Porträt
Der Arzt, der mit dem Rad kommt

Altruismus macht glücklicher als Egoismus, sagt Dr. Gerhard Haas. Er ist ein Hausarzt, wie man ihn sich wünscht.

29.09.2017 | Stand 12.10.2023, 10:21 Uhr
Helmut Hein

Ist Gerhard Haas ein typischer Hausarzt? Einerseits ja, andererseits vielleicht doch nicht. Foto: altrofoto.de

Dieser Arzt ist sehr gesundheitsbewusst. Sie meinen, das sei bei Ärzten doch selbstverständlich? Ist es leider nicht. Viele Ärzte sind, was ihr Verhalten betrifft, alles andere als Vorbilder. Sie rauchen und zählen die Schachteln schon nicht mehr. Alkoholmissbrauch ist für sie kein Fremdwort. Sie essen zu viel, vor allem zu fett und zu süß und bewegen sich dafür zu wenig. Immerhin, könnten notorische Optimisten einwenden, sind nicht mehr vier von fünf Ärzten Morphinisten, also nach heutigen Maßstäben schwer süchtig, wie in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.

Solides Immunsystem schützt

Beim Hausarzt Dr. Gerhard Haas ist alles anders. Haas ist kein sauertöpfischer Asket, sondern allen Freuden des Lebens durchaus zugetan. Aber er lebt gesund, verantwortungsbewusst. Das betrifft nicht nur das Essen und Trinken, sondern auch das sonstige Verhalten. Dieser Arzt, der auch noch Hausbesuche macht – was längst nicht mehr selbstverständlich ist – reist nicht mit dem SUV an, sondern mit dem Tourenrad – und zwar bei jedem Wind und Wetter. Das hält frisch und härtet ab. Was notwendig ist, weil Hausärzte ja mehr als andere Berufe Tag für Tag Erregern aller Art ausgesetzt sind. Haas: „Während der Schweinegrippe-Epidemie hatte ich sechs, sieben Dutzend Patienten mit dem Influenzavirus pro Woche in meiner Praxis.“ Was hilft da? Natürlich die Grippeimpfung, was freilich manchmal Glückssache ist, weil sich Grippeviren durch eine enorme Veränderungslust als Überlebensstrategie auszeichnen. Dann ein solides Immunsystem, das zum einen ererbt ist, zum anderen aber durch den ständigen Kontakt mit Keimen erworben werden kann. Und schließlich kleine Verhaltensregeln wie gut durchlüften, weil das die Keimdichte vermindert.

Gerhard Haas radelt übrigens nicht nur zum Patienten, sondern auch Tag für Tag von seinem Haus in Lappersdorf zu seiner Praxis in Kumpfmühl. Da kommen einige Kilometer und, nicht zuletzt, Höhenmeter zusammen. Manche Steigung wirkt durchaus tourfähig. Dr. Haas besitzt aber zwei Räder: Das Tourenrad für den Alltag und das Rennrad für besondere Anlässe.

Mit Mitte 50 hat Haas nicht mehr die Schnellkraft eines jungen Profis, aber die Ausdauerwerte sind immer noch beachtlich. So ist er zum Beispiel – nicht allein, sondern in trauter Runde, also manchmal auch im Windschatten – mit dem Rennrad nach Rom gefahren. Chapeau! Aber es kommt noch besser: Auch den Mont Verntoux, diesen in den oberen Regionen vollkommen vegetationslosen Teufelsberg in der Provence, hat er bezwungen. Der Zuhörer staunt. Ist da nicht ein Vollprofi wie der englische Tour-Favorit Simpson vor ziemlich genau 50 Jahren tot vom Rad gekippt? Dr. Haas nickt. „Ja, aber da waren auch Drogen und Alkohol im Spiel.“

Wenn einer eine philosophische Ader hat, dann metaphorisiert er das, was ihm mit am nächsten ist. Folgerichtig gibt es von Gerhard Haas eine Art Lebensphilosophie, „velocipedisch“ verkleidet, in vier Abschnitten. Erstens: „Solange du in die Pedale trittst, fällst du nicht.“ Dann, fast schon Zen-meisterlich: „Wenn du fällst, solltest du nicht lange liegenbleiben.“ Drittens, gewissermaßen die Rad-Variante der katholischen Soziallehre (Haas ist überzeugter, wenn auch nicht bigotter Christ): „Wenn du nicht alleine aufstehen kannst, ist es schön, wenn dir andere helfen.“ Schließlich, zum Abschluss, ein Stück überlebensnotwendiger Mediziner-Zynismus, vielleicht auch nur Gottergebenheit: „Wenn du nicht mehr alleine stehen kannst, weil die ‚vis vitalis’ (also die Lebenskraft) aufgebraucht ist, dann hoffe ich auf die Erlösung von oben.“

„Altruismus macht langfristig wahrscheinlich glücklicher als Egoismus. Aber es muss eine Grenze geben. Denn wenn man sich bis zur Erschöpfung ausschlachten lässt, kann man keinem mehr helfen.“Dr. Gerhard Haas, Hausarzt

Ist Gerhard Haas ein typischer Hausarzt? Einerseits ja, andererseits vielleicht doch nicht. Er ist ein Hausarzt, wenn auch vielleicht in idealisierter Form, weil er sich um seine Patienten kümmert – und zwar ohne Ansehen der Person, was etwa Herkunft oder sozialen Status angeht. Auch, weil er über die Souveränität des klinischen Blicks verfügt, der sich nicht alleine auf Apparate und Messergebnisse verlässt und den man im besten Fall durch lange Erfahrung erwirbt.

