Theater
Das Glamour-Paar der neuen Republik

Vor 20 Jahren starb der Dramatiker und Regisseur Heiner Müller. Brigitte Maria Mayer aus Regensburg war seine letzte Frau.

28.12.2015 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein
Brigitte Maria Mayer und Heiner Müller auf dem Cover eines Buchs, das nach dem Tod des Dramatikers und Regisseurs im Suhrkamp-Verlag erschienen war: „Der Tod ist ein Irrtum“ −Foto: MZ-Archiv/Suhrkamp

Mitte der 1980er Jahre kamen mitten im Hochsommer zwei sehr junge und sehr schöne Frauen unverhofft in die Redaktion der WOCHE, die damals noch mitten am Haidplatz residierte, und bauten sich vor meinem Schreibtisch auf. Die Sekretärin hatte sie nicht stoppen können, denn das Selbstvertrauen vor allem einer der beiden war unbeschreiblich. Sie teilte mir knapp und entschieden mit, dass demnächst in der nahe gelegenen Disco Scala spätabends das wohl wichtigste Kulturereignis dieses Jahres stattfinde und dass ich gefälligst ausführlich darüber berichten solle.

Und konnte in nuce schon all das wahrnehmen, was die spätere Foto- und Film-Arbeit von Brigitte Maria Mayer auszeichnete: das Spiel mit weiten, leeren Räumen, erlesene Choreographien, nackte Körper und ein hoher Ton, dessen Pathos für manche von Kitsch nur schwer zu unterscheiden war.

Seine Karriere: ein stetes Auf und Ab

Als Brigitte Maria Mayer 20 Jahre später für ihre große Walhalla-Show „Der Tod ist ein Irrtum“ nach Regensburg zurückkehrte, war sie schon ein Star. Diesen Status verdankte sie sicher ihrer eigenen Arbeit, die einige Zeit selbst von der FAZ sehr geschätzt wurde, mehr aber vermutlich noch der Tatsache, dass sie 1991 Heiner Müller kennenlernte und ihn ein Jahr später auch heiratete. Die gemeinsame Tochter Anna gehört heute zum Berliner Ensemble.

Heiner Müllers frühe Karriere war exemplarisch für die Situation der Künstler in der DDR. Nie zuvor in der deutschen Geschichte, nicht einmal im Weimar von Goethe, Schiller und Wieland, gab es von Staats wegen so viel Aufmerksamkeit und Förderung, nie zuvor aber auch ein solches Maß an Bedenken über dies und das, an Zensur und Verbot. Müllers Dramatiker-Biografie war ein stetes Auf und Ab. Er nahm sich hochaktuelle Themen vor: das Geschick der Vertriebenen, die in der DDR Umsiedler hießen, und die Bedingungen der Produktion und des Lebens unter den neuen sozialistischen Bedingungen („Der Bau“, „Zement“). Damit erregte er Interesse, aber auch Widerstand.

Ein düsterer, radikaler Marxist

Zu seinem Glück findet Heiner Müller einflussreiche Förderer: Peter Hacks, Hanns Eisler, später dann die Regisseurin Ruth Berghaus. Dennoch lässt sich seit den späten 1970er Jahren feststellen, dass sich Heiner Müller, scheinbar zumindest, aus der Gegenwart zurückzieht. Er wählt historische Stoffe („Philoktet“), die er im Geist der Zeit dekonstruiert und neu interpretiert. Damit sorgt er auch im Westen zunehmend für Aufmerksamkeit.

Heiner Müller ist jetzt etwas Besonderes: ein Marxist, der nicht zukunftsoptimistisch daherkommt, sondern düster und radikal pessimistisch.Er verknappt und zerstückt seine Texteso, dass sie der permanenten Exegese bedürfen. Wie später die Arbeiten Elfriede Jelineks, wird auch seine harte, streng gefügte Theater-Prosa zur Einladung für ehrgeizige Regisseure.

Durch die Ereignisse von 1989 ändert sich für Heiner Müller noch einmal alles: privat, politisch, poetisch. Dreimal war er schon zu DDR-Zeiten verheiratet, darunter mit der immer noch unterschätzten Lyrikerin Inge Müller, die 1966 Suizid beging. Dann, 1991, lernt der bereits über 60-Jährige die blutjunge und äußerst ehrgeizige Regensburgerin Brigitte Maria Mayer kennen. Zusammen sind sie rasch das Glamour-Paar der neuen Republik.Heiner Müllers politische Expertise ist mehr denn je gefragt.In langen Interviews mit verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften äußert er sich zu Geschichte und Gegenwart. Viele Leser schätzen seine Analysen, fast mehr aber noch den typischen Heiner Müller-“Sound“.

Am 30. Dezember 1995 stirbt er: an Kehlkopfkrebs

Er, der lange im Abseits der Geschichte überwinterte, ist jetzt rastlos tätig, nimmt alle sich bietenden Optionen wahr, als wüsste er schon, dass ihm nur noch wenige Jahre bleiben würden. Der Brecht-Schüler, der in früheren Jahren auch schon mal unter dem Pseudonym Max Messer publizierte (als wäre Brechts legendärer Mackie sein Idol und role-model), übernimmt die Leitung des Berliner Ensembles.

Seine späte Karriere als Regisseur scheint unaufhaltsam. Er verschraubt Shakespeares gründlich zertrümmerten Hamlet und seine eigene „Hamletmaschine“ zu einem Acht-Stunden-Stück, das zu einem Riesenerfolg wird. 1993 inszeniert er in Bayreuth, vielleicht als Reverenz an sein eigenes spätes Liebesglück, Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Heiner Müller, der ewige Rebell, ist angekommen. Und dann stirbt er, am 30. Dezember 1995, an Kehlkopfkrebs. Als hätte ihm das viele Unausgesprochene über die Jahrzehnte auch physisch zugesetzt.

Was bleibt von Heiner Müller?Viel. Nicht zuletzt aber seine Inszenierung von Brechts schrägem Anti-Hitler-Lehrstück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, die bis zum heutigen Tag über die Bühne geht, mit Martin Wuttke in der Titelrolle. Und Brigitte Maria Mayer? Kümmerte sich eine Zeit lang als Witwe um Müllers Nachlass, reüssierte als Fotografin und verlegte sich dann auf erlesene, performancenahe Filme, wie „Anatomie Titus“ und „Jesus Cries“, die rund um den Erdball aufgeführt werden. An speziellen Orten. Jenseits der Kinoroutine.

Hier geht’s zur Kultur.