Fotografie
Das nackte Gesicht der Kate Moss

Peter Lindbergh gilt als der Erfinder der Supermodels. Die Münchner Kunsthalle zeigt einen Überblick über sein großes Werk.

15.06.2017 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Kate Moss, 2014 – Vogue Italie Copyrighr by Peter Lindbergh (Courtesy of Peter Lindbergh, Paris / Gagosian Gallery)

Man betritt eine Kunsthalle und findet sich unversehens im „Red Light District“. Aber keine Angst: Zwar geht es auch in diesem Saal der großen Peter-Lindbergh-Ausstellung ganz schön schummrig zu. Es wird aber in dem rötlichen Zwielicht nicht die Ware Sex gehandelt. Vielmehr erhalten wir tiefe Einblicke in die Geheimnisse der Bildproduktion „vor unserer Zeit“. Also in der Ära der analogen Fotografie, als die Wirklichkeit noch nicht verändert und verwandelt werden konnte, ohne dass dieser Eingriff die geringsten Spuren hinterließe. Spätestens seit es Photoshop gibt, ist die Frau hinter ihrem Image verschwunden. Bei den meisten jedenfalls. Nicht aber bei Peter Lindbergh.

Der unverstellte Augenblick

Man kann diesen Raum als Bekenntnis verstehen. Als wollte er sagen: Schaut her, so habe ich lange gearbeitet – und so arbeite ich im Grunde immer noch, auch wenn ich mittlerweile eine digitale Kamera benutze und die Wannen mit Entwicklerflüssigkeiten und Fixierbädern längst historisch geworden sind: Fundstücke fürs Museum. Früher roch die Realität, wenn man versuchte, sie festzuhalten – für alle Zeit; nach der „Fixierung“ waren keine verbessernden Eingriffe mehr möglich. Und noch eines wird einem beim Blick auf die Wäscheleinen klar, an denen die wunderbaren Porträts von Models und Modemachern, aber auch von Straßen und Stränden hängen, als müssten sie erst noch trocknen: Peter Lindbergh sucht immer noch nach dem Geruch all der Dinge und Menschen, die ihm begegnen, nach dem unverstellten Augenblick.

Einst hießen die jungen Frauen, die Kleider vorführten, Mannequins. Mannequins waren eine Art Kleiderständer. Sie lebten und bewegten sich, aber nicht zu sehr. Schließlich sollten sie nicht stören, die Aufmerksamkeit nicht von den wahren und sehr, sehr teuren Objekten der Begierde abziehen. Lindbergh hat aus den Mannequins Supermodels gemacht, die nicht nur das Stil-, sondern das Lebensgefühl einer ganzen Generation prägten. Unter Peter Lindberghs Blick wurden sie größer als die Hollywoodstars, denen sie eine Zeit lang die Show stahlen, und bedeutender als die Modemacher, in deren Dienst sie doch scheinbar standen. Und der Fotograf selbst wurde zum großen Zampano in der Welt des Luxus. Was allein schon deshalb erstaunlich war, weil auf seinen Fotos die Kreationen der Couturiers höchstens am Rande eine Rolle spielten. Lindbergh reüssierte als Modefotograf paradoxerweise gerade, weil er die Mode weitgehend unseren Blicken entzog und unsere Aufmerksamkeit auf etwas ganz Anderes richtete.

Worauf? Wenn man antworten würde: auf die neue Frau, die er vor unseren Augen entwarf, wäre das zu einfach. Denn nicht nur die Kleider verschwinden auf seinen Fotos weitgehend, sondern auch die Körper. Zwar gibt es Lindbergh-Akte. Aber wenn er die Frauen wirklich nackt sehen will, zeigt er uns etwas anderes: ihr Gesicht. Wer wissen möchte, was Lindbergh all seinen Kollegen voraus hat, der findet die Antwort hier: Er ist der Entdecker des nackten Gesichts. Und – müsste man hinzufügen, wenn es nicht ein wenig blasphemisch klänge – Kate Moss war seine Prophetin.

Besonders nackt ist der Mensch nicht, wenn er seinen Körper entblößt, sondern wenn er sein Gesicht unverhüllt zeigt. Es gibt alte Kulturen, die das wussten und bis heute ihre strengen Forderungen daraus ableiten. Der Islam fordert ja nicht nur von den Frauen, dass sie sich verschleiern, sondern – was oft vergessen oder übersehen wird – von den Männern, dass sie einen Bart tragen. Das Gesicht muss dem Blick entzogen werden, weil es der Ort der größtmöglichen Nacktheit, der „Obszönität“ ist. Es bietet den direkten Zugang zu unserer Seele.

Der Volksmund weiß übrigens noch von dieser Nacktheit, ja Unverschämtheit des ungeschützten Gesichts, die im öffentlichen Diskurs keine Rolle spielt; oder höchstens in der gegen muslimische Kleidervorschriften gerichteten Forderung, jede Frau solle ihr Gesicht zeigen; das sei sie ihrer eigenen Freiheit und der demokratischen Öffentlichkeit schuldig. Dagegen gibt es immer noch Frauen, die sich weigern, ungeschminkt das Haus zu verlassen, weil sie sich dann, wie sie es selbst wörtlich sagen, „nackt“ vorkämen.

