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Demütigung in Dauerschleife

„Wer wird Millionär“ trifft Jackass trifft Dschungelcamp: Das ist ProSiebens neue Show „Himmel oder Hölle“. Anstößig, eklig, die Spitze des Trash-TV.

10.08.2014 | Stand 16.09.2023, 7:16 Uhr

Die Regensburger Moderatorin Evelyn Weigert sagt: „Witzigkeit kennt keine Grenzen.“ Foto: Lex

René hat keine Wahl – will er das Geld, muss er jetzt blank ziehen. „Dein Höllenjob: Po-Sieben“, begrüßt ihn der blonde Satansbraten, die Regensburger Moderatorin Evelyn Weigert, als sich das Pult der Quiz-Show am Samstagabend wieder zu ihr herabsenkt. „Folgendes: Dein Hintern steht heute auf dem Spiel. Wir lassen es so richtig krachen.“ Applaus im Studio. Weigerts Kollege Jochen Schropp klärt auf: „Du bekommst jetzt son bisschen Popo-Haue. Und zwar von deinem Freund Stevie.“ Der Freund, der eigentlich Sepp heißt, muss dem ersten Kandidaten der Show „Himmel oder Hölle“ so fest mit einer Fliegenklatsche auf den Allerwertesten hauen, dass das Mikrofon mindestens 100 Dezibel anzeigt. Schropp: „Das ist so die Kategorie Presslufthammergeräusche.“ Das sei zu schaffen: „Und deshalb musst du wissen: Zieh ich blank oder hab ich keinen Arsch in der Hose? Es geht um 5000 Euro.“

René, 29, Barbesitzer und Betriebsleiter, macht mit, tritt nach vorn, zieht die Jeans herunter, haut sich auf die linke Pobacke und ruft: „Ist das ein 100-Dezibel-Hintern, na ist das ein 100-Dezibel-Hintern?“ Schropp: „Das ist definitiv ein 100-Dezibel-Hintern.“ René: „Jetzt lass krachen.“ Und sein Kumpel lässt es krachen. Erster Schlag: 75 Dezibel „Au“, 93 dB „Heieiei“, 96 dB „Oohh, das is schon hart“. Nach taktischer Besprechung – Backen anspannen oder nicht – zeigt das Display endlich: 102 dB. Geschafft. René ist weiter im Rennen um 50000 Euro.

Alles für den Nachwuchs

Diesen Abend dürfte der Kölner nicht so schnell vergessen: Ihm wurde eineHalbglatzerasiert, er hat sich seine Nase mit einemCola-Pfeffer-Cocktailgeduscht – und diesen „Nasen-Smoothie“ getrunken, sichohrfeigenlassen und Stromschläge ertragen. Aber René geht mit 35000 Euro nach Hause. Sonst lese er gern schwere Bücher und schlürfe ebenso schweren Rotwein dazu, er tue sich das an, weil er „Bock“ hat, seinem Sohn ein „richtig dickes Konto“ zu eröffnen. Vor der Show sagte er, er sei ein sehr entspannter Mensch. Nun muss er sich wohl vorwerfen lassen, er sei ein zu entspannter Mensch.

Je doller, desto besser

Himmel oder Hölle – das ist eigentlich eine Rateshow. Nur anders als bei Günther Jauch muss der Kandidat hier nichts wissen, um mit bis zu 50 000 Euro nach Hause zu gehen. Aber – und das machte Moderator Schropp zu Beginn klar: Hier gibt es nichts geschenkt. Und das ist noch untertrieben. „Leiden muss sich lohnen“. Weiß der Kandidat die Antwort auf eine Frage nicht, fährt das Podest ein Stockwerk tiefer in die „Hölle“ zuEvelyn Weigert, wo beispielsweise ein ebenso unansehnlicher wie untersetzter langhaariger Mitfünfziger namensManni sitzt und einen „Döner mit allem“ verspeist. Das ist die „krasseste“ Aufgabe des Abends, ProSieben zeigte es zuvor bereits tausendfach als Teaser zur Show. Die Aufgabe des Kandidaten, dieses Mal trifft es den Polizisten Jan-Erik (27): 15 Sekunden lang knutschen mit Manni. Natürlich mit Zunge. Aber für 5000 Euro. Das Entsetzen steht dem selbst-ernannten „Adrenalinjunkie“ im Gesicht. Doch er willigt ein. Schropp: „Manni hat richtig Lust auf einen knackigen Toyboy.“ Der Moderator mahnt den eigentlichen Ordnungshüter noch, sich nicht in den Mund des netten Mannis zu übergeben. Dann wird tatsächlich geküsst. Das Publikum zuckt zusammen. Hinterher sagt Jan-Erik auf die Frage, wie es geschmeckt hat: „Nach Tzatziki und einem Hauch von Zwiebeln.“

Das Prinzip der Show ist so simpel wie anstößig: Wie weit würdest Du für Geld gehen? Der Zuschauer darf, kann sich in Ruhe über einen neuenTiefpunkt des Fernsehens aufregen, sich ekeln, empören und so lange mit dem Kopf schütteln, bis ihm schwindelig ist. Kandidat Jan-Erik macht das auch – allerdings mit einem Brett zwischen den Zähnen und Elektroschockern in den Kniekehlen. Das ist Privatfernsehen – Schadenfreude, Pubertäts-Sprech, ein Hauch von Prostitution. „Himmel oder Hölle“ ist konsequent. Unterhaltung um jeden Preis wird geboten. Oder wie es die Regensburger Moderatorin Evelyn Weigert ausdrückt: „Witzigkeit kennt keine Grenzen.“ Die Empörung („Frauentausch wirke wie Kulturfernsehen“) ist vorprogrammiert, bei Twitter ist die Show Thema Nummer eins. Die Macher haben ihren Auftrag erfüllt, die Zielgruppe, die What-the-Fuck-Generation, ist erreicht. Oder verstört. Schropp sagte schon vor der Show: „Da ist das ein oder andere Spiel dabei, bei dem Mutti möglicherweise weggucken muss.“

Je schmerzbefreiter, je hemmungsloser, je geldgeiler – umso besser. „Himmel oder Hölle“ ist der neue Maßstab für Trash-Fernsehen. Geschmacklos, dauerdemütigend, bloßstellend, pubertär, aber stellenweise einfach fad. Die Kandidaten machen alles mit, wer ihnen zuschaut, denkt sich nur: Warum machen die das? Die Sendung beweist: Die Würde eines Menschen mag unantastbar sein, aber nicht unkäuflich. Der Privatsender meldet am Sonntagmorgen: „Teuflisch gute Quote: Die neue Quiz-Game-Show ,Himmel oder Hölle’ erreicht am Samstagabend hervorragende 16,0 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern. Damit verhilft die Show ProSieben zur klaren Tagesmarktführung mit 12,4 Prozent.“ Drei Folgen der Show sind bereits abgedreht – eine Fortsetzung der Demütigung in Dauerschleife ist damit so gut wie sicher.