MZ-Serie
Daheim ist, wo sie Filme drehen will

Kathrin Anna Stahl macht Musik, ist Schauspielerin und Regisseurin. Vor allem aber ist und bleibt sie eines: Oberpfälzerin.

20.01.2016 | Stand 16.09.2023, 6:52 Uhr
Katja Meyer-Tien
Schmalz, Weihwasser und Mamas Jacke: Für Kathrin Anna Stahl aus Irchenrieth bei Weiden bedeutet die Oberpfalz in erster Linie Essen, Glaube und Geborgenheit. −Foto: kmt

Es gibt dieses Video auf YouTube, ein wenig verrauscht und ein wenig verrückt, da steht Kathrin Anna Stahl mit ihrer Band Schicksalscombo im Regen an einem Bach und singt über Heimat. „Was für mi Heimat ist, das kann ich euch sagen ganz gwiss. Viel fressen, bis dass ich platz, den Rest, den kriegt die Katz“, singt sie da, oder: „Heimat ist da, wo’s am schönsten ist. Und wo’s am meisten wehtut“.

Ihre Heimat, ihre Herkunft, ihre Oberpfalz: Das ist ein Thema, das Kathrin Anna Stahl beschäftigt. Weit ausladend, theaterbühnenhaft sind ihre Gesten, als sie von ihrer Arbeit und von daheim erzählt, an diesem Morgen in einem Münchner Café, an dem der Szeneverkehr des Glockenbachviertels vorbeirauscht. Sie steckt zwischen den Proben mit ihrer Band, den Vorbereitungen für ihren ersten eigenen Spielfilm, Dreharbeiten für eine Fernsehserie und Theaterproben, aber an diesem Morgen ist sie ganz da, hochkonzentriert und doch locker.

Aussicht auf eine Hauptrolle

„Den Ball flachhalten, das können die Oberpfälzer“, sagt sie. So wie ihre Mutter damals. Stahl muss lachen, als sie die Geschichte erzählt, überhaupt lacht sie viel, erzählt schnell und mit Gespür für Pointen. Stahl war Mitte 20, hatte das Konservatorium in München abgeschlossen, die Prüfung zur Schauspielerin abgelegt, ihre erste Hauptrolle in einer Operette am Theater Konstanz gespielt. Dort hatte Andrea Schwalbach ihren Auftritt gesehen, damals Regisseurin an der Staatsoper unter den Linden in Berlin. Und sie zum Vorsprechen für eine Hauptrolle eingeladen.

Stahl war hysterisch, erzählt sie, Berlin! Staatsoper! Sie! Völlig aufgelöst rief sie damals ihre Mutter an. Und bekam zu hören: „Da fährst du aber nicht mit dem Auto hin. Du fährst mit dem Zug.“ Pragmatismus pur. Stahl war wieder auf der Erde. „Wenn ich zu Hause gewesen wäre, hätte meine Mutter wahrscheinlich gesagt: Beruhige Dich, wir essen jetzt erst mal, wasch schon mal den Salat.“ So einfach.

Konstanz und Berlin waren die ersten beiden großen und entscheidenden Engagements für Stahl. Bis dahin hatte sie gehadert, erzählt sie. Die Ausbildung zur Opernsängerin am Münchner Konservatorium: ein Kampf. Mit der Lehrerin, mit den selbst- und siegesbewussten Mitschülern, mit sich selbst. Drei Jahre des Selbstzweifels, die eigenen Makel immer im Fokus. Hin- und hergerissen zwischen dem Außenseiterdasein als Oberpfälzer Mädchen aus dem kleinen Irchenrieth bei Weiden, mit ihren Chucks, Bob-Marley-T-Shirt und Dialekt so anders als die angehenden Operndiven aus aller Welt. Aber mit dem Ehrgeiz: „Euch zeige ich es allen“. Wenn andere fragten, was sie studiere, sagte sie: Lehramt. „Ich war doch keine Künstlerin. Ich war doch normal.“

„Das war so abgefahren, so geil“

Aber sie wollte unbedingt auf die Bühne, also nahm sie nebenbei noch Schauspielunterricht, schaffte alle Prüfungen „erstaunlicherweise doch ganz gut“ und ist heute eine der ganz wenigen Künstlerinnen in Deutschland, die eine klassische Gesangsausbildung und eine Schauspielausbildung vorweisen können. Und als sie in Konstanz das erste Mal auf der Bühne stand, da wusste sie auch, wofür sie so lange gekämpft hatte: „Das war so abgefahren, das war so geil“, schwärmt sie noch heute: „So will ich das. Und zwar total.“ Sie hatte eines gemerkt: Das Singen alleine reichte ihr nicht, sie brauchte auch das Theater.

