Neuerscheinung
Der Mann ohne Geheimnisse

Bisher gab es keine Biografie über Olaf Scholz. Jetzt zeichnet ihn die erste als selbstbewussten Politiker ohne Privatleben.

03.12.2021 | Stand 15.09.2023, 22:50 Uhr
Sven Gösmann
Der damalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz (r), unterhält sich während der Bundesratssitzung mit dem damaligen Staatsrat Wolfgang Schmidt (beide SPD). Der Chefredakteur des Hamburger Abendblatt, Lars Haider, hat die erste Biographie über den früheren Ersten Bürgermeister der Hansestadt und aller Voraussicht nach zukünftigen Bundeskanzler Olaf Scholz verfasst. Sie trägt den Titel „Olaf Scholz - Der Weg zur Macht“. −Foto: Soeren Stache/dpa

Kommt es wie erwartet, dann wird Olaf Scholz Bundeskanzler. Doch wer sich über den neunten Regierungschef der Bundesrepublik auf dem Buchmarkt informieren will, sucht vergeblich. Zwar hat Olaf Scholz selbst 2017 sein Manifest „Hoffnungsland“ veröffentlicht. Aber Biografien über den Sozialdemokraten gibt es nicht. Diese Lücke schließt pünktlich zum Amtsantritt ein Journalist, der Scholz näher kennt als die allermeisten. Lars Haider ist Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“, immer noch so etwas wie die Heimatzeitung des früheren Bürgermeisters der Hansestadt, auch wenn der schon lange in Potsdam wohnt.

Haider gelingt auf 200 süffig zu lesenden Seiten ein Porträt, das den in der Öffentlichkeit oft spröde wirkenden Scholz besser verstehen hilft. Es ist weniger ein Buch für Berliner Politik-Insider, die nach unbekannten Details im Leben des 63 Jahre alten Scholz suchen, sondern vielmehr eine schlüssige Erzählung, wie aus ihm gegen alle Erwartungen ein Wahlsieger und Bundeskanzler wurde.

Politische Nahtoderfahrung

Wobei, und das ist der Kern von Haiders Beschreibung, es „alle“ Erwartungen nicht trifft: Scholz selbst war schon immer überzeugt, dass er das schafft. Haider erinnert sich an seine eigene Verblüffung 2018, als Scholz nach einem ihrer vielen Gespräche mal wieder sein Büro verließ: „Der glaubt wirklich, dass er Kanzler wird.“

Was der Chefredakteur damals für einen Wunschtraum des sonst so nüchternen Scholz hielt, erscheint in der längeren Betrachtung logischer. Denn Scholz hatte alles schon einmal durchlitten, was er in den verrückten vergangenen zwei Jahren politisch erlebt hat: sowohl die politische Nahtoderfahrung durch den SPD-Machtverlust in Hamburg 2001 wie die Wiederauferstehung durch seinen Wahlsieg dort mit absoluter Mehrheit 2011.

Nur ging es diesmal viel schneller: 2019 bei der Wahl zum SPD-Chef durchgefallen, ein Jahr später erst Kandidat, wieder ein Jahr danach Kanzler. „Es fühlt sich an wie 2011“, verriet ein entspannter Scholz prompt Haider bereits im Sommer vor der Bundestagswahl.

„Olaf Scholz - Der Weg zur Macht“ bringt uns vor allem den Politiker und sein Umfeld näher. Sein detailverliebtes Wissen, seine perfektionistische Vorbereitung, seinen Stoizismus auch nach Niederlagen wie der im Kampf um den SPD-Parteivorsitz.

Alles Private ist unter Verschluss

Scholz, so ein Satz von ihm, „beklagt sich nicht und erklärt sich nicht“. Das ist auch das Motto der Queen, für einen Kanzler, der schon über seine Wiederwahl in vier Jahren nachdenkt, reicht das natürlich nicht. Da wird Scholz seine Politik erklären müssen. Das Kanzleramt ist nicht der Buckingham-Palast, das aufgeregte Corona-Deutschland nicht das nüchterne Hamburg.

Noch lässt er das Erklären vor allem von seinem engsten Vertrauten Wolfgang Schmidt erledigen. Der bearbeitet Journalisten wie Parteifreunde und Parteifeinde, ist Scholz‘ Sherpa und nimmt deshalb in Haiders Buch viel Raum ein. Aber nie so viel, dass Scholz eifersüchtig werden könnte, was die lange Vertrauensbeziehung der beiden Politiker erklärt.

Einen größeren Einfluss hat wohl nur Scholz-Ehefrau Britta Ernst, inzwischen SPD-Bildungsministerin in Brandenburg. Ihre Beziehung wie nahezu alles Private hält Scholz so gut unter Verschluss, dass sich der Verdacht aufdrängt, bei dem Workaholic-Paar sei die Arbeit fast das ganze Leben.

„Wer bei mir Führung bestellt, bekommt auch welche.“Olaf Scholz, künftiger deutscher Kanzler

So erfährt man in dem Buch nichts, was Scholz nicht möchte. Der Lebenslauf bleibt bekannt karg: geboren in Osnabrück in kleinbürgerlichen Verhältnissen, getauft in Hamburg, zwei ebenfalls erfolgreiche Brüder - einer IT-Firmenchef, einer Chefarzt -, Schulsprecher in Hamburg-Rahlstedt, keine Kinder. Als Arbeitsrechts-Anwalt auch in Ostdeutschland nach der Wende aktiv, Aufstieg vom linken Juso zum Finanzminister, eine trotz Wegzugs behaltene Vierzimmerwohnung in Hamburg-Altona.

Immerhin wird deutlich, was Scholz nicht mag: Angeber, unzuverlässige Politiker, Schwafler, Smalltalk. Er macht lieber und brachte so etwa das bis zu seinem Amtsantritt in Hamburg katastrophal verlaufene Elbphilharmonie-Projekt zu einem guten Ende.

Treffsicheres Charakterbild

Und Haider arbeitet heraus, was Scholz schwerfällt: Fehler einzugestehen wie nach den G-20-Krawallen in Hamburg oder bei diversen Finanzaffären.

Trotz des Mangels an persönlichen Anekdoten zeichnet das Buch treffsicher das Charakterbild des Politikers Scholz. Er ist wohl ein Mann mit wenigen Geheimnissen, sehr sachlich und sehr selbstbewusst. „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt auch welche“, solche Sätze zeigen durchaus, worauf sich die Deutschen einstellen können.

Seine Vorgängerin Angela Merkel (CDU) bemerkte einmal über ihren unglamourösen Politikstil, das deutsche Volk habe „kein Topmodel, sondern eine Kanzlerin“ gewählt. Scholz sagt: „Ich will Bundeskanzler werden, nicht Zirkusdirektor.“ Auf den „Handyalarm“-Journalismus kommen schwere Zeiten zu.

Lars Haider: Olaf Scholz – Der Weg zur Macht, Klartext-Verlag (Essen), 200 Seiten, 20 Euro, erscheint am 6. Dezember.