Kunst
Die vielen Gesichter des Menschseins

Schönes Spiel mit dem Schein: Die Malerin Ulrike Angermeier zeigt in Herz Marien ausgezeichnete Porträts, die irritieren.

19.11.2015 | Stand 16.09.2023, 7:00 Uhr
Selbstporträt (Ausschnitt) von Ulrike Angermeier −Foto: Wiedamann

Ihr Blick ist herausfordernd und analytisch zugleich. Die Augen aus Ulrike Angermeiers Selbstporträt scheinen einem durch den Raum zu folgen, nachspürend, bohrend und doch abwartend. Wer unmittelbar vor ihrem Selbstporträt steht, das die Künstlerin mit Palette in der einen Hand und Pinsel in der anderen zeigt, für den scheint sich die Welt plötzlich zu verkehren. So als wäre man selbst das Motiv auf der Leinwand. Und die Malerin prüft, ob der Ausdruck gelungen ist. Gleich wird sie mit dem Pinsel...

Es ist nur eines der Trugspiele, die Ulrike Angermeier mit ihren Bildern treibt. Hervorragende, großformatige, farbenprächtige Porträts in Öl, kleinformatigere Stillleben, aber auch mit Tusche, Kohle, Teer und Öl hergestellte, meist in Grautönen gehaltene Porträtskizzen von fast karikaturhafter Leichtigkeit sind zur Zeit in der ehemaligen Taufkapelle der Pfarrkirche Herz Marien ausgestellt.

Die Persönlichkeit und ihr Umfeld

Der Arbeitskreis Kunst der Pfarrei Herz Marien hat ein tolles Gespür bewiesen, diese Malerin zu präsentieren. Denn Ulrike Angermeier ist nicht nur eine großartige Künstlerin, die das alte Handwerk der Ölmalerei beherrscht. Sie kann auch mit Metaebenen spielen. Ihre Porträts sind nicht Abbildungen, selbst wenn die Personen sichtlich treffend dargestellt sind. Die Bilder erzählen immer mehr über die Persönlichkeit, ihr Umfeld und die Gesellschaft, in der sie lebt, als der erste Schein vermuten lässt. Und so ganz nebenbei zitiert Angermeier alte Meister, arbeitet sich an bekannten Sujets ab und eröffnet diese dem Betrachter neu.

Ulrike Angermeier ist eine geschickte Täuscherin. Sie lässt uns ins Grübeln kommen, weil ihre Szenen und Tableaus zunächst einmal so glitzernd schön sind, die Stoffe so berauschend. Und plötzlich entdeckt man Abgründe oder Skurrilitäten. Sie gießt Öl ins Feuer, bzw. „Feuer ins Öl“, wie ihre Ausstellung heißt. Und hinter der Buntheit und dem schönen Schein entdeckt der Betrachter die vielen Gesichter des Menschseins, Unbeherrschtheit, Grausamkeit und Gewalt, aber auch Geschichte, Geschichten und Erinnerung.

Wirklich hinsehen

Angermeiers kleine Werkschau ist eine Einladung zur Enträtselung. Diese wird bis zum Ende der Ausstellung im Februar hoffentlich von möglichst vielen angenommen. Von Kritikern scheint sie übrigens nicht allzuviel zu halten. Ihre Kohle-Tusche-Arbeit „Der Kritiker“ zeigt einen verwirrten Kopf, bei dem lediglich eine Kragenspitze scharf gezeichnet ist. Und ein halb geöffnetes Auge, von dem man nicht weiß, ob es die Behäbigkeit überwinden und wirklich hinsehen wird.