Nicht unbedingt aber, weil der überzeugte Praktiker Haas auch über eine „tiefe“ und breite wissenschaftliche Ausbildung verfügt. Die gespenstische Alternative, die in neueren Diskussionen immer wieder auftaucht, ob denn nicht die Aufmerksamkeit, das Zuhören-Können (-und-Wollen), also die Kommunikationsbereitschaft wichtiger seien als universitäres Know-how, verfängt bei Gerhard Haas nicht. Er verfügt über beides. Und hält beides für unverzichtbar. Dabei ist Haas stets unaufgeregt und distanziert. Denn nur so behält man den Überblick und die nötige Gelassenheit. Während die medizinische Forschung oft „Daten putzt“, um zu akkuraten Ergebnissen zu gelangen, lautet sein ärztliches Motto: „Lieber ungefähr richtig liegen als genau falsch.“ Seine Karriere begann schon vor dem Studium, während seiner Zivildienst-Zeit an einer Uni-Polyklinik. Da kam er nahe an die Patienten heran. Er passte auf, dass sie sich nicht wundliegen, er rasierte, zog Narkosemittel auf usw. Und er absolvierte schon einen Grundkurs in Existenz-Philosophie. Zum Beispiel? „Altruismus macht langfristig wahrscheinlich glücklicher als Egoismus.“

Klare Grenzen als Fundament

Bei Dr. Haas muss kein Patient befürchten, dass dem Arzt der nächste Porsche wichtiger ist als sein Leiden. Dr. Haas kann aber auch Grenzen setzen. Seinen Altruismus sollten die Betreiber medizinischer Einrichtungen nicht als Freifahrtschein betrachten. „Es muss eine Grenze geben. Denn wenn man sich bis zur Erschöpfung ausschlachten lässt, kann man keinem mehr helfen.“ Nach seinem Studium – von 1982 bis 1984 zunächst in Regensburg bis zum Physikum, anschließend in Würzburg – begann seine „Grand Tour“ durch die Kliniken – und die Kontinente. Denn sein praktisches Jahr absolvierte Dr. Haas 1987/88 im australischen Adelaide. Eine solide und breite Ausbildung erhielt er von 1988 bis 1992 im Zentrum für innere Medizin des Stuttgarter Katharinen-Hospitals, wo er nicht nur das gerade für einen Hausarzt fast unverzichtbare internistische Know-how erwarb, sondern sich auch mit der Onkologie, der Nephrologie (also der Nierenheilkunde), später ab 1992 in Schwäbisch-Gmünd mit der Gastro-Enterologie vertraut machte.

Haas: „Die Assistenzärzte waren damals breit aufgestellt.“ Soll wohl heißen: Sie mussten sich um alles kümmern. Nach einem kurzen Zwischenspiel bei den hiesigen „Barmherzigen Brüdern“ wurde er Mitte der 1990er Jahre Oberarzt in Schwäbisch Gmünd. Das war „eine feste, unbefristete Stelle“. Und doch kam rasch der Sprung in die Selbstständigkeit. Rasch? Nun, so rasch auch wieder nicht, so etwas will schließlich gut überlegt sein, die hohen Anfangsinvestitionen können einen schließlich in den Ruin treiben. Aber irgendwie eben doch verhältnismäßig rasch. Denn Haas hörte, dass Dr. Rulaman Roth, sein Vorgänger in Kumpfmühl, gewissermaßen zwangspensioniert wurde. Nach dem 65. Lebensjahr konnten damals Mediziner nicht mehr Vertragsärzte der gesetzlichen Kassen sein. Diese Regelung wurde mittlerweile, zur Freude des topfitten Mittfünfzigers, aufgehoben.

Verantwortung für die Angestellten

Und warum gerade Regensburg? „Meine Frau ist Regensburgerin.“ Und er hatte die schöne Stadt ja auch während seines Studiums schon schätzen gelernt. Gut zwanzig Jahre ist er jetzt selbstständig, also, das sollte man nicht vergessen, „Chef“ eines kleinen Betriebs mit einer Reihe von Angestellten, für die man genauso wie für die Patienten Verantwortung trägt. Gerhard Haas hat drei Kinder, Miri, Jakob und Niko, die mittlerweile alle erwachsen sind, und zwei Enkelkinder. Haas: „Die Familie ist mein Kraftzentrum.“ Er ist agil wie eh und je. Haas: „Bewegung macht mir Freude.“

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.

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