Mediziner-Kongress in Regensburg
Chef der Landesärztekammer fordert bundesweit 6000 Medizin-Studienplätze extra

13.10.2022 | Stand 15.09.2023, 3:23 Uhr
Eine gute medizinische Versorgung von den Hausarztpraxen bis zu den Kliniken ist ein Grundaufgabe. Doch ohne Gegensteuern drohen große Engpässe, sagt der Präsident der Landesärztekammer, Gerald Quitterer. −Foto: dpa

Landesärztekammer-Präsident Gerald Quitterer warnt vor wachsenden medizinischen Versorgungslücken nicht nur im ländlichen Raum. Selbst in Städten wie dem oberpfälzischen Weiden sei es inzwischen schwer, Praxisnachfolger zu finden.

Das Problem sei bundesweit zu beobachten – ebenso in europäischen Nachbarländern. Quitterer schlägt sofortige Gegenmaßnahmen vor: Die Zahl der bundesweiten Studienplätze müsse zügig um 6000 auf 16000 aufgestockt werden – in einem gemeinsamen Kraftakt der Politik und der rund 40 medizinischen Fakultäten in Deutschland.

Es mangele nicht an jungen Menschen, die sich ernsthaft für das Medizinstudium interessierten, sondern an Ausbildungsplätzen. Als Beispiel nannte er die Bewerberzahlen für das bayerische Förderprogramm zur Landarztquote. Von 400 Aspiranten fürs kommende Semester seien 131 zum Zug gekommen. Beim Ärztekongress, der an diesem Freitag in Regensburg startet, legt Quitterer noch zahlreiche weitere Forderungen auf den Tisch. Alle lassen sich auf einen Nenner bringen: Mehr Wertschätzung für Ärzte, die – egal ob in Praxen oder Krankenhäusern – am Limit arbeiteten.

Zweifel an Höhe des Defizits

Die aktuell von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach geplanten deutlichen Kürzungen im Gesundheitswesen sind für Quitterer das krasse Gegenteil. Der Facharzt für Allgemeinmedizin aus dem niederbayerischen Eggenfelden stellt in Frage, ob der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr tatsächlich ein Defizit von 17 Milliarden Euro droht. Die Zahl basiere auf Schätzungen, nicht auf exakten Berechnungen, werde nun aber als Argument für drastische Einschnitte genutzt. Unter anderem soll die so genannte Neupatientenregelung gestrichen werden. Sie gleicht erhöhten Betreuungsbedarf aus. „Das ist kein Bonus, sondern Honorar, das nicht gekürzt werden darf“, sagt der 66-Jährige. Stabile finanzielle Rahmenbedingungen sind nach seinen Worten ein wichtiger Faktor, um die medizinische Versorgung in allen Landesteilen auf Dauer zu sichern. Quitterer ärgert obendrein, dass nächstes Jahr bei den Honoraren trotz Energiekrise eine Nullrunde geplant ist – abgesehen von einem zweiprozentigem Inflationsausgleich. Er brauche einen reellen Finanzausgleich. Energiesparen sei bei der medizinischen Versorgung nur eingeschränkt möglich. So hätten etwa radiologische Praxen einen hohen Strombedarf. Auch Hausärzte stießen an Grenzen. „Ich kann die Patienten nicht im kalten Wartezimmer sitzen lassen.“

In der Zukunft wird der Bedarf an Ärzten wachsen und das nicht allein wegen der alternden Gesellschaft. Quitterer verweist auf den Klimawandel, der inzwischen deutliche medizinische Folgen zeigt. Klimasprechstunden könnten künftig zum Standardrepertoire gehören. In den Kommunen und Pflegeeinrichtungen müsse über Kühlräume nachgedacht werden.

Kein Sport bei großer Hitze

Beim Kongress in Regensburg wird über einen Antrag abgestimmt, der den Verzicht auf Sportunterricht in Hitzewellen fordert. Denn auch bei Jugendlichen kann es zum Kollaps kommen. Temperaturen weit über 30 Grad treffen nach Quitterers Angaben aber natürlich speziell ältere Menschen besonders hart. So nimmt die Zahl der Schweißdrüsen bei Senioren am ganzen Körper ab, die nötige Kühlung funktioniert oft nur noch über Hände und Füße – und bei Durchblutungsstörungen auch da nur eingeschränkt. Zu den Hauptleidtragenden zählten jedoch nicht nur Patienten. Dicht in Schutzkleidung eingepacktes Personal auf Intensivstationen müsse in Hitzesommern über Stunden hinweg mit erhöhter Körpertemperatur hochkonzentriert Arbeit leisten.

Die 68200 Ärzte in Bayern wie auch das medizinische Fachpersonal stehen nach Quitterers Worten seit Beginn der Corona-Krise vor rund zweieinhalb Jahren unter Hochdruck. Gerade sehe man sich mit der siebten Welle konfrontiert. „Schwere Krankheitsverläufe nehmen wieder zu. Viele Infizierten müssen länger als eine Woche arbeitsunfähig zuhause bleiben.“ Die Ursache ist für ihn klar. „Das ist auch ein bisschen dem geschuldet, dass wir nachlässig geworden sind.“ Für den Winter rät Quitterer zum Maske tragen, zum Abstand halten – und zum neuen Stopp beim Händeschütteln.

Zur Info: Von Corona bis Klimawandel

Kammervorsitz:Dr. Gerald Quitterer, Facharzt für Allgemeinmedizin mit Praxis im niederbayerischen Eggenfelden, steht seit Februar 2018 an der Spitze der bayerischen Landesärztekammer.

Verband:Die Landesärztekammer ist die Berufsvertretung der 68 200 praktizierenden Ärzte im Freistaat . Sie gliedert sich in acht Bezirksverbände und 63 ärztliche Kreisverbände. Beim Ärztekongress von Freitag bis Sonntag in Regensburg treffen 180 Delegierte zur Kursbestimmung zusammen.

Auf der Agenda:Der große Spardruck im Gesundheitswesen, die hohen Kostensteigerungen durch Inflation und Energiekrise in Praxen und anderen medizinischen Einrichtungen, die Corona-Pandemie sowie die Folgen des Klimawandels aus medizinischer Sicht stehen beim Kongress im Fokus. is