Gesundheit
Der Schmerz ist nur eine Nische

Ambulante Schmerzzentren sehen sich weiter als „ungeliebtes Kind“. In Regensburg gibt es zwei große Anlaufstellen.

06.06.2018 | Stand 16.09.2023, 6:10 Uhr
Ärztin Gabriele Müller (re.) erklärt in ihrem Behandlungszimmer im Schmerzzentrum Rhein-Main ihrer Patientin Silvia Gaul anhand eines Skeletts, wo die Schmerzen entstehen. −Foto: picture alliance / Frank Rumpenh

Seit zehn Jahren hat Florian Müller Rückenschmerzen. Er wurde vor ein paar Jahren operiert – keine Besserung. Der Mann schreibt an die Schmerzambulanz der Universitätsklinik Regensburg. Nach einer Wartezeit bekommt er einen Termin. Dort soll ihm geholfen werden.

Der fiktive Patient Florian Müller skizziert den Regelfall, mit dem Dr. Christoph Lassen und sein Team am Uniklinikum meist beschäftigt sind. „Wenn die geläufigen Therapien nicht wirken, kommen die Patienten zu uns“, sagt Lassen. Mit einem Team von 15 Leuten betreut er Menschen mit chronischen aber auch akuten Schmerzen.

Schmerzmedizin braucht Zeit

Bei seinem ersten Termin wird Musterpatient Müller nicht behandelt. Zuerst redet ein Arzt eine Stunde mit ihm, danach ein Psychologe, später noch ein Physiotherapeut. Diese drei Parteien arbeiten in der Schmerzmedizin zusammen. Jeder der drei hat einen unterschiedlichen Ansatz. Aber alle drei wollen sie dem Patienten helfen. „Die Psyche spielt meistens eine große Rolle“, sagt Lassen. Schmerzmedizin brauche deshalb besonders viel Zeit.

Ähnlich läuft es auch bei den Barmherzigen Brüdern in Regensburg. „Wir können nicht garantieren, dass die Schmerzen aufhören. Aber wir helfen den Menschen, damit zu leben“, sagt Dr. Klaus Hanshans, Leiter der Schmerztherapie im Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg. Dort bleiben die Patienten vier Wochen lang acht Stunden pro Tag in Behandlung.

Der Arzt prüft, ob Medikamente helfen könnten, der Psychologe untersucht, ob der Schmerz psychische Ursachen hat. „Der Zusammenhang zwischen Psyche und Schmerz ist vielen unklar“, sagt Hanshans. Der Physiotherapeut arbeitet ein Trainingsprogramm mit dem Patienten aus. Ein ähnliches Konzept gibt es an der Uniklinik – drei Wochen und stationär am Klinikum.

Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) wird nicht müde, solche Modelle zu loben. „Patienten mit chronischen Schmerzen benötigen intensive, spezialisierte und durch verschiedene Disziplinen aufeinander abgestimmte Behandlung“, heißt es in einem Maßnahmenkatalog, der am „Nationalen Versorgungsforum Schmerz“ verabschiedet wurde. Doch genau das würde einem Großteil der Schmerzpatienten aufgrund „struktureller Versorgungsdefizite“ vorenthalten. 23 Millionen Menschen leiden laut der Gesellschaft in Deutschland unter chronischen Schmerzen.

Gabriele Müller, die das Schmerzzentrum Rhein-Main in Frankfurt leitet, macht Gesundheitspolitik, Krankenkassen und Futterneid unter Medizinern verantwortlich. „Das System hat ein Problem“, sagt sie vor dem Aktionstag gegen den Schmerz am 5. Juni. „Wir sind das ungeliebte Kind.“ Das Problem ist auch bei ihren Kollegen in Regensburg bekannt. „Es wird immer noch mehr Geld für Akupunktur als für Schmerzmedizin ausgegeben“, sagt Hanshans.

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1500 Patienten kommen pro Quartal in das Zentrum, nur rund 200 pro Jahr schaffen es in das Intensivprogramm. „Für die einen gibt es Behandlung nach Sinn, für die anderen nach Vorschrift“, sagt Müller. In der „Regelversorgung“ dürfe nur gemacht werden, was als Kassenleistung abgerechnet werden könne, „und das ist Schmalspur“. Anti-Stress-Training, Naturheilverfahren oder Vorträge – zum Beispiel über das „Schmerzgedächtnis“ – bleiben außen vor.

Falsche Anreize gesetzt?

Ob man ins Intensivprogramm kommt oder nicht, hängt Müller zufolge davon ab, wo man versichert ist. Eine gesetzliche Kasse bewerbe das Programm sogar von sich aus, „bei anderen hab ich noch nie eine Zusage gekriegt“. Dabei seien die Alternativen – ein Krankenhausaufenthalt oder eine Operation – viel teurer. „Eine Operation wird sofort bewilligt, aber eine ambulante konservative Behandlung darf nichts kosten“, kritisiert Müller. Berufspolitisch werden hier aus ihrer Sicht „die falschen Anreize gesetzt“.

„Eine Operation wird sofort bewilligt, aber eine ambulante konservative Behandlung darf nichts kosten.“Gabriele Müller Leiterin eines Schmerzzentrums

Rund 30 solcher Schmerzzentren gibt es in Deutschland. Auch die Universitätsklinik Regensburg wird sich in ein paar Monaten Schmerzzentrum nennen. Unterstützt werden sie von der Techniker Krankenkasse. Sie rät Patienten vor einer Operation an Rücken, Hüfte, Knie oder Schulter, unbedingt eine zweite Meinung einzuholen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass in circa neun von zehn Fällen eine geplante Operation vermieden werden kann“, sagt Barbara Voß, Leiterin der Techniker Krankenkasse in Hessen. Zurückhaltend ist dagegen die AOK. „Es handelt sich einfach nicht um Kassenleistungen“, sagt der Sprecher der AOK Hessen, Riyad Salhi. „Insofern ist eine Übernahme dieser Leistungen rechtlich gar nicht möglich“.