Interview
Der Traum eines jeden Synchronsprechers

Charles Rettinghaus ist die Stimme von Jamie Foxx und Robert Downey Jr. Der Sprecher kennt das Geschäft seit über 30 Jahren.

22.05.2018 | Stand 16.09.2023, 6:12 Uhr
Angela Sonntag

Martin Diepold

Als ich für den Artikel überSynchronsprecherin Berlin bin, hatte ich eigentlich vor, auch einen Interview-Termin mit Charles Rettinghaus zu führen. In den Studios der „Berliner Synchron GmbH“ erzählt man mir dann, dass Charles zwar gestern zu Aufnahmen hier war, aber heute in Mannheim auf einer Comic Convention ist. Dort trifft er den amerkanischen Schauspieler Jeffrey Dean Morgan, der momentan die Hauptrolle Negan in der Serie „The Walking Dead“ spielt und den Rettinghaus im Deutschen synchronisiert. Also vereinbaren wir ein telefonisches Interview, was sich im Nachhinein als sehr spannend herausstellt. Nicht, dass ich Charles Rettinghaus nicht gerne getroffen hätte. Aber schon bei der Begrüßung habe ich das Gefühl, mit Jamie Foxx zu telefonieren, zwischenzeitlich habe ich das Bild von Robert Downey Jr. als Sherlock Holmes vor mir. Charles Rettinghaus’ Stimme ist signifikant, einprägsam – und bekannt. Schließlich ist er schon seit über 30 Jahren in der Synchronbranche tätig und hat deshalb einiges über den Beruf zu erzählen.

Herr Rettinghaus, Sie sind gelernter Brückenbauer. Nicht unbedingt ein Beruf, der dann zum Synchronsprecher führt. Wie sind Sie trotzdem im Studio gelandet, um Filme und Serien zu synchronisieren?

(schmunzelt)Die Geschichte ist im Prinzip recht einfach: Ich war auf der Hauptschule und mein Abschluss war nicht so toll. Ich hatte schon immer den Plan, auf die Schauspielschule zu gehen, aber damals wurde man dort nur mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Abitur aufgenommen. Vom Abitur war ich weit entfernt(lacht), also habe ich eine Ausbildung zum Brückenbauer gemacht. Gleich, als die Lehre fertig war, bin ich auf die Schauspielschule, war dort drei Jahre und anschließend sechs Jahre am Theater. Während dieser Zeit als Schauspieler am Theater habe ich bereits mit dem Synchronsprechen begonnen. Schließlich sind 80 Prozent der Synchronsprecher ausgebildete Schauspieler.

Wie gehen Sie an Rollen ran? Wie bereiten Sie sich vor?

Im Synchronbereich gibt es keine Vorbereitung mehr. Weil alles sehr eng getaktet ist. Heute zum Beispiel mache ich in zwei Stunden „Walking Dead“. Die Folge wird nächste Woche, also sieben Tage später, ausgestrahlt. Früher durften wir uns vorher zuhause die Serien auf DVDs anschauen, um zu wissen, um was es geht. Aber das ist jetzt viel strenger, weil die Gefahr besteht, das irgendetwas vorab im Internet landet. Also darf keiner vorher etwas sehen. Aber das macht dann eben Profis aus. Wir kommen ins Studio, sehen den Text zum ersten Mal, sehen das Bild zum ersten Mal und los geht’s.

Sie sprechen einige Feststimmen in Kinofilmen, aber auch viele Seriencharaktere. Darunter sind einige Afro-Amerikaner wie Jamie Foxx, Victor Williams (Deacon Palmer aus „King of Queens“) oder Harold Perrineau, Jr. („Lost“ und „Matrix Reloaded“). Gerade Afro-Amerikaner haben im Original ja einen ganz speziellen Slang. Können Sie das in der Synchronisation übernehmen?

Nein, so gut wie gar nicht. Das ist ganz schwer. Nehmen wir das Beispiel „Django Unchained“ mit Jamie Foxx: Da haben wir versucht, dass ich ganz verschliffen spreche und sehr nuschelig. Das hat recht gut funktioniert. Aber die unterschiedlichen Slangs, die es bei „Django Unchained“ im Original gibt, kann man nur sehr schwer übertragen.

