Porträt
Das Geheimnis seiner Kiefern

Jörg Schemmann gilt als Star der regionalen Kunstszene. Er begann Ende der 1970er-Jahre als radikaler Außenseiter.

20.01.2020 | Stand 12.10.2023, 10:20 Uhr
Helmut Hein

Jörg Schemmann posiert vor einem seiner Werke. Foto: Herbert Stolz/ RegensburG

RegensburgJörg Schemmann, Jahrgang 1959, war, als er Ende der 1970er- Jahre, parallel zu einem Jurastudium, ernsthaft zu malen begann, ein radikaler Außenseiter. Um nicht zu sagen: ein Misfit, nicht gesellschaftsfähig. Denn er tat etwas, was man damals nicht tun durfte: Er malte gegenständlich. Und er wollte mit (seiner) Kunst nicht die Welt verändern, ja nicht einmal korrekt kommentieren.

Dass er kein Genosse war, stand also fest. Aber war er überhaupt ein Zeitgenosse? Heute scheint die Frage eindeutig beantwortet: Schemmann ist der Star, der unbestrittene Marktführer der regionalen Kunstszene. Er malt bis zu hundertzwanzig oft großformatige Bilder im Jahr – und er könnte noch deutlich mehr verkaufen. Seine Gemälde – in Acryl, neuerdings auch wieder in Öl – hängen in zahlreichen Vorstandsbüros, Verwaltungsgebäuden, Krankenhäusern und natürlich in Privatwohnungen; nicht nur deutschland-, sondern mittlerweile auch europa- und weltweit. Und doch treibt ihn die Frage nach der Zeitgenossenschaft nach wie vor um, wie sich in einem längeren Gespräch im großzügigen Showroom direkt unter der Nibelungenbrücke zeigt.

Vorbilder aus der Düsseldorfer Schule

Warum? Der düstere Feuerkopf Arthur Rimbaud hatte vor hundertfünfzig Jahren allen Künstlern ins Stammbuch geschrieben: „Man muss absolut modern sein!“ Er hatte damit Epoche gemacht. Noch bei Brecht hieß es: „Lieber an das schlechte Neue als an das gute Alte anschließen.“ Mit Rimbaud begann die Ära des Avantgardismus, der erst in der Postmoderne allmählich seine exklusive Kraft verlor. Schemmann gehörte nie dazu. Er blieb ein Solitär. Auch wenn er Kollegen wie Kirchner durchaus schätzt: Seine wahren Helden aber hießen Dücker oder Kunert. Vorbilder fand er in der Düsseldorfer Schule des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Repertoire: Effekte:
Der Künstler Jörg Schemmann hat über die Jahrzehnte seine Vorliebe für bestimmte Motive ergänzt. Zum Beispiel malt er neuerdings auch Berglandschaften. Dabei handelt es sich um sehr eigene und überwältigende Visionen – etwa der Dolomiten oder der sardischen Bergwelt.Typisch für Jörg Schemmann sind großformatige Bilder von Kiefernwäldern, Blumen und blühenden Zweigen. Wer darin eine Nähe zum Impressionismus vermutet, liegt allerdings falsch. Besonders sorgfältig wählt Schemmann beim Malen seine Farben aus und schafft damit auch räumliche Effekte.

Seine zumindest auf den ersten Blick altmeisterliche Art hat bis heute das Zeug, Andersdenkende und -malende zu provozieren. Dabei war Schemmann nie ein Epigone. Die Schönheit, als deren Anwalt er sich – quer zur vorherrschenden Ästhetik des Hässlichen – durchaus sah, war stets weit entfernt von allem Kitsch oder auch nur einer bequemen Gefälligkeit. Schemmann hielt über die Jahre an seinen Motiven fest. Aber er folgte dabei durchaus Adornos bekanntem Postulat, die Voraussetzung von Kunst sei die ständige Weiterentwicklung der Form(en).

