Gesundheit
Die Ärzte für Körper und Seele

Christoph Niedermayer und Georg Schlierf sind Landärzte. Wir begleiteten Niedermayer bei Hausbesuchen.

14.12.2016 | Stand 16.09.2023, 6:35 Uhr
Blutdruckmessen ist für Dr. Christof Niedermayer Standard bei Hausbesuchen – ebenso wie reden, viel reden, hier mit Anna Zahn. −Foto: Fleischmann

Dr. Christoph Niedermayer muss Tag für Tag viel reden. Häufig, gerade während seiner Hausbesuche, muss er aber noch viel mehr zuhören. Es sind diese heilenden Gespräche, die seinen Alltag als Landarzt in Berg (Landkreis Neumarkt/Opf.) so besonders machen. Auch an diesem Montagmittag, an dem wir ihn auf seiner Tour begleiten. Anna Zahn (die Namen der Patienten in diesem Text sind erfunden) ist 93 Jahre alt und weiß was zu erzählen. Dass sie Opernsoubrette werden wollte, eine Rolle für eher zarte Stimmen. Doch zart ist nur ihre körperliche Erscheinung. Ihre Stimme tönt klar und dominiert jene des Arztes. Das Opernhaus in Nürnberg habe sie aufgenommen. Aber dann „hat der Krieg alles zerstört. Hitler hatte was dagegen, dass Frauen was zu sagen haben. Der wollte nicht den Kopf der Frauen, da sollte nur der Unterleib funktionieren“, erinnert sich die geistreiche Dame.

Besser ein Hund als Tabletten

Lange her. In der Gegenwart sind andere Ereignisse wichtig. Vor wenigen Wochen ist ihre Schäferhündin gestorben. Anna Zahn weiß, was ihr am meisten fehlt: „An Hund müsstns ma voschreim“, fränkelt die Frau zu Dr. Niedermayer. „A Ansprach“ bräuchte sie. Sie trauert sehr um das Tier und ahnt, dass sie vermutlich keines mehr bekommen wird. Schade, findet Niedermayer: „Die Hundesteuer sollte von den Krankenkassen übernommen werden. Hunde sind die besten Co-Therapeuten.“

„Wir haben wenig Apparate und können uns nicht hinter Technik verstecken. Wir denken ganzheitlicher und reden viel mehr.“ Georg Schlierf

Es gibt vieles, was Patienten hilft, wissen Dr. Niedermayer und sein Praxis-Partner Georg Schlierf. Das ist sehr oft nicht ein Medikament. Der Hausarzt am Land betreibt „Barfußmedizin“, sagt Schlierf und erklärt: „Wir haben wenig Apparate und können uns nicht hinter Technik verstecken. Wir denken ganzheitlicher und reden viel mehr.“

„Ich muss mit Ihnen reden“

Das ist häufig nötig. Zwar sucht das Gros der Patienten die Praxis in der Hauptstraße des Ortes mit klassischen Beschwerden wie Grippe, grippalem Infekt oder Schmerzen aller Art auf. Aber immer öfter haben die körperlichen Beschwerden eine psychische Ursache, beobachtet Niedermayer.

Meist dauere es eine längere Zeit, ehe der Patient mit der Sprache herausrückt: „Herr Doktor ich muss mit Ihnen reden.“ So wie unlängst ein Mann, der in eine akute Krise gestürzt ist. Arbeitsplatzverlust, Mobbing, Scheidung – das sind meist die Ursachen solcher Krisen, die gibt es in und um Berg genauso wie anderswo. Solche Gespräche brauchen Zeit. Zeit, die auch der Landarzt spontan selten hat. „Gerade in dieser Situation sollte der Patient eben nicht spüren, dass ich unter Zeitdruck stehe“, erklärt Niedermayer. Er hat geredet mit diesem Mann – und ihm für wenige Tage später einen Termin gegeben, an dem er sich ausführlicher mit ihm unterhalten kann.

„Jeder Hausarzt sollte den zweiten Blick haben, neben dem Körper auch jenen auf die Seele.“ Dr. Christoph Niedermayer

Ein begleitendes Gespräch, wenn nötig auch eine erste Grundeinstellung mit Medikamenten, das muss der Landarzt bei psychischen Leiden können. Schlierf und Niedermayer wissen, wie wichtig das ist. Für Niedermayer steht fest: „Jeder Hausarzt sollte den zweiten Blick haben, neben dem Körper auch jenen auf die Seele.“ Beide achten darauf, sich immer wieder in diesem Bereich fortzubilden.

Schlierf und Niedermayer sehen sich als familienorientierte Mediziner, das steht auf dem Land mehr im Mittelpunkt als in der Stadt. Ihre Praxis suchen mehr ältere Patienten und mehr Kinder auf als im bayerischen Durchschnitt der Allgemeinarztpraxen. Die Fachärzte sitzen hier eben nicht am gleichen Ort. Kein Problem, sagen die beiden Mediziner. Sie wissen etwa auch: Wenn ein Kind immer wieder über Bauchschmerzen klagt, ohne dass sich ein organischer Grund finden lässt, dann ist der Schmerz oft ein Ventil für inneren Druck, sprich das Kind spürt psychische Nöte.