Weil Sie gerade Jamie Foxx angesprochen haben: Wie lief das beim Film „Ray“ ab, in dem Jamie Foxx die Soul-Legende Ray Charles darstellt? Da ging es nicht nur um Sprech-, sondern auch um Singszenen. Wie viel wurde synchronisiert?

Schön, dass Sie diesen Film ansprechen. Ich habe in meinen 30 Jahren ja alles rauf und runter synchronisiert, aber „Ray“ war der schönste Film. Zuerst gab es ein Probesprechen mit 20 Leuten. Aus der Gruppe haben der Regisseur des Films und Jamie Foxx mich ausgewählt. Das war schon eine Riesen-Freude. Seit dem habe ich Jamie Foxx auch weiterhin gesprochen. Die Synchronisation von „Ray“ war eine ganz akribische, aber unglaublich tolle Arbeit. So mussten beispielsweise die Übergänge zu den Songs – die ich natürlich nicht gesungen habe – so unauffällig wie möglich sein. Es hat sehr viel Spaß gemacht, daran zu arbeiten. Das lag aber auch an dem Film selbst. Jamie Foxx hat für diesen Film eine Wahnsinns-Arbeit geleistet und zu Recht auch dafür den Oscar bekommen. Und wenn man dann so jemanden synchronisieren darf, ist das schon besonders.

Sie sind außerdem noch die Feststimme von Jean-Claude Van Damme. Ein Schauspieler, der schon seit Jahrzehnten im Geschäft ist und hauptsächlich Action-Filme dreht. Action ist ja wieder ein ganz anderes Genre, viel Ächzen, Schreien, Stöhnen, Aus-der-Puste-sein , das Gegenteil von – sagen wir mal – einem Dialog im Restaurant. Wie ordnen Sie diese Synchronisationen ein?

Diese Synchronisationen sind schnell verdientes Geld. Wie Sie schon gesagt haben, ächzen, stöhnen, kämpfen, bam, bam(lacht). Den Auftrag zu Jean-Claude Van Damme habe ich 1991 bekommen, mit dem Film „Universal Soldier“. Da war van Damme auf dem Höhepunkt seiner Karriere, bestbezahlter Schauspieler, und dann rauschte er nach unten. Das sagt er ja auch selber. Da dachte auch ich mir: Schade, er wächst nicht mit seinen Rollen. Aber jetzt kommt er wieder. In der letzten Serie, die er für Amazon gedreht hat, „Jean-Claude van Johnson“, war er sensationell. Und nichtsdestotrotz habe ich Jean-Claude Van Damme zu verdanken, dass meine Stimme in den 90er Jahren bekannt geworden ist. Ich werde ihm immer treu bleiben.

Christian Brückner, ein ebenfalls in Deutschland sehr bekannter Synchronsprecher und die Stimme von Robert DeNiro, hat kürzlich in einem Interview gesagt: „Wenn DeNiro noch einmal so einen beschissenen Film wie ,Dirty Grandpa‘ macht, steige ich aus!“ DeNiro spielt in dem Film einen versauten Rentner, meiner Meinung nach grenzwertig. Wie sehen Sie das, machen Sie als Synchronsprecher alles mit?

(lacht laut)Das ist Christian Brückner. Aber im Ernst, für mich gibt es nur ein No-Go: Ich würde Tom Cruise niemals meine Stimme geben. Weil er öffentlich bekennt, Scientologe zu sein. Er mag ein guter Schauspieler sein, aber das würde ich niemals unterstützen. Ansonsten sehe ich das nicht so eng. Auch Van Damme hat Scheiß-Filme gemacht, aber deswegen würde ich nicht sagen, den spreche ich nicht. Da, finde ich, muss man der Sache treu bleiben.

