Serie
Die Schulwelt von anno dazumal

Mit Eselsmütze und Rohrstock: Im Schulmuseum Sulzbach-Rosenberg erlebt man Unterricht wie vor 150 Jahren.

10.02.2012 | Stand 16.09.2023, 21:05 Uhr

Sulzbach-Rosenberg.Da steht Yannik nun in der Ecke und hat eine braune Eselsmütze auf dem Kopf. Er muss sich ganz still halten, sonst klingeln die daran hängenden Schellen und der Lehrer wird ihn noch härter bestrafen. Wer an die Eselsbank geschickt wird, hat nicht aufgepasst oder den Unterricht gestört. Zur Strafe gilt er für die Mitschüler als vogelfrei. Soll heißen, sie dürfen ihn auslachen und sogar anspucken. So weit kommt es heute nicht. Museumsleiter Herbert Übelacker stoppt die Szene und nimmt Yannik die Mütze ab. Der Drittklässler aus der Grundschule Gebenbach (Lkr. Amberg-Sulzbach) ist erleichtert. In einen Schulunterricht aus dem Jahr 1875, wie er im Ersten Bayerischen Schulmuseum in Sulzbach-Rosenberg miterlebt werden kann, will er nicht. „Das war ein komisches Gefühl.“

Seit 1981 gibt es das Schulmuseum auf Initiative von Richard Bauer, dem damaligen Leiter der Schulabteilung bei der Regierung der Oberpfalz. Zusammen mit den Rektoren Karl Putz und Otto Spacil trug er altes Material zusammen, damit die Anfänge des Schulwesens in der Oberpfalz nicht in Vergessenheit gerieten. Im Laufe der Jahre kam sehr viel zusammen. Drei Schulräume im Museum sind komplett ausgestattet. Ein Raum zeigt Schule zu Urgroßmutters Zeiten um 1875, der andere Schule um 1920 und ein weiterer um 1960. Dazu kommen unzählige Ausstellungsstücke, die sich um verschiedene Bereiche des Schulwesens drehen.

Lernen ohne Buch und Heft

„Mucksmäuschenstill, gerade hinsetzen, Hände auf den Tisch.“ Gerlinde Pilhofer und Martina Herbst sind in die Rollen von Lehrern anno dazumal geschlüpft und zeigen jetzt den Drittklässlern, wie vor 150 Jahren Wissen vermittelt wurde. „Was haben denn die Schüler gemacht, wenn ihre Schiefertafeln vollgeschrieben waren?“, fragt Pilhofer die Kinder. Sie wissen es: „Dann mussten die Tafeln abgewischt werden“, sagt ein Mädchen. Die Antwort ist richtig, dennoch wird die Schülerin streng ermahnt, weil sie die Frage beantwortet hatte, ohne sich vorher von ihrem Platz zu erheben. „Wir stehen auf, wenn wir aufgerufen werden“, sagt Pilhofer. Dann erzählt sie den Kindern, dass sich die Schüler früher viel merken mussten, weil es keine Bücher gab, in denen sie nachschlagen und keine Hefte, in denen sie sich Notizen machen konnten. Umso wichtiger war es, dass die Kinder sich konzentrierten und gut zuhörten.

Sulzbach-Rosenberg.Etwa 50000 Euro Budget im Jahr stehen Museumsleiter Übelacker, der selbst als Rektor an der Mittelschule Neukirchen-Königstein arbeitet, zur Verfügung. Das Schulmuseum ist nichtstaatlich, wird nur von der Stadt Sulzbach-Rosenberg und dem Landkreis Amberg-Sulzbach finanziell ausgestattet. „Es gab nie Geld für Exponate, alle Gegenstände im Museum sind Schenkungen“, sagt Übelacker, der das Museum seit 2006 führt. Dennoch sind die Lager voll. „Vom Rohrstock über Filmprojektoren bis hin zu alten Lesefibeln ist alles im Bestand, was man früher im Unterricht nutzte.“

Im Klassenzimmer von 1875 werden nun die Griffel ausgeteilt. „Ich hab einen Buttergriffel“, sagt Max. Niklas beklagt sich, dass seiner auf der Tafel so schrecklich quietscht. Ein Mitschüler hat derweil ein ganz anderes Problem. „Alle Kinder nehmen den Griffel in die rechte Hand“, hat Gerlinde Pilhofer angeordnet. „Aber ich bin Linkshänder“, klagt der Schüler. Früher, so erfährt er jetzt, sei das dem Lehrer egal gewesen. Alle Kinder mussten mit der rechten Hand schreiben, ob sie nun konnten oder nicht. „Der Lehrer hat ihnen mit dem Rohrstock so lange auf die linke Hand geschlagen, bis sie den Griffel nur noch rechts benutzen konnten“, erklärt Pilhofer den erschrocken dreinblickenden Kindern.

Holzscheite für Schwätzer

Das Schulmuseum kommt ohne leuchtende Quiztafeln, ohne 3-D-Filme oder Lauschstationen aus. Es zeigt allein das, was die Älteren unter uns in der Schule noch selbst erlebt haben, sagt Franz Schächner, der Lehrer der Gebenbacher Schüler. Er kommt immer gerne mit Klassen hierher. „Ich finde es gut, dass die Schüler Unterricht erleben können, wie er früher war. Obwohl die Museumsführerinnen nicht so streng sind, wie es einst die Lehrer waren“, sagt er mit einem Schmunzeln.

Von wegen: Tim kniet vor der Klasse auf einem Holzscheit. Nicht auf der abgerundeten Seite, sondern dort, wo es eine scharfe Kante hat. Die Hände muss er nach vorne ausstrecken und darauf noch einen Rohrstock balancieren. Der Schmerz fährt ihm schnell in die Glieder. Ob er jetzt wohl das Schwätzen im Unterricht lassen kann? In der dritten Bankreihe wird Niklas zappeliger. Die Strafe lässt nicht auf sich warten. Er muss sich über eine Bank beugen und spürt den Rohrstock auf seinem Hintern. Aber Gertrud Pilhofer schlägt natürlich nicht wirklich zu. Vor 60, 70 Jahren wäre das anders gewesen, sagt Lehrer Schächner. Er selbst kann sich an eine gesalzene Watschen von einem Lehrer erinnern. „Da hat es mich unter die Schulbank geschleudert.“ Zu Hause habe er darüber nie gesprochen. „Kein Schüler hat so etwas erzählt, sonst hätte er von seinem Vater gleich nochmal eine Tracht Prügel bekommen.“

Nach drei Stunden geht für die Grundschüler von Gebenbach ein besonderer Schultag zu Ende. Sie sind froh, als sie im warmen Bus nach Hause sitzen. Wären sie vor 150 Jahren zur Schule gegangen, dann hätten sie jetzt noch in Holzpantoffeln ein bis zwei Stunden nach Hause laufen müssen.