Porträt
Der Musikant und seine große Liebe

Rudi Möller ist vielleicht der dienstälteste Alleinunterhalter Ostbayerns. Der Nittendorfer spielt begnadet Akkordeon.

09.02.2018 | Stand 16.09.2023, 6:09 Uhr
Heike Sigel

Portrait Rudi Möller Musiker Akkoredeonspieler Nittendorf Foto: altrofoto.de

Rudi Möller ist ein Musikant, wie er im Buche steht. Im besten Sinne des Wortes. Mit seinem Schnauzbart, dem kleinen Filzhut und den fröhlich blitzenden Augen erfüllt der 67-Jährige schon allein optisch die Erwartungen an einen bayerischen Volksmusikanten perfekt. Eigentlich fehlt nur noch die Krachlederne. Aber in seinem Reich, dem Musikkeller in seinem Einfamilienhaus in Nittendorf, trägt der pensionierte Volksschullehrer heute, an einem nasskalten Januartag, Jeans und Lammfellschuhe. Auf einem Tisch steht ein zerlegtes Akkordeon, das zum Stimmen an einen Laptop angeschlossen ist. Der geöffnete Schiebeschrank gibt den Blick auf glänzende, kunstvoll verzierte Schifferklaviere frei. Auf einem anderen Computerbildschirm ist ein Notenblatt zu sehen. Möller arbeitet, wie so oft, gerade an einer neuen Komposition.

„Ich fühle mich nicht wie kurz vor 70.“Rudi Möller

Die wichtigste Voraussetzung für einen guten Musikanten bringt er sowieso mit: Rudi Möller beherrscht sein Instrument, das Akkordeon, so gut wie kaum ein anderer.

Sobald Rudi Möller sein Lieblings-Akkordeon mit dem „Rudi“-Schriftzug umschnallt, geschieht eine wundersame Verwandlung. Der extrem ausgeglichene Mann beginnt zu lächeln, er verändert seine Körperspannung und wirkt auf einen Schlag viele Jahre jünger. Aus dem Gedächtnis spielt er, was ihm in den Sinn kommt. Sein Blick schweift in die Ferne. Der Musiker scheint fast mit dem Instrument verwachsen und sieht beneidenswert glücklich aus. Das Akkordeon ist Rudi Möllers große Liebe, neben seiner Frau und den drei erwachsenen Kindern natürlich. Und es ist sein Jungbrunnen. „Ich fühle mich nicht wie kurz vor 70“, sagt er, und: „Mit Musik kann man die Menschen unmittelbar beeinflussen.“

Die große Liebe zwischen Rudi Möller und dem Akkordeon dauert nun schon fast 60 Jahre. Begonnen hat sie, als er acht Jahre alt war. Damals lebte der Bub zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester in einer Zwei-Zimmer-Mietswohnung im Regensburger Stadtteil Reinhausen. Mit im Haus wohnte ein Musiker des Regensburger Stadttheaters. Der übte in seiner Wohnung ausdauernd und regelmäßig Klarinette, was keine der Mietsparteien je gestört hat, im Gegenteil. „Sein Spiel hat in mir den Impuls ausgelöst, auch ein Instrument zu lernen“, erinnert sich Rudi Möller. Die Mutter hatte Sinn für Musik. Sie konnte Zither spielen und gab dem Wunsch des Sohnes schnell nach. Und so durfte Klein-Rudi mit sieben Jahren beim Profi-Klarinettisten Blockflöten-Unterricht nehmen. Der wiederum erkannte das große Talent des Jungen schnell und meinte, er könne doch auch noch ein anderes Instrument lernen. „Und was war zu der Zeit in?“, fragt Rudi Möller die Reporterin, um die Antwort gleich selber zu geben. „Das Akkordeon, das Schifferklavier, das Klavier der armen Leute.“ 250 D-Mark kostete Möllers erstes Akkordeon. Eine Menge Geld für damalige Verhältnisse.

Die Gymnastik-Damen tanzten alle nach Möllers Pfeife

Mit der Wahl seines nächsten Lehrers hatte der musikalische Junge Glück. Rudi Möller spricht noch heute voller Respekt von ihm. „Mein Lehrer Rudi Listl war in ganz Bayern als Akkordeonvirtuose bekannt. Listl hat an der Musikhochschule in Trossingen studiert und bei ihm hatte das Akkordeon nicht den Beigeschmack eines reinen Volksmusikinstruments. Dank ihm habe ich eine ganz andere Ausbildung genossen als die meisten anderen Akkordeonspieler.“ Die Musikstunden haben sich für den Grundschüler aus Reinhausen mehr als ausgezahlt. Schon mit elf Jahren hatte er seine ersten Auftritte auf Weihnachtsfeiern örtlicher Vereine. „Dafür hat’s dann zehn Mark gegeben. Für einen elfjährigen Buam war das schon was!“ Ein Auftritt aus dem Jahr 1964 ist Rudi Möller in besonderer Erinnerung geblieben. Da war er 14 und durfte bei der sogenannten „Jungbürger-Feier“ im Neuhaussaal spielen. „Die Stadt Regensburg hat damals alle jungen Leute, die volljährig wurden, zu einem Festakt eingeladen. Für mich war es eine große Ehre, dort aufzutreten.“