Der Sache treu bleiben ist ein weiteres Stichwort: Wie sehen Sie es, wenn eine Feststimme neu besetzt wird? Im schlimmsten Fall ja deswegen, wenn ein Synchronsprecher stirbt ...

Das ist natürlich nicht einfach, aber sie muss neu besetzt werden. Das Paradebeispiel ist Arne Elsholtz, die Stimme von Tom Hanks. Er ist vor zwei Jahren gestorben und hat Hanks jahrzehntelang mit sehr prägnanter Stimme gesprochen. Man hat dann versucht, das Publikum zu beschummeln und einen Sprecher gesucht, der Arne imitiert. Das haben sie mit zwei Filmen gemacht, beim letzten Tom-Hanks-Film hat man sich wieder für Joachim Tennstedt entschieden, der Hanks ganz früher synchronisiert hat. Ich finde, wenn jemand stirbt, der so eine prägnante Stimme wie Arne hatte, dann sollte man ihn sterben lassen. Da muss das Publikum leider damit klarkommen. Denn wir Synchronsprecher sind keine Stimmimitatoren. Da wird unser Beruf verfälscht.

Marcus Off, der zeitweise die Synchronstimme von Johnny Depp ist oder war, hat im letzten Jahr nach über zehn Jahren einen Rechtstreit gegen Disney gewonnen. Off hat Johnny Depp in den ersten drei „Fluch der Karibik“-Filmen synchronisiert. Er hat gegen den Filmkonzern geklagt, weil seine vereinbarte Bezahlung im Missverhältnis zu den erzielten Erträgen der Filmreihe stand. Jetzt hat er Recht bekommen, wurde nachträglich vergütet – ist aber auch seinen Job als deutsche Stimme des Captain Jack Sparrows los. Wie bewerten Sie den Einsatz von Marcus Off, zu klagen?

Was Marcus Off gemacht hat, war für unsere Branche von großem Vorteil. Durch diese Geschichte sind die Filmverleiher viel zugänglicher, was Feststimmen betrifft. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich bekomme gute Gagen. Die Pauschal-Gage, die ich für einen Kinofilm X ansage, wird mir auch bezahlt. Vor fünf, sechs Jahren hätten die Verleiher gesagt: „Du hast doch einen Vogel!“ Marcus Off hat sich das geholt, was uns eigentlich zusteht. Er hat nicht einfach mehr verlangt. Es gibt diese Fairnessklausel, dass man ab einer gewissen Zuschauerzahl beteiligt wird. Wir wirken ja an diesem Produkt und auch dem eventuellen Erfolg mit. Das wissen die Verleiher und Filmfirmen, haben das aber über Jahrzehnte hinweg umgangen oder ignoriert. Aber da hat Marcus Off jetzt eben ein Zeichen gesetzt. Und wie gesagt, ich kann nur für mich sprechen, aber wir bekommen Gagen, die akzeptabel und gut sind.

Das heißt, Sie würden sagen, man kann als Synchronsprecher finanziell überleben?

Auf jeden Fall. Ich mache das seit 30 Jahren. Ich bin auch Schauspieler und drehe Filme oder Serien, aber davon könnte ich niemals leben. Das Synchronsprechen ernährt mich und meine Familie.

Was war Ihre kurioseste Synchronisation?

Das war tatsächlich „Star Trek“. Was ich da an komplizierten Wörtern sagen musste ... das hat manchmal mehrere Takes gebraucht(lacht).

Gibt es jemanden, den Sie gerne mal synchronisieren würden?

Ja, gibt es. Ich würde einmal gern sagen: „Mein Name ist Bond, James Bond!“ Aber da der nächste Bond nicht mehr in meiner Altersklasse sein wird, ist dieser Zug wohl abgefahren. Die einzige Hoffnung ist ein afro-amerikanischer Bond, dann hätte ich vielleicht noch eine Chance(lacht).

Der Text ist eine Leseprobe aus der Sonntagszeitung, die die Mittelbayerische exklusiv für ePaper-Kunden auf den Markt gebracht hat. Ein Angebot für ein Testabo der Sonntagszeitung finden Siein unserem Aboshop.