Koalition
Die Kinder sind unzufrieden mit „Mutti Merkel“

Die Bundeskanzlerin wird ungewohnt hart attackiert. Stimmte unser Bild von ihr vielleicht nicht?

13.06.2010 | Stand 16.09.2023, 21:08 Uhr
Gustav Norgall

Regensburg.Die Kinder ärgern sich über ihre Mutter. „Mutti“ – so heißt Angela Merkel im internen Kauderwelsch der politischen Klasse in Deutschland schon lange. Doch bisher scheuten seriöse Medien oft davor zurück, die Kanzlerin auch öffentlich so zu nennen. Diese Hemmschwelle ist weg! Und auch dieses kleine Symptom zeigt: die Regierungschefin und CDU-Vorsitzende ist angeschlagen.

Und dafür gibt es viele Gründe, hier nur die wichtigsten: Ein gutes halbes Jahr hat die schwarz-gelbe Koalition nicht regiert und kaum einer hofft auf Besserung. Die Wahl in Nordrhein-Westfalen ging krachend verloren und laut Umfragen ist die Talfahrt von Schwarz-Gelb noch lange nicht zu Ende. Horst Köhler ist weg und Christian Wulff noch nicht im neuen Amt. Das Sparpaket ist geschnürt, doch kaum einer glaubt inzwischen noch, dass die Bundesregierung damit auf eine lange Wanderschaft gehen wird.

Glück als Strategie verkauft

Angela Merkel wurde und wird nicht geliebt. Der zupackende, manchmal machohafte Stil von Vorgänger Gerhard Schröder gefiel manchen Medienvertretern besser. Andere vermissen bei Merkel die sprachliche Gewandtheit, wieder andere erhoffen sich politische Visionen oder die Vermittlung eines Wir-Gefühls – Merkel tat und tut sich schwer damit. Doch lange Zeit räumten die Beobachter in den Medien und auch die Kritiker aus den eigenen Reihen zähneknirschend ein: Merkel agiert und regiert zwar nicht aufregend, aber effizient.

Hat sie nicht die männlichen Mitglieder des legendären Andenpakts der Union alle in den Seilen hängen lassen? Hat sie nicht die SPD in der großen Koalition verschlissen, hat sie nicht durch Abwarten größere Erfolge erzielt als durch schnelles Handeln? Muss der jetzige Koalitions- und angebliche Wunschpartner FDP nicht befürchten, von der „Schwarzen Witwe“ Merkel, so die Wortwahl einiger Liberaler, zunächst umgarnt und dann fallen gelassen zu werden?

Regensburg.Aus all dem wurde lange die Schlussfolgerung gezogen: Die Naturwissenschaftlerin Angela Merkel denkt Politik vom Ende her. Ihr aktuelles Tun mag uns befremden, aber der Erfolg gibt ihr doch recht und deshalb müssen wir ihr langweiliges Gehabe einfach ertragen.

Nun gilt diese positive Grundeinschätzung plötzlich nicht mehr. Die Beobachter raunen sich zu, Merkel habe doch eigentlich gar keinen Plan. Sie habe einfach nur lange Glück gehabt und das sei nach außen als Strategie verkauft worden. Doch nun sei das Chaos perfekt und auch sie wisse keinen Ausweg. In bitterbösen Kommentaren wird nun über den unverständlichen „Merkel-Sprech“ in Interviews hergezogen. Aus den Archiven werden die Bilder herausgezogen, die eine müde und sichtlich angeschlagene Kanzlerin zeigen. Noch dazu habe sich Mutti gegenüber dem leidenden Präsidenten Horst Köhler gar nicht familiär gezeigt. Nicht einmal ins Präsidialamt sei sie gefahren, als er mitteilte, dass er aufs Altenteil gehen wolle.

Und die kleinen Koalitionskinder FDP und CSU scheren sich auch nicht mehr um Sitte und Anstand im Haus. Da beschimpft man sich schon mal als Wildsau oder Gurkentruppe. Einsprüche der Kanzlerin, wie in Sachen Opel, werden von den Mitgliedern der Hausgemeinschaft, also von FDP-Ministern, nicht mehr ernst genommen. Naht das politische Ende von Angela Merkel als Bundeskanzlerin? Düster wird gemutmaßt: Wenn Christian Wulff nicht zum Präsidenten gekürt wird, zerfällt die Koalition. Vielleicht wird neu gewählt, vielleicht werden neue, bunte Bündnisoptionen ausprobiert.

Noch sitzt sie fest im Sattel

Doch seltsam: Ein Name, wer dann Kanzler oder Chef der Union werden soll, fällt nicht. Denn Fakt ist auch: Die parteiinternen Konkurrenten – Roland Koch, Christian Wulff oder Jürgen Rüttgers – sind aus dem Rennen ausgeschieden. Die Jungen in der CDU sind noch nicht so weit und Horst Seehofer in München kann zwar Kopfpauschalen verhindern, aber auch keine neuen Köpfe präsentieren. Merkel sitzt also – noch – fest im Sattel. Krise hin oder her. Noch dazu gucken die Deutschen jetzt Fußball und die Politik hat ein wenig Ruh. Merkel wäre anzuraten, bald in einen langen Urlaub zu gehen, um dann ausgeruht uns allen wieder neue Rätsel über ihre Person aufzugeben. Hat sie vielleicht doch alles vom Ende her bedacht?