Der Wille des Lichtbildners

In einem anderen Gespräch suchte Lindbergh vor kurzem dem Geheimnis seiner Porträtkunst auf die Spur zu kommen, wenn man es nicht auf die Banalität reduzieren möchte, er sei eben ein „Frauenversteher“. Er spricht, durchaus derb, von der Macht der Begegnung: „Wissen Sie, wenn Frauen zu Helmut Newton ins Studio kamen, haben die quasi im Flur schon die Bluse ausgezogen.“ Und wie verhält es sich bei ihm? „Wenn sie zu mir kommen, bereiten sie sich darauf vor, etwas von sich zu zeigen.“ Und was? So genau weiß er das nicht. Oder will es nicht wissen. Er zieht sich aufs Technische zurück, auch wenn er es ein wenig mystifiziert, wenn er darauf hinweist „dass zwischen der Person und dem Objektiv etwas entsteht.“ Und dann landet der sanfte, sanfte Lindbergh unversehens bei einer Männer- oder eher Macht-Fantasie, die nah an eine Vergewaltigung heranreicht: „Manchmal geht es so weit, dass man eine Person mit deren Einverständnis aussehen lassen kann, wie man will.“ Von wegen Natürlichkeit. Die Szene entscheidet, der Wille des Lichtbildners. Fotografie ist ein Akt der Entblößung. Die Situation im Studio oder draußen auf der Straße verwandelt sich in ein Machtspiel: Ich will dich nackt sehen; du sollst dich nicht mehr verstecken (können). Und die jungen Frauen, die ihm vertrauen, geben sich ihm bereitwillig hin, verzichten auf sehr viel, weil sie hoffen und glauben, sehr viel mehr von ihm zurückzubekommen.

Als ihn nicht lange danach „Harpers Bazar“ unbedingt haben wollte, mussten sie für den neuen Vertrag angeblich Millionen hinlegen. 1994 erschien das Bild „A Star Is Born.“ Es zeigt Kate Moss. Nicht, sehr rund, von hinten – wie in der legendären „Obsession“-Werbung –, sondern ihr Antlitz; man kann es kaum anders nennen. Die Karriere des nackten Gesichts begann endgültig im Jahr 1994. Etwa zur gleichen Zeit entblößt sich ähnlich radikal die junge Emmanuelle Béart in Jacques Rivettes „Die schöne Querulantin“: ihren Körper, vor allem aber ihr Gesicht, in das der Maler Frenhofer hineinstürzt als wäre es ein überaus verlockender Höllenschlund. Das Bild, das dieses nackte Gesicht zeigt, ist so entsetzlich, dass er es in einer Wandnische einmauert und so zumindest den Blicken der Zeitgenossen entzieht.

„Ältere Frauen“ im Pirelli-Kalender

Seine Fotos zeigen keineswegs nur Supermodels, sondern auch Hollywood-Stars oder, jüngst für den legendären Pirelli-Kalender, „ältere Frauen“, wie es leicht anzüglich heißt. Nun gut, bei der grande dame Helen Mirren mag das hingehen. Aber Julianne Moore schaut bei diesem Gedanken schon arg grantig. Und Penelope Cruz? Eine ältere Frau? Das geht aber rasch. Tina Turner beispielsweise war schon ein wenig älter, als sie sich für Lindbergh furchtlos und schwindelfrei in die Stahlstreben des Eiffelturms hängte.

Was diese Ausstellung auch zeigt: dass Lindbergh weder ein „Originalgenie“ ist, noch überhaupt eins sein will. Lindbergh verbeugt sich vor den großen Vorbildern und erweist den Bildern und Filmen, die er mag und die ihn geprägt haben, seine Reverenz. Unübersehbar ist sein Faible für die 1920er Jahre. Und da wiederum für den strengen August Sander genauso wie für den surrealistischen Grenzüberschreiter Man Ray.

Die Sache mit dem Nachnamen

Der wichtigste Zeitgenosse ist für ihn nicht ein Fotografen-Kollege, nicht einmal der verehrte Richard Avedon, sondern Wim Wenders, den er gern seinen besten Freund nennt. Wer Wenders zum Freund hat, bekommt Peter Handke gratis dazu. Handke liefert nicht zufällig einen Beitrag zum großen Lindbergh-Buch zu seinem 70. Geburtstag vor zwei Jahren.

Man kann Lindbergh schwer böse sein. Man verzeiht ihm viel. Eins aber nicht: seinen Namen. Er wurde ja 1944 als Peter Brodbeck im polnischen Lissa geboren. Und nannte sich dann irgendwann nach dem berühmten Flugpionier „Lindbergh“. Nach dem berühmten Flugpionier, der leider ein noch berühmterer Nazi wurde und außerdem jahrzehntelang ein aufreibendes Doppel- und Dreifachleben führte. Bert Brecht hat aus guten Gründen ein Stück umbenannt, mit dem er ursprünglich Lindbergh ehren wollte. „Damnatio memoriae“, nennt man das. Keiner soll sich künftig an dich erinnern. Und dann kommt Peter Brodbeck – ein eigentlich schöner Name übrigens –, nennt sich mutwillig Lindbergh und lässt auch noch eine alte Zeitungsseite als Dokument des Atlantikflugs in seine Ausstellung hängen...

Die Ausstellung findet von 13. April – 27. August 2017 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung (Theatinerstraße 8, in den Fünf Höfen) in München statt. Geöffnet ist sie täglich von 10 bis 20 Uhr.

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.

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