„Dafür hat’s dann zehn Mark gegeben. Für einen elfjährigen Buam war das schon was!“Rudi Möller

Eigentlich könnte Rudi Möller ein Buch über die Erlebnisse bei seinen Auftritten schreiben. Eine Anekdote reiht sich an die nächste. Keinesfalls unterschlagen werden darf sein Engagement bei der Damen-Gymnastikabteilung der RT: „Die suchten dringend musikalische Unterstützung und so begleitete ich als 18-Jähriger jeden Mittwochabend mit meinem Akkordeon die Damen bei ihrer Gymnastik.“ Das Problem dabei: Der Musiker hatte weder musikalische Vorgaben noch irgendwelche Vorlagen. „Also schaute ich mir die Bewegungen an, entschied, ob ich im 3/4- oder 2/4-Takt begleiten musste und erfand dazu eine Melodie.“

Beim Erzählen greift Rudi Möller unwillkürlich zum Akkordeon und beginnt zu spielen. Er ist wieder der Schüler, der mitten in der alten Turnhalle des Goethe-Gymnasiums auf einem Stuhl sitzt und aufspielt, während sich Frauen im Alter „von Mitte 40 aufwärts“ körperlich ertüchtigen. Rudi Möller schmunzelt: „Wenn 30 Damen nach deiner Pfeife tanzen, das ist schon schön.“ 1970 dann das Jahr, das laut Möller „zwei wichtige Weichen stellte“: Er begann sein Studium an der Uni Regensburg – „ich war beim letzten Jahrgang, der nach der alten Lehrerausbildungsordnung noch die Klassen von eins bis zehn unterrichten durfte“ – und machte sich gleichzeitig als „Alleinunterhalter Rudi“ selbstständig. Der damalige Wirt des Gasthofs Zirngibl in Bad Abbach engagierte den jungen Mann vom Fleck weg für sein Tanzlokal, als er ihn das erste Mal spielen hörte. Auch die Kurgäste waren begeistert. Die Aufträge flatterten nur so ins Haus. Finanzielle Sorgen hatte der Lehramtsstudent fortan keine mehr.

Rudi Möller bezeichnet sich selbst als den „dienstältesten Alleinunterhalter Ostbayerns“. „Ich war viel mehr als nur ein Akkordeonspieler, der singt. Mit dem linken Fuß habe ich die Trommel und mit dem rechten das Hi-Hat gespielt. Ich konnte quasi eine Mini-Kapelle ersetzen, und das war damals neu.“ Doch die Zeiten änderten sich. Das Publikum wurde immer jünger. Statt Live-Musikern waren auf einmal DJs, Lichtshows und Nebelmaschinen gefragt. Zum Glück ist Rudi Möller ein positiver Mensch. Er nahm den neuen Musikgeschmack der jungen Leute mit Humor: „Wenn jemand gesagt hat ,Geh, spui doch amal wos vom Michael Jackson’, dann habe ich geantwortet: ,Selbstverständlich. Aber erst, wenn der Michael Jackson einen Zwiefachen im Programm hat’.“

Sein Wunschtraum: Ein Auftritt bei der Wiedereröffnung der Steinernen

Selbstredend hat Rudi Möller als Lehrer unzähligen Schülern das Akkordeonspielen beigebracht und mit seinen Akkordeon-Gruppen auch bei Musikwettbewerben Erfolge gefeiert. 2006 zum Beispiel gewann er mit Nachwuchsmusikern aus seiner Sinzinger Schule den Song-Wettbewerb für das Kinderbürgerfest der Mittelbayerischen Zeitung. Seit ein paar Jahren ist Möller nun schon pensioniert. Er komponiert wieder öfter und widmet sich dem Harmonikabau. Besonders stolz ist er auf seine Eigenkomposition „Bayerisches Bier – unser Bier“. Ein Verleger nahm das Lied in sein Programm auf und zusammen mit der Oktoberfestkapelle „Alois Altmann und seine Isarspatzen“ sang Rudi Möller den Titel im vergangenen Jahr im Hofbräufestzelt auf der Wiesn (hier geht es zum YouTube-Video).

Heuer ist Rudi Möller bei verschiedenen Themenfahrten der Klinger-Schifffahrtsgesellschaft live zu erleben. Sein persönliches Highlight wäre allerdings ein Auftritt anlässlich der Eröffnung der frisch restaurierten Steinernen Brücke. Warum? „Weil ich zusammen mit meinem Schulfreund Eberhard Geyer das Lied ,d’Stoana Bruck‘ komponiert habe und wir der Steinernen Brücke zur Wiedereröffnung ein musikalisches Denkmal setzen wollen.“ Er greift zum Akkordeon und scheint schon mittendrin im Festakt zu Ehren der Steinernen. „Ich will, dass die Gäste aufstehen und einen Boarischen mittanzen.“ Rudi Möller blickt versonnen in die Ferne und sieht, wie die Paare auf der Brücke ein Tänzchen wagen...

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Sie in unserem Aboshop.

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