Geschichte
Der fleißigste Henker Deutschlands

Die Debatte um die Scholl-Guillotine wirft ein neues Licht auf Johann Reichhart. Der Wörther hat 3165 Menschen hingerichtet hat.

23.03.2014 | Stand 16.09.2023, 7:19 Uhr

Der Wörther Scharfrichter Johann Reichhart (Mitte) präsentierte sich 1925 mit zwei Gehilfen vor der Guillotine im Regensburger Landgerichtsgefängnis. Foto: MZ-Archiv

Seit gut zwei Wochen dauert die Debatte um eine wiederaufgetauchte Guillotine an. Mit diesem Fallbeil sollen im Zweiten Weltkrieg die Geschwister Hans und Sophie Scholl von der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ hingerichtet worden sein. Die Idee, das Tötungsinstrument im geplanten Haus der Bayerischen Geschichte in Regensburg auszustellen, stößt bundesweit auf Befürworter und Gegner.

Zu gruselig, zu effektheischerisch ist die Guillotine den Kritikern einer dauerhaften Ausstellung. Dazu zählt unter anderem Franz Josef Müller, einer der letzten Lebenden der Widerstandsgruppe. Befürworter wie die Vorsitzende der Stiftung Weiße Rose, Hildegard Kronawitter, können sich dagegen eine Ausstellung des Fallbeils vorstellen, wenn der historische Zusammenhang sorgfältig herausgearbeitet wird. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle will einen runden Tisch zu dem Thema einberufen.

3165 Menschen hingerichtet

Weit gruseliger als die Guillotine ist der Mann, der ihren Gebrauch perfektioniert hatte. Johann Reichhart (1893 - 1972) aus der Einöde Wichenbach bei Wörth gilt als der meistbeschäftigte und tüchtigste Scharfrichter in Deutschland. Er köpfte und henkte in der Weimarer Republik, in der Nazi-Diktatur und er diente danach auch noch der amerikanischen Militärregierung. Insgesamt tötete Johann Reichhart 3165 Menschen.

Er entstammte einer Scharfrichtersippe, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Nach dem ersten Weltkrieg versuchte er sich unter anderem als Wirt, bis er 1924 Nachfolger seines Onkels Franz Xaver Reichhart als staatlich bestellter Scharfrichter wurde. Er war damit für die Vollstreckung sämtlicher Todesurteile in Bayern zuständig.

Das „Geschäft“ lief jedoch nicht so, wie es sich der Wörther vorgestellt hatte, die Zahl der Hinrichtungen nahm in der Weimarer Republik immer mehr ab. Schriftlich beklagte sich der Scharfrichter bei seinem Auftraggeber über den Mangel an Aufträgen. Zeitweise versuchte er sich als Gemüsehändler in Holland.

Mit Hitlers Machtergreifung änderte sich Reichharts Status vollkommen. Sein Gehalt wurde auf 3000 Reichsmark angehoben, und seine Arbeit nahm zu. Reichhart richtete nicht nur Mörder und Sexualtäter, jetzt kamen immer mehr „Volksschädlinge“, „Wehrkraftzersetzer“ und „Kriegswirtschaftsverbrecher“ dazu. Und gegen Urteile der Sondergerichte gab es kein Rechtsmittel. Allein im Dritten Reich führte Reichhart knapp 3000 Hinrichtungen durch, zum Beispiel an einem Mann, der unter ein Plakat, das am Bahnhof hing: „Räder müssen rollen für den Sieg“ geschrieben hatte: „... und Hitlerköpfe nach dem Krieg“. Durch die vielen Todesurteile, die er zu vollziehen hatte, war Reichhart zu bescheidenem Wohlstand gekommen, konnte sich 1942 sogar ein Haus in Gleißental bei Deisenhofen südlich von München kaufen.

156 Nazimörder aufgehängt

Auch zwei Mitglieder der Regensburger „Neupfarrplatzgruppe“ hatte Reichhart hingerichtet. Mitte März 1943 trat der 6. Senat des Volksgerichtshofs in der Stadt zusammen und verurteilte die Arbeiter Josef Bollwein und Johann Kellner wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode. Sie wurden im August 1943 in München-Stadelheim geköpft. Mit dem Einmarsch der US-Army änderte sich für Reichhart der Arbeitgeber. Nun henkte er Nazimörder – mit dem Strick, 156 Mal. Später stand er selbst vor Gericht, zeigte aber keinerlei Reue. Er war überzeugt, stets rechmäßig gehandelt zu haben. Reichhart wurde verurteilt, aber aus Gesundheitsgründen nicht eingesperrt.

1963, als es eine Welle von Taximorden und Banküberfällen in Deutschland gab, meldete sich der Henker a.D., Ehrenmitglied des „Vereins zur Wiedereinführung der Todesstrafe“, noch einmal zu Wort und erwies sich als unbelehrbar: Er empfahl sich mit seinem bewährten Geschick an der Guillotine.