Schemmann ist über die Region hinaus bekannt

Lange waren die Kiefern sein Lieblingsmotiv; und nur scheinbar wiederholte er sich bei dem Versuch, ihr Wesen, ihren innersten Kern zu verstehen. Wer Francis Ponges wunderbares „Notizbuch vom Kiefernwald“ kennt, während der deutschen Besatzung und zur Zeit des Faschismus entstanden, später von Peter Handke ins Deutsche übersetzt, der weiß, dass die tiefe, nachhaltige Revolte gegen die Inhumanität im besten Fall andere, haltbarere Formen annimmt, als es das rasche beliebige Statement vermag, das vor allem „à jour“ sein will; also bloß das ausspricht, was gerade alle hören wollen. Beim Betrachten von Schemmanns Bildern kommt man, ob man nun will oder nicht, in eine Schule des Sehens, die rasch zu einer Schule des Denkens wird.

Wie bedeutend Schemmann mittlerweile auch über die Grenzen der Region hinaus ist – die sich ja für viele als unübersteigbare Hürden erweisen – das zeigen verschiedene Tatsachen. Etwa, dass er bei renommierten Schauen wie der Art Karlsruhe von seinem Galeristen exklusiv präsentiert wird, dass er den hoch angesehenen Kunstpreis der „Nürnberger Nachrichten“ vor nicht allzu langer Zeit schon zum zweiten Mal erhielt und dass ihm jüngst beim großen Jubiläum – die 50. Ausgabe – des Münchner Kunstmagazins „Mundus“ die Ehre des einleitenden Einzelporträts mit zahlreichen Abbildungen seiner Werke zuteilwurde; verfasst übrigens von Lena Naumann, der Chefredakteurin, höchstpersönlich.

Wenn Schemmann nicht das Geheimnis der Kiefern erkundete, widmete er sich in der Vergangenheit mit Vorliebe Blumen und, vor allem, Blüten, deren Darstellung zu seinem Markenzeichen wurde. Mit der aus der Tradition vertrauten „nature morte“ hatte das nichts zu tun; eher schon handelte es sich um „nature vivante“, Studien am lebenden Objekt. Wer da spontan eine Nähe zum Impressionismus vermutet, liegt freilich falsch. Schemmann: „Denen ging es ums Licht.“ Und ihm? „Um den Raum.“ Und er hat so seine Tricks, (die Illusion von) Räumlichkeit herzustellen, obwohl seine Bilder, auch die in Öl, vollkommen flächig sind, auf jede reliefartige Aufrauhung des Materials verzichten. Schemmann: „Ich bin schließlich kein Bildhauer.“ Obwohl er durchaus, wenn es um die lukrative Kunst am Bau ging, etwa kinetische Brunnen hergestellt hat.

Farben sorgfältig gewählt

Räumlichkeit ergab sich bei ihm zunächst aus der sorgfältigen Wahl und dem Einsatz von Farben. Blau etwa, die Farbe des Himmels, vermittelt den Eindruck der Ferne, zieht sich zurück und schiebt den jeweiligen Gegenstand gewissermaßen in den Vordergrund. Neuerdings setzt Schemmann auch gerne Schatten ein, um räumliche Effekte zu erzielen. Wobei sich gerade hier zeigt, dass er, der Meister der Figuration, kein realistischer Maler im engeren Sinn ist. Er wählt die Form des Schattens frei – und nicht als korrektes Abbild in einer zweiten Dimension. Jedes Bild ist nicht einfach die Realität noch einmal – das wäre langweilig – sondern das Resultat einer Verarbeitung und Verdichtung des Vorhandenen im Inneren des Künstlers.

Schemmann spielt gern mit vertrauten Motiven; er zitiert sie auch bei Bedarf. So gibt es bei ihm „Seerosen“; aber nicht so, wie man sie von Monet kennt, als farbenprächtigen Teppich auf der Wasseroberfläche. Schemmann wählt eine andere Perspektive, gewissermaßen die unterseeische. Er lässt den Blick die Stengel entlang nach oben gleiten, bis man an der Unterseite der Nympheas anlangt.

In den letzten Jahren hat Schemmann – der gern reist und ein zweites Domizil an der Ostsee hat – sein Repertoire erweitert. Es gibt jetzt von ihm auch Seestücke, Reminiszenzen an die Küste bei Rostock. Was auf jeden Fall auch in der neuesten Ausstellung zu sehen sein wird: ein großformatiger Feigenkaktus, wie er zum mediterranen Ambiente gehört. Das wärmt das Herz im kalten Winter.

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