Handel
Der Lederhandwerker im Schaufenster

Jonas Mumm führt „Leder Lärm“ in Regensburg – ohne entsprechende Ausbildung. Ein Moment in Rom veränderte sein Leben.

05.02.2017 | Stand 16.09.2023, 6:39 Uhr
Katrin Wolf

Jonas Mumm geht in seiner Werkstatt am St.-Georgen-Platz einem alten Handwerk nach – und entdeckt so die Langsamkeit neu. Foto: Wolf

Es ist Sommer in Rom. Architekturstudent Jonas Mumm ist wegen eines Projekts in Italien. Seine Freundin ist zu Besuch, beide laufen durch die Stadt, ohne Ziel. Sie kommen an einem Laden vorbei, so klein und unauffällig, dass man leicht vorbeiläuft. Aber Jonas Mumm ist sofort fasziniert: Im Fenster des Geschäfts sitzt ein Mann und näht in aller Ruhe an einem Gürtel. Er lässt sich nicht stören, als beide seinen Laden betreten. Der ist mehr Werkstatt als Geschäft, auf den Tischen liegen Werkzeuge und Lederreste, die Regale sind voller halbfertiger Taschen. Mumm ist fasziniert, dass es noch jemanden gibt, der nur mit der Hand Taschen näht. Und er weiß in diesem Moment: Genau so will auch er arbeiten.

Autodidakt mit Liebe zum Material

Fünf Jahre nach dem Moment in Rom, der sein Leben verändert hat, ist er Chef seines eigenen kleinen Ladens. Auf der Werkbank liegen Ledernadeln, Etuis und die verschiedensten Werkzeuge. Die Bank selbst ist über 50 Jahre alt, Mumm hat sie von seinem Vater übernommen. Er dreht den Gürtel der Kundin in seinen Händen hin und her. Eine dankbare Aufgabe, kein großer Aufwand, gut zwischendurch zu erledigen.

Mit Geldbeuteln fing alles an

Mumm ist ein introvertierter Mensch, kein Draufgänger. Aber er war überzeugt, dass er es schaffen würde. Als er hörte, dass die Vorbesitzerin Christa Lärm in Rente geht, stand er am nächsten Tag bei ihr im Laden und fragte, ob sie an ihn verkaufen würde. Die gab ihren geliebten Laden an jemanden ab, der weder Ausbildung noch Erfahrung mitbrachte. Aber ihre Geschichte ähnelte seiner: Christa Lärm bildete für eine Versicherung Mitarbeiter aus, bevor sie selbst entdeckte, wie sehr sie die Arbeit mit Leder liebte.

Mumm zieht den Gürtel über das sogenannte „stitching pony“, ein „Nähpferd“, das einem schmalen Stock gleicht, und näht. Als er damit fertig ist, widmet er sich einem Fahrradgriff,den er für ein Regensburger Unternehmen mit Leder beziehen soll.Angefangen hat alles mit Geldbeuteln und Mäppchen, die er an Freunde verschenkt hat. Warum es ausgerechnet Leder war, weiß Mumm gar nicht mehr genau. Den Ausschlag gaben wohl praktische Gründe: Die Arbeit mit Holz brauchte mehr Platz und machte mehr Dreck. In Mumms Regensburger WG war das keine Option. Später konnte er den Dachboden über der Kneipe „Alte Filmbühne“ nutzen, in der er als Kellner jobbte. Dort gab es zwar weder Heizung noch fließendes Wasser, aber Platz, seinem Hobby nachzugehen.

In unserer Bildergalerie bekommen Sie weitere Eindrücke aus der Werkstatt von Jonas Mumm:

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Der Kunde entscheidet sich für das Produkt, das Mumm empfiehlt, die Kasse, ein großer, grauer Kasten mit riesigen Tasten, klingelt. „Ich mag die, weil sie so lustige Geräusche macht“. sagt Mumm, weshalb er sie behalten will, obwohl das Finanzamt sie nicht akzeptiert. Deshalb führt Mumm ein Kassenbuch – analog, wie früher.

Hier finden Sie mehr Infos über das traditionsreiche Geschäft:

Mumm nimmt einen Stapel Kappen aus einem Regal und setzt sich an seine Nähmaschine. Sie stammt von den Vorbesitzern und ist ein halbes Jahrhundert alt. Die Nähmaschine ist ein schönes Stück, eine Antiquität wie die Kasse – aber Mumm ist kein Nostalgiker. Es geht ihm nicht primär um den Charme alter Dinge, sondern um deren Qualität: „Ich will hochwertige, haltbare Sachen herstellen.“ Und das geht oft am besten mit den alten, traditionellen Hilfsmitteln.

Kurbeln wie in Zeitlupe

Mumm holt eine kleine Schachtel voller Lederbuttons – Aufnäher für die Mützen. Er kurbelt von Hand, wie in Zeitlupe setzt er die Stiche. Stundenlang kann er so dahin arbeiten, etwas Meditatives habe das, erklärt er. Wenn er dann so im Schaufenster sitzt, bleiben oft Passanten stehen und sehen zu, wie damals der Student in Rom, der nicht an dem kleinen Geschäft vorbeigehen konnte. Oder sie kommen in den Laden, selbst wenn der eigentlich schon geschlossen hat.

Mittlerweile kann Mumm von seinem Laden leben – geholfen haben sein Netzwerk von Regensburger Handwerkern und das Weihnachtsgeschäft. Trotzdem bedient er weiterhin jeden Samstagabend in der Kneipe „Die Apotheke“. Eintönig ist ihm das stundenlange Arbeiten allein in der Werkstatt nicht. „Ich wundere mich eher, dass ich die Arbeit in der Gastronomie noch aushalte“, sagt er.

Im Video können Sie Jonas Mumm bei der Arbeit zusehen:

Kurz vor 14 Uhr kommt der letzte Kunde. Er will eine Lederjacke geändert haben. Dann schließt Mumm den Laden. Jetzt kann er wieder ungestört arbeiten. Er hat nämlich noch einen besonderen Auftrag: Jemand möchte den Handlauf an der Treppe seines Hauses mit Leder bezogen haben. So etwas hat Jonas Mumm noch nie gemacht. Aber er ist zuversichtlich: „Das hat ja auch viel mit Architektur zu tun. Das kriege ich hin.“

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