Fussball
Christian Keller: Zweite Chance genutzt

Rasante Talfahrt, unglaublicher Erfolg – der Geschäftsführer hat in seinen bisherigen fünf Jahren beim SSV Jahn viel erlebt.

04.05.2018 | Stand 16.09.2023, 6:03 Uhr |

Der Chef als Beobachter: Christian Keller hat beim SSV Jahn alles im Blick. Foto: Nickl

Vor den Spielen des SSV Jahn steht Christian Keller oft an der Seitenlinie des Fußballplatzes. Die Hände in die Hüften gestemmt, verfolgt er das Aufwärmen der Mannschaft. Er beobachtet die Spieler, die er geholt hat, und den Trainer, den er geholt hat, wie sie sich vorbereiten. Jetzt beginnen die knapp zwei Stunden, in denen er nichts mehr machen kann. In denen er nur zusehen darf und abwarten muss, was geschieht.

Seit fünf Jahren ist der jetzt 39-jährige Christian Keller Geschäftsführer des SSV Jahn Regensburg. Als er den Verein im Sommer 2013 übernahm, kannte ihn in Regensburg praktisch niemand. Nun kennen ihn sehr viele. Keller hat sich reingearbeitet – in den Klub und in die Region. Er hat in den fünf Jahren in Regensburg alles erlebt, was ein Fußball-Manager erleben kann: ruhige Zeiten, nicht mehr so ruhige Zeiten, ganz schlimme Zeiten, schöne Zeiten und wunderschöne Zeiten. Er stürzte mit dem Klub in die Regionalliga ab und stieg mit ihm wieder auf, bis hinauf in die 2. Liga. Dass er trotz dieser ganzen Berg- und Talfahrt noch im Amt ist, ist im schnelllebigen Fußballgeschäft ein kleines Wunder.

„Ich finde Regensburg sehr, sehr schön. Heimat bleibt aber Heimat“, sagt Keller. Und Heimat ist für ihn Baden-Württemberg, genauer Gutmadingen. Dort ist er aufgewachsen. Wenn Keller spricht, ist das Badische noch gut zu hören. Er wolle sich das auch nicht abgewöhnen, sagt er, obwohl er den bairischen Dialekt sehr mag: „Ich finde ihn sogar schöner als den badischen, der hat einfach gewissen Charme.“ Er scheint aber nicht alles danach ausrichten zu wollen, dass die Menschen in der Oberpfalz sagen, der gehört zu uns. Er hat sich kein Haus gekauft, er wohnt zur Miete. Und er spricht nach fünf Jahren beim Jahn immer noch so, wie er eben spricht.

2. Mai 2015. Es ist der absolute Tiefpunkt in Kellers bisheriger Karriere. Der SSV Jahn steigt nach einer Niederlage in Halle in die Regionalliga ab. Absturz in den Amateurfußball – und das nur wenige Wochen vor der Eröffnung des neuen Stadions. Für die Fans ist der Geschäftsführer der Sündenbock. Sie schreien „Keller raus“. Er hat das Team zusammengestellt und es als Team gepriesen, das tollen Fußball spielen werde. Doch bald geht alles schief. Keller muss seine Entscheidungen korrigieren, wechselt den Trainer, kauft neue Spieler ein. Der Jahn ist aber nicht mehr zu halten.

Abseits des Platzes viel bewegt

„Für mich hier hängen geblieben ist vor allem das hohe Maß an Loyalität und Integrität, das mir im Innenverhältnis des Jahn trotz des sportlichen Desasters entgegengebracht wurde“ sagt er, wenn er über diese Zeit spricht. Keller darf trotz des Abstiegs bleiben, was sicher auch daran liegt, dass er in den zwei Jahren, die er schon beim Jahn ist, abseits des Platzes viel bewegt hat. Er hat dem Klub neue Strukturen verpasst, er hat ein Mitarbeiterteam um sich herum aufgebaut und unzählige Gespräche mit Sponsoren geführt. Das wird nicht vergessen. Keller erhält eine zweite Chance – und er wird sie nutzen.

29. Mai 2016. Die Spieler des Jahn hüpfen wie kleine Kinder über den Platz in der Continental-Arena. Sie feiern den Aufstieg in die 3. Liga. Auch die Zuschauer sind aus dem Häuschen, jubeln auf dem Rasen gemeinsam mit der Mannschaft. Keller steht derweil an der Seitenlinie und plaudert mit Jahn-Präsident Hans Rothammer.