Da hilft es, wenn der Arzt die Familie kennt. „Wir müssen den Blick auf das ganze Gefüge haben“, betont Schlierf. Das fällt ihm auf dem Land wesentlich leichter als zuvor in der Stadt, als Schlierf noch in Regensburg praktizierte.

Mehr private Hilfe auf dem Land

Das „Gefüge“, die Hilfe der Verwandten, Freunde oder Nachbarn im Notfall, das funktioniert am Land viel besser, beobachten die Ärzte. Ein Vorteil auch für sie, wenn sie einschätzen müssen, ob sie einen Patienten zu Hause lassen können oder ins Krankenhaus einweisen müssen. Gibt es private Hilfe, dann fällt es ihnen leichter, jemanden in vertrauter Umgebung zu belassen. Etwa bei Marianne Thoma. Die 83-Jährige ist vor kurzem gestürzt. Der rechte Fuß tut weh. Niedermayer bewegt die Zehen, drückt auf den Knöchel. Marianne Thoma schreckt auf: „Uuhu, da tut‘s weh.“ Der Knöchel ist blau, die Frau hat es trotz Rollator nicht zum Stammtisch im Gasthaus geschafft, bedauert sie – dann muss es ernst sein. Obendrein plagt sie eine offene Wunde an dem Bein, die ein Pflegedienst versorgt. Auch wenn Marianne Thoma über ihr Bein scherzt – Niedermayer wird sie per Krankentransporter zum Röntgen schicken. Immerhin hat die Patientin jemanden, der sich um sie sorgt. Andernfalls hätte sie jetzt Mühe, alleine zurechtzukommen.

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Versorgung ist gar nicht so schlecht

Gleich nach dem Besuch spricht Niedermayer im Auto ins Diktiergerät, verordnet zusätzliche Tabletten. Eine Arzthelferin wird es abhören und die Anordnungen umsetzen. Marianne Thoma trägt übrigens eine Digitaluhr am Handgelenk mit einer Alarmfunktion, mit der sie jemanden im Notfall benachrichtigen kann. Als sie stürzte, hat sie das aber vergessen.

Die Versorgung der Patienten ist in Deutschland relativ gut, meinen die Ärzte. Niedermayer ist mit einer Irin verheiratet. „Dort, in Irland, wartet man viele Wochen auf gewisse Hilfsmittel wie zum Beispiel auf einen Rollator. Bei uns geht das schneller.“ Zwar strengt auch hier die Bürokratie an – der Antrag auf ein Hilfsmittel bei der Krankenkasse nimmt schon Zeit in Anspruch. Aber wenn man sich dabei Mühe gibt, dann steigen auch die Erfolgsaussichten, dass die Kasse zahlt.

Finde einen Hausarzt

Neue Hilfsmittel braucht Theresia Sander nicht, trotz ihrer 96 Lebensjahre. Sie lebt gemeinsam mit zwei weiteren Generationen der Familie in einem Haus. Dreimal im Jahr begibt sie sich in die Kurzzeitpflegestation, das entlastet die Angehörigen. Vor einem Monat hatte sie keinen Appetit mehr. Aber die Tabletten haben geholfen. Der Patientin geht es gut. Die Lunge ist frei. „Pfeift nix, brummt nix, alles gut“, sagt Niedermayer – und verabschiedet sich bis zu den Weihnachtsfeiertagen.

Eine Helferin wird Theresia Sander vor Weihnachten anrufen, ob alles in Ordnung ist. Falls nicht, werden Niedermayer oder Schlierf schnell zur Stelle sein. Dabei war vor zwei Jahren, bevor die beiden Mediziner die Praxis übernahmen, nicht klar, ob in Berg weiter in dieser Praxis Allgemeinmedizin praktiziert wird. Der Vorgänger hatte lange nach einem Nachfolger gesucht. Kurz vor der geplanten Praxisschließung wurden der heute 45-jährige Niedermayer, der zuvor in Rosenheim arbeitete, und der 37-jährige Schlierf auf die Praxis aufmerksam und taten sich zusammen.

Patienten haben Mühe, einen Hausarzt zu finden

Die Praxis arbeitet an der Kapazitätsgrenze. Neue Patienten nehmen Niedermayer und Schlierf auf, wenn sie denn aus Berg und Umgegung kommen. Aber von anderswo eher nicht, denn sie wollen sich um ihre Patienten gut kümmern können. Dabei ist der Bereich Neumarkt mit Ärzten unterversorgt. „Es gibt Patienten, die Mühe haben, einen Hausarzt zu finden“, weiß Schlierf.

Beide Ärzte fühlen sich gut in ihrer Landarztpraxis. Sie mögen ihre „Barfußmedizin“. Die ist in ihren Augen am Ende spannender als jene, die Medizinstudenten fasziniere – die mit modernen, sündteuren Geräten.

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