Hexenagger.Noch heute weiß Eberhard Leichtfuß genau, wo er auftreten muss. Bei der zweiten Stufe hangelt er sich am Geländer entlang, bei Stufe Nummer drei setzt er die Zehenspitzen vorsichtig rechts außen auf. Und tatsächlich: Die uralte Holztreppe knarzt kein bisschen. „Wir mussten auch mit 17 und 18 noch fragen, ob wir abends weggehen durften“, sagt der 54-Jährige. Und wenn man mal zu spät heimkam, konnte man nur hoffen, dass die Eltern nichts mitbekamen. Bei einer Treppe, die schon von fünf Familiengenerationen vor ihm mit Füßen getreten worden war, ist das allerdings ein kleines Kunststück.
Wenn Schlossherr Eberhard Leichtfuß durch die 35 Zimmer geht, die über die 1520 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche von Schloss Hexenagger verteilt sind, überkommen ihn auf Schritt und Tritt Erinnerungen. In der modernen Großküche sieht er noch den „Riesenholzherd“ vor sich stehen und die Holzkiste, in der er und seine vier Geschwister sich gerne versteckten. Im großen Esszimmer werden die Mittagessen vergangener Zeiten wieder lebendig. Bei Schulkameraden konnte er damit Eindruck schinden - schließlich hatte nicht jeder eine Mutter, die durch eine unter der Tischplatte versteckte Klingel über das Erscheinen von vier Serviermädchen bestimmen konnte.
„Rosen sind meine Passion“
„Und hier machten wir als Kinder unsere ersten Doktorspiele“, sagt Eberhard Leichtfuß und grinst verschmitzt. Im so genannten Liebespavillon im Renaissancegarten ist heute ein bezauberndes Gästezimmer untergebracht, dessen Eingang von duftenden Rosen umwuchert wird. „Rosen sind meine Passion“, sagt der Schlossherr. Aber nicht nur dafür hat er eine Leidenschaft. Früh, um halb sechs, wenn seine Frau Maria, Sohn Vincent (8) und die Zwillingstöchter Valesca und Valerie (6) noch schlafen, schnippelt er an seinen Buchsbäumen herum. „Und die Vorliebe für die Jagd und die Reiterei habe ich sozusagen mit der Muttermilch eingesogen.“
Mütterlicherseits nämlich stammt Eberhard Leichtfuß von dem niederschlesischen Adelsgeschlecht der von Kalckreuths ab. Sein Vater Wilhelm hingegen war ein Bürgerlicher. Wie es der Zufall wollte, geriet dieser Ende des Zweiten Weltkriegs mit Baron Thomas de Bassus in London in Kriegsgefangenschaft. Nach ihrer Entlassung kamen beide zunächst nach Schloss Sandersdorf, das nicht weit von Hexenagger entfernt liegt. Bei einem Besuch in der Nachbarschaft lernte Wilhelm Leichtfuß seine Frau Ilse von Kalckreuth kennen. Diese hatte es kurz zuvor geschickt verstanden, wertvolle Familienschätze vor den einrückenden US-Soldaten zu verstecken: Gemeinsam mit polnischen Kriegsgefangenen schaffte sie die Sachen in die heutige Jagdsuite und verstellte die Tür, die am Ende eines Ganges liegt, mit einem Schrank. Die etwa 150 Amerikaner kamen während ihrer vier Monate auf Hexenagger nicht auf dieses Versteck.
Zu diesem Zeitpunkt gehörte Hexenagger noch Ilses Onkel Otto Edler von Weidenbach. Nach seinem Tod im Jahr 1951 vermachte der kinderlose Onkel den Besitz seiner Nichte. Ursprünglich hatten die von Weidenbachs Hexenagger als Jagdschloss und Sommerresidenz erworben. Das war im Jahr 1834. Erst im Laufe der Zeit machte die Familie aus dem Gut einen florierenden forstwirtschaftlichen Betrieb. Auch Eberhard Leichtfuß ist studierter Forstwirt. Doch als ihm 1990 Orkan Wiebke Holz im Wert von fünf Millionen D-Mark zerstörte, sattelte er um. „Mir war klar, dass ich ein zweites Standbein finden muss.“
Vom Forst- zum Eventmanager
Vor 16 Jahren hatte er dann die zündende Idee: Ein Weihnachtsmarkt vor der romantischen Schlosskulisse. Für eine Mark Eintritt stürmten an nur einem einzigen Wochenende an die 5000 Besucher sein Anwesen. Seitdem ist Leichtfuß nur noch im Nebenberuf Forstwirt. „Mein Hauptberuf ist jetzt Eventmanager“, sagt er. Seine Events haben mittlerweile beachtliche Dimensionen angenommen. Bis zu 90000 Menschen aus aller Welt besuchen Schloss Hexenagger an den vier Adventswochenenden. Außerdem veranstaltet Eberhard Leichtfuß ein Halloween-Spektakel und Gartenmessen.
Weitere Pläne hat er schon in der Tasche: Er will Waldführungen für Kinder anbieten und einen Naturlehrpfad anlegen. Außerdem wird dieses Jahr zum ersten Mal ein Feenfestival stattfinden. „Die jüngsten Berater sind meine Kinder“, sagt Eberhard Leichtfuß. „Bei den Zwillingen sind Feen im Moment stark angesagt.“ Vom Sommerwohnzimmer aus geht es an einer uralten Mauer entlang nach oben in seine Wohnräume. „Das ist privatissimo“, sagt er. „Die Mauer hier im Treppenbereich habe ich selbst freigelegt.“
So wie er auch selbst bestimmte, dass es neben der stuckverzierten Bibliothek eine puristisch eingerichtete Toilette gibt, in der CD-Ständer von Ikea als Regal für Handtücher dienen und neben der mit edlem Stoff bespannten Fledermaussuite, „meinem Wolkenkuckucksheim“, eine wacklige Wendeltreppe von einem Pariser Flohmarkt auf den Dachboden führt. „Tradition kann nur durch Innovation überleben“, sagt Eberhard Leichtfuß. Der Erfolg gibt ihm recht.
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