Ein Jahr später, am 30. Mai 2017, schlendert Keller langsam durch die Katakomben der riesigen Allianz-Arena in München. Der Jahn hat den TSV 1860 vom Platz gefegt und ist schon wieder aufgestiegen. Die Spieler tanzen wieder herum, Keller ist wieder ganz ruhig. Kein Triumphgeheul, keine großen Ansagen. Er wirkt, als ob er den Moment still genießt.

Keller hat internationale Betriebswirtschaftslehre studiert, einen Doktortitel erworben und Sportmanagement unterrichtet. 2010 arbeitete er für ein Beratungsunternehmen, das beim Jahn tätig war. Der Kontakt blieb auch danach erhalten und verhalf ihm 2013 zu einem festen Job im Profi-Fußball. Seit seinem ersten Tag in Regensburg scheint er wie besessen für den Erfolg zu arbeiten. Eine 70-Stunden-Woche sei normal, sagt er – und da seien die Spiele des Jahn und die Fahrten zu ihnen gar nicht eingerechnet. Ganz oder gar nicht – so ist seine Haltung zum Job eines Fußball-Managers.

„Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass ich im Profi-Fußball in Rente gehe.“Christian Keller

Um etwas Ausgleich zu haben, treibt er regelmäßig Sport, vor allem Laufen oder Radfahren. Abends schaut er gerne mal eine Stunde Fernsehen, dann am liebsten etwas Unterhaltsames, wie er erzählt. Das sei es dann auch schon mit freier Zeit. Ganz allgemein sei sein Job für ein „normales Privatleben nicht so optimal“, räumt der ledige Jahn-Manager offen ein: „Es wäre ja nicht so schön, wenn ich meiner Freundin sagen würde, dass sie zum Fußball kommen muss, wenn wir uns sehen wollen. Aber ich arbeite daran, dass es besser wird.“ Ansonsten will er sich zu Privatem nicht äußern.

Ob Keller in seiner Karriere im Fußball nur in Regensburg arbeiten wird, weiß keiner, vermutlich er selbst auch nicht. Gegen eines verwehrt er sich aber energisch: gegen die Spekulation, dass er den Jahn nur als Sprungbrett benutzen will, um irgendwann bei einem ganz großen Klub zu arbeiten. „Ich kann nicht ausschließen, dass es einmal so kommt. Das ist aber kein Karriere-Ziel von mir.“ Lieber denkt er darüber nach, was mit dem Jahn selbst möglich ist. Als der Klub 2016 aus der Regionalliga in den Profifußball zurückgekehrt war, habe er schnell ein sehr gutes Gefühl gehabt, erinnert er sich. Das Gefühl, „dass mehr möglich ist und wir Grenzen verschieben können“.

Beschimpft, respektiert, gefeiert

Keller hat viel erlebt beim Jahn. Er wurde beschimpft und belächelt, er wurde respektiert und gefeiert. Als es nicht so gut lief, verhöhnten die Fans ihn als „Fußball-Professor“, der alles nur aus Büchern kenne und in der Praxis überfordert sei. Als der Erfolg kam, wurde er von den Fans für die klaren Konzepte, mit denen er arbeitet, gelobt.

Er selbst hat sich über die fünf Jahre verändert. Er sei immer noch ein Perfektionist, sagen Weggefährten über ihn, gehe die Dinge aber etwas entspannter an. 2014, während des sportlichen Totalabsturzes, wirkte Keller angefasst. Als er die Entlassung des damaligen Trainers Alexander Schmidt verkündete, stockte ihm die Stimme. „Eine personelle Entscheidung beschäftigt mich immer“, sagt er auch heute noch. Dennoch scheint Keller gelassener geworden zu sein. Dies schließt natürlich nicht aus, dass er es knallhart anspricht, wenn etwas nicht so läuft, wie er es sich vorgestellt hat. „Ab und zu muss man auch mal deutlich werden“, umschreibt er das selbst.

Keller hat fünf Jahre an der Spitze eines Fußball-Klubs überlebt. Es gab harte Entscheidungen und harte Kritik – schlaflose Nächte aber nicht. „Tatsächlich kann ich schlafen wie ein Baby, egal was davor war. Das sehe ich als große Gabe an, für die ich sehr dankbar bin.“ In den vergangenen drei Jahren ging es beim Jahn nur in eine Richtung: nach oben. Die schwierigen Zeiten scheint Keller aber nicht im Geringsten vergessen zu haben. Ganz im Gegenteil wird er bei der Aussicht auf viele weitere Jahre an vorderster Front nachdenklich: „Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass ich im Profi-Fußball in Rente gehe.“

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