orgelakkorden im Nacken.

Auch unser Schlossfestspiele-TV-Team war am Mittwochabend im Schloss.Ab 20 Uhr finden Sie hier eine aktuelle Folge.

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Der Glamourfaktor, den der Name Bryan Ferry verheißt, wird interessanterweise mehr über die riesige Discokugel eingelöst, die auf der Bühne über seinem Haupt schwebt. Als Dandy des Pop, als Stilikone, sogar als den „Gott des guten Geschmacks“ hat man ihn schon tituliert. Dabei interessiert er sich, anders als David Bowie, mit dem er vielfach in eine Reihe gestellt wird, gar nicht für Mode.

Der Sohn eines Pflügers aus Nordostengland will nur zu jedem Zeitpunkt gut angezogen sein. Als Schüler trug er Zeitungen aus und arbeitete jeden Samstag im Laden eines Schneiders. Gute Stoffe und der perfekte Schnitt: Das sei es, was ihn interessiere, sagte er in einem Interview. Und außerdem, „wäre meine Mutter außer sich gewesen, wenn ich auf der Bühne nicht ordentlich angezogen wäre.“

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Musik, die sich Zeit nimmt

Mrs. Ferry wäre gewiss „proud as punch“ auf ihren Bryan, der jetzt im Schlosshof einen Hit nach dem anderen in den warmen Sommerabend hinausschmilzt: „Slave To Love“, „More Than this“, „Avalon“ und John Lennons „Jealous Guy“ – nicht wie von der Platte, sondern jedes mit einem kleinen neuen Kick. Das ist Musik, die sich Zeit nimmt und die Zeit braucht. Am Ende hätte die tanzende Menge gerne noch mehr gehabt.

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