Und das nicht nur auf der Bühne. Immer mal so nebenbei hatte sie schon während des Studiums hinter die Kulissen des Theaters, aber auch des Films geschaut, hatte Cutter, Tontechniker und Kameraleute begleitet. Regieassistenz bei Marcus H. Rosenmüller, der damals, so erzählt sie, an der Münchner Filmhochschule noch sehr schräg dafür angeschaut wurde, dass er bayerische Filme machte. Und der sie aber „vollkommen umhaute“ in seiner Offenheit, mit der er auf die Menschen zuging. Wie sich sein ganzer Heimatort Hausham versammelt hatte, um mit ihm zu drehen, und wie er für jeden immer ansprechbar war: „Dieses Herz und diese Leidenschaft, das ist einer, mit dem gehst Du mit, da haust Du Dir jede Nacht um die Ohren.“ Bis heute, sagt Stahl, ist Rosenmüller ein Vorbild für sie.

Kathrin Anna Stahl spricht im MZ-Video über die Oberpfalz – und ihre Lieblingswörter:

Zumal der Bayerische Film, der Heimatfilm im besten Sinne, genau ihr Thema ist. Nach einigen Jahren Engagements an verschiedenen deutschen Theaterhäusern, vielen Reisen und großen Erfolgen kam der Punkt, als ein Regisseur sie bat, ihren Text doch einmal Oberpfälzisch zu interpretieren. Sie war perplex, und dann sprudelte es mit solcher Inbrunst aus ihr heraus, dass sie selbst überrascht war. Da wollte sie heim. Oder zumindest nicht mehr ganz so viel herumreisen und jedes Engagement annehmen.

Dazu kam dann die Idee mit dem eigenen Film. „Keiner macht Filme über die Oberpfalz!“, sagt sie, es klingt empört, aber sie kann es erklären: „Die Oberpfalz ist halt nicht schön. Nicht filmerisch schön. Da ist nicht alles frisch gestrichen, das Grün ist nicht so fett und die Bauernhöfe sehen so aus wie Bauernhöfe eben aussehen. Die Oberpfalz hat keine Lust, sich zu verbiegen.“ Aber gerade das macht sie für Stahl so spannend.

Allein die Grenzregion, vor der Grenzöffnung und auch heute noch aufregend und gefährlich. Skurrile Dörfer, Straßen ins Nichts, Sexshops und Vietnamesenmärkte hinter der Grenze: „Das ist so cool, das hat sonst keiner.“ Das ist die Gegend, in der sie ihre Filme drehen will, auch den Spielfilm, den sie gerade plant.

Ein Film mit Miroslav Nemec

„Letzte Ausfahrt Weiden Ost“ hieß Stahls erster Kurzfilm. Der fing ganz klein an, eigentlich wollte sie bloß mal ausprobieren, ob sie so was kann. Und wurde plötzlich immer größer, bis Stahl irgendwann ein Team von 45 Leuten um sich hatte, darunter bekannte Schauspieler wie Miroslav Nemec genauso wie die heute 84-jährige Nachbarin ihrer Mutter, Frau Miller. Filmatmosphäre zwischen Hollywood und Jugendcamp, jeder Drehtag endete mit Schnaps in Mamas Küche, und Stahl hatte zwei neue Erkenntnisse gewonnen: Ja, sie kann Regie führen. Und ja, es macht ihr Spaß.

Stahl lebt jetzt in München, hat sich mit ihrer Band und diversen Filmrollen neben dem Theater ein paar weitere Standbeine aufgebaut und fährt alle paar Wochen nach Hause, zum Krafttanken, Runterkommen und zum Schreiben. Sie ist glücklich, dass sie endlich all das machen kann, was sie will. Gleichzeitig. Auch wenn ihr immer alle gesagt haben, sie müsse sich für einen Weg entscheiden: „Ich habe mich entschieden, mich nicht zu entscheiden.“

Aufmerksamen Fernsehzuschauern dürfte Kathrin Anna Stahl in letzter Zeit auch hin und wieder im TV begegnet sein: in den Werbespots von Weltbild und Sixt.

Lesen Sie mehr:

Auch wenn sie oft schon lang weg sind: Viele Oberpfälzer in München fühlen sich ihrer Heimat eng verbunden. Die MZ stellt in der Serie „Oberpfälzer in München“ einige von ihnen vor.Hier geht es zu allen Folgen der Serie.

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