Menschen
Der Dult-Doktor fährt gerne „Allround“

Kein Regensburger besucht das Volksfest öfter als Dr. Hans-Jürgen Füßl. Als Hausarzt der Schausteller ist er täglich am Protzenweiher.

03.09.2013 | Stand 16.09.2023, 7:21 Uhr

Kurze Entspannung im „Allround“: Dr. Hans-Jürgen Füßl dreht gern eine Runde. Normalerweise fahren seine Töchter Veronika (11) und Valentine (9) mit, aber sie hatten beim Fototermin keine Zeit.Foto: Steffen

Für das Gespräch mit der MZ kommt Dr. Hans-Jürgen Füßl eine Stunde früher in seine Praxis am Fischmarkt. Die Zeit des 69-Jährigen ist knapp. Er hat Urlaubsvertretungen für Kollegen übernommen und muss sich um seine eigenen Patienten kümmern.

Dennoch schafft er es, jeden Tag auf der Dult nach dem Rechten zu sehen. Seit 25 Jahren ist Dr. Hans-Jürgen Füßl Hausarzt der Schausteller.

Für das Interview lässt sich der Allgemeinmediziner am Schreibtisch in seinem Behandlungszimmer nieder. Mit seinem weißen Bart und Haar erinnert er ein wenig an André Heller. An der Wand hängt ein Ölbild von Füßls Vater, der ebenfalls Arzt war. Ein etwas streng wirkender Herr, der ihm bei der Arbeit zusieht.

Auf einem Teller neben dem PC liegt eine belegte Semmel. Zum Essen fehlt dem Hausarzt zuweilen die Muße.

Der Arzt kommt, nicht die Patienten

Von den Schaustellern spricht er mit Hochachtung. Sie zeigten sich sehr dankbar für die Behandlung. Im Übrigen seien sie wie alle anderen Patienten, litten unter denselben Nöten, Ängsten und Problemen. Und doch wieder nicht.

Die Dultleute wechseln alle paar Tage den Ort. Der Arzt ist froh, dass der Regensburger Jahrmarkt zwei Wochen dauert und er deshalb Laborbefunde mit den Patienten persönlich besprechen kann.

Die Schausteller suchen ihn schon mal mit Stress-Symptomen auf. Beim Auf- und Abbau stehen sie unter beträchtlichem Druck. „Die haben oft nur eine oder zwei Nächte Zeit dafür“, erzählt Dr. Füßl. Sehr früh müssten sie auch an die Stellplätze für das kommende Jahr denken.

„Aber im Winter haben sie es dann richtig schön.“ Nach Weihnachten folgt eine zweimonatige Pause.

Der große Unterschied bei der Behandlung: Die Schausteller kommen nicht zum Arzt, sondern er zu ihnen. „Ich fahre rüber“, sagt Dr. Hans-Jürgen Füßl. „Rüber“ ist der Dultplatz. Immer dabei: Seine langjährige Helferin Ilona Amberg. Der 69-Jährige führt die Gespräche, untersucht, stellt die Diagnosen.

Seine Mitarbeiterin wechselt Verbände und verabreicht Injektionen. „Die Ilona ist dort drüben ein Begriff“, betont der Hausarzt.

Während der Dult ist Dr. Füßl quasi rund um die Uhr für die Dultbeschicker erreichbar. Erst am Vorabend war er gegen 22 Uhr noch mal „rüber“ geeilt: Eine Schaustellerin hatte sich das Kreuz verrissen. „Und am nächsten Tag sollte sie wieder am Stand verkaufen“, sagt der Doktor. Also gab er eine Spritze.

Wenn die Schausteller in anderen Städten arbeiten, rufen sie ebenfalls Dr. Füßl an. „Viele sind Dauerpatienten von mir“, berichtet er stolz.

„Ilona, wie viele Patienten habe ich in der ersten Dultwoche behandelt?“, ruft der Arzt zum Praxis-Empfang vor. Die Mitarbeiterin zählt nach. „50!“, antwortet sie. Das Volksfest hält ihn also ganz schön auf Trab. Zwischen Dr. Hans-Jürgen Füßl und den Schaustellern hat sich in den 25 Jahren ein beinahe familiäres Verhältnis entwickelt.

Er kennt alle, vom Großvater bis zur Enkeltochter. Und der Arzt selbst nimmt oft seine beiden Töchter Veronika (11) und Valentine (9) zum Protzenweiher mit.

Jährlich neue Dirndl für die Töchter

„Seitdem sie gehen können, begleiten sie mich“, schildert er lächelnd. „In den ersten Jahren habe ich sie oft heimgetragen, so müde waren sie.“

Die Schausteller schenken Veronika und Valentine jede Menge Fahrchips, Zuckerwatte und gebrannte Mandeln. Das genießen die Mädchen. Außerdem spendiert der Papa jedes Jahr neue Dirndl für die Dultbesuche – und jedes Jahr zieht es sie zu einem neuen Lieblings-Fahrgeschäft. „Zurzeit das Allround“, beobachtet der Arzt, der die Vorlieben seiner Mädchen teilt. Wenn es sein muss, steigt er auch mit weißem Kittel ins Karussell. Dr. Hans-Jürgen Füßl hofft, dass sich Veronika und Valentine bald in den rasanteren „Breakdance“ wagen. „Ich bin gespannt“, sagt der 69-Jährige.

Dann verabschiedet er sich, weil die Sprechstunde beginnt. Diesmal in der Praxis am Fischmarkt, nicht auf der Dult.