Menschen
Der Weinberg bleibt im Dorf

Maria Anna Bierwolf widerstand den Verlockungen des großen Geldes. Sie verkaufte lieber an eine junge Familie aus Winzer.

30.09.2017 | Stand 16.09.2023, 6:20 Uhr
Helmut Wanner

Marianne Bierwolf (links) mit den neuen Besitzern Marina, Manuela und Matthias Melzl im Weinberg bei der Kirche St. Nikolaus Fotos: altrofoto.de

Es war eine anonyme Anzeige in der Zeitung: Weinberg zu verkaufen. Aber alle haben sofort gewusst, wo. Leute mit Titel und Mittel standen bei Maria Anna Bierwolf in der Tür. Sie hatten teilweise die Scheine schon dabei, stellten sich vor als „Doktor sowieso“. Doch den Zuschlag bekam dann eine einfache Handwerker-Familie aus dem Dorf: die Melzls.

Die hatten gerade in Oberisling ein Grundstück verkaufen müssen, Austauschflächen für die Continental-Arena, und kamen vom Notar, als sie die Anzeige lasen. „Für eine Wohnung war das Geld zu wenig. Das hätte nur für ein Studenten-Appartement gereicht. Als wir die Anzeige sahen, wussten wir, wofür wir das Geld ausgeben.“ Für den Bierwolf-Weinberg.

Sie kamen zu dritt zur Besichtigung. Tochter Marina, 6, lief in den Weinberg, in dem ihr Vater schon als Bub gespielt hatte. Sie sah die Quelle, die der verstorbene Weingärtner Johann Bierwolf 1987 hatte fassen lassen, und trank sofort bedenkenlos das Winzerer Wasser. Da wusste Maria Anna Bierwolf: Die sind es.

Die erste Weinlese der Melzls

Die Melzls sind eine homogene Familie. Ihre Vornamen beginnen mit „Ma“, das klingt nach Frau Musica, der sie dienen: Der Handzuginstrumentenbauer Matthias und die Musikpädagogin Manuela hatten sich bei Hohner in Trossingen kennengelernt. 18 Jahre sind sie gependelt. Sie schätzen es, eine Familie zu sein. Denn sie haben eine Familie mit einem Schlag verloren. Melzls Vater brach beim Training für den Regensburg-Marathon zusammen. Er starb mit 64 Jahren. Die Jungen kündigten daraufhin beim Weltunternehmen und zogen zurück ins Heimatdorf, um sich mit einer Akkordeon-Werkstatt und einer Musik-Werkstatt selbstständig zu machen.

Aus zwei wurden drei Melzls. An einem, von den Zahlen her, sehr bemerkenswerten Tag kam ihre Tochter zur Welt: Es war der 20.10. 2010. Sie nannten sie Marina. Sieben Jahre floss seitdem Wasser die Donau hinunter. Inzwischen sind die Melzls daheim voll angekommen. „Jetzt samma Winzerer Winzer“, freut sich Matthias Melzl. Und das im wahrscheinlich schönst gelegenen Weinberg von Winzer. Er liegt recht malerisch am Kirchhof.

Die Zeit können sich die Melzls einteilen. Keiner schafft ihnen an. „Ich bin Frühaufsteher. Und wenn ich weiß, ich muss die Reben zurückbinden, dann mach ich in meinem Kalender einen Strich.“ Seine Frau erdet die Arbeit: „Wenn mir nach der Schule der Schädel brummt, gehe ich in den Berg. Die Natur ist was Schönes.“

Domina, Müller Thurgau und Bacchus: Der Wein der Bierwolfs war ein Begriff. Frau Bierwolf hatte den Weinberg seinerzeit in die Ehe gebracht. Die Cousine des Schleglbauern von Kager hatte einen Schwergewichtsboxer geheiratet, der mit 100 Kilo Kampfgewicht für den BC Heros in den Ring stieg. Die Winzerer Kinder hatten gehörigen Respekt vor ihm.

Das Leben hat den Kämpfer sanft gemacht. Für den städtischen Angestellten wurde sein Weingarten in der Krankheit alles. Mit dem Rollstuhl fuhr der Dialyse-Patient durch die Reihen der 600 Rebstöcke am Friedhof von Winzer und erbaute sich an ihrer unbändigen Lebenskraft. Trinken konnte der Nierenkranke nicht von der Frucht des Weinstocks. Er starb am 6. Mai 2014.

Johann Bierwolf und sein Weinberg

Wenn man seinen Weinberg heute besucht, merkt man: Eine Uhr brauchte er nun wirklich nicht. Die Zeit fährt einem hier mächtig in die Glieder. Alle 15 Minuten schlägt sie vom Turm von St. Nikolaus. 1060 Quadratmeter exakt hat der Weingarten. Man muss den Rasen mähen, die Triebe schneiden und hochbinden. Der Garten zieht sich bergauf. Dahinter liegt der Steinbruch in den Winzerer Höhen.

Man hat einen Blick auf das Donautal und die Domtürme. Und die späte Septembersonne legt sich warm auf den Garten. Hier haben die neuen Herren, Matthias, Manuela und Marina, diese Woche die letzten Domina-Trauben in der Spindelpresse von David Martinetto gepresst. Die Melzls machen hier alles zum ersten Mal. Den ganzen Zyklus haben sie gemeinsam hinter sich gebracht.

„Wir haben 1000-prozentigen Spaß, weil wir es zu dritt machen“, sagt Matthias Melzl. Schneiden, tragen, abbeeren und pressen: jeder Arbeitsschritt gemeinsam. Sie verzichteten erstmal auf Helfer, denn sie sind völlig neu in diesem Handwerk. „Wir müssen uns erst hineintasten.“ In die Arbeit und ins Genießen. Melzl bekennt: „Bisher tranken wir keinen Alkohol.“

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