Krankheiten
Ein Leben mit dem Sauerstoff-Schlauch

Erich Ernst hatte eine Lebenserwartung von 60 Jahren. Immer wieder feiert der Schwandorfer „letzten Geburtstag“.

11.02.2017 | Stand 16.09.2023, 6:36 Uhr
Elisabeth Hirzinger
Gemeinsam sind sie stark: Agnes und Erich Ernst −Foto: Hirzinger

„Man kann die Krankheit nicht aufhalten“, sagt Erich Ernst. „Die Krankheit“, das ist ein Lungenemphysem, entstanden durch einenAlpha-1-Antitrypsinmangel.Ein Gendefekt, von dem der heute 69-Jährige jahrzehntelang nichts gemerkt hat. Erst mit Fünfzig fing das an. Da spürte Erich Ernst, dass ihm beim Treppensteigen oder beim Radfahren die Luft ausging.

Es folgte eine unendliche Krankengeschichte, die mit einer Fehldiagnose begann. Zuerst vermuteten die Ärzte nämlich eine Lungenkrankheit, ausgelöst durch Rauchen. Dabei war Erich Ernst damals schon 15 Jahre Nichtraucher. Die Ursache für seine Beschwerden war aber, wie sich 1997 herausstellte, ein fehlendes Molekül. Der Diagnose folgte eine Odyssee durch diverse Krankenhäuser und Rehakliniken.

Erich Ernst sitzt in seinem Haus in Klardorf am Schreibtisch. Ein Plastikschlauch führt an seiner Nase vorbei, hinter die Ohren, über den Fußboden im Arbeitszimmer durch den Flur bis zum ehemaligen Kinderzimmer. Dort steht hinter der Tür ein riesiger Sauerstofftank. Zehn Meter ist der Schlauch lang und reicht, um in der Wohnung mobil zu sein.

Der Vater starb mit 62 Jahren

Der Schlauch gehört zu Erich Ernsts Leben. Ein Leben, das nach der Prognose eines Facharztes mit 60 Jahren vorbei sein sollte. Erich Ernst erschien das damals durchaus plausibel, schließlich war sein Vater, der die gleiche Krankheit hatte, im Alter von 62 Jahren gestorben. Und am Anfang hatte Erich Ernst tatsächlich ein bisschen mit seinem Leben abgeschlossen. Seine Frau Agnes erinnert sich, dass er zu ihr sagte: „Wir haben unser Leben gehabt und es war schön“. Heute würde Erich Ernst nicht mehr die Vergangenheitsform wählen.

„Und jetzt schaut es so aus, als würde ich auch meinen 70. Geburtstag feiern können.“Erich Ernst

Erich Ernst hat sich mit seiner Krankheit arrangiert, er hat die Implantation und Explantation von Ventilen genauso überlebt wie eine beidseitige Lungenembolie und eine Blutvergiftung. Er stand auf der Warteliste für eine Lungentransplantation und wurde von der Liste wieder gestrichen, weil es ihm nach einer fünfwöchigen Reha besserging. Darüber sind Agnes und Erich Ernst heute „echt froh“, weil das Risiko bei einer Lungentransplantation sehr groß sei. Und die beiden haben erfahren, dass Erich Ernst mit seinem Schicksal nicht allein ist. Wenngleich die Zahl der Patienten, die auf eine Sauerstoff-Langzeit-Therapie angewiesen sind, überschaubar ist.

Maximal fünf Leute, schätzt Erich Ernst, sind im Raum Schwandorf von einem Sauerstoffgerät abhängig. 30 bis 40 Menschen, Kranke und Angehörige, haben sich mittlerweile oberpfalzweit zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengefunden. Sie treffen sich regelmäßig in einer Selbsthilfegruppe in der Klinik Donaustauf.

„Das sind allesPatienten, die Sauerstoff brauchen“, sagt Erich Ernst, der mit seiner Frau regelmäßig an den Treffen teilnimmt. Seit zweieinhalb Jahren organisiert er die Treffen. So lange ist der 69-jährige Rentner schon Vorsitzender der „Selbsthilfegruppe für Menschen mit Sauerstoff-Langzeit-Therapie“. Die Aufgabe tut Erich Ernst gut. Es sei wichtig, dass man „nicht alleine ist mit der Krankheit“, dass man sich austauschen kann und sich gegenseitig motiviert“. Deshalb bietet Ernst auch regelmäßig Ausflüge an, „damit die Leute rauskommen“, was auch seine Frau Agnes „ganz wichtig“ findet.

Sie strahlt ihren Mann an. Das Schlimmste wäre für sie gewesen, wenn sich ihr Mann nach der Diagnose auf die Couch zurückgezogen hätte. „Man darf sich nicht gehen lassen“, lautet das Credo des Ehepaars, das immer noch viel gemeinsam unternimmt, auch wenn alles langsamer geht.

Dass Erich Ernst nicht mehr mit seiner sportlich aktiven Frau mithalten kann, betrübt ihn nicht. „Man kann es nicht ändern“, sagt er und erzählt von den vielen Radltouren, die sie gemeinsam unternommen haben. Davon zehrt er heute noch. Er selbst kommt mit dem E-Bike „vielleicht noch bis Steinberg am See“. Dann ist Schluss.

Erich Ernst ist eine Kämpfernatur. Er will in Bewegung bleiben und macht Lungensport, um seine Atemmuskulatur zu trainieren. Er braucht nämlich seine ganze Kraft zum Atmen. Das ist so anstrengend, dass er schon zehn Kilo abgenommen hat.

Auch Urlaub ist möglich

Seit elf Jahren hängt Erich Ernst mittlerweile am Sauerstoff-Schlauch. Dabei ist sein Aktionsradius nicht auf die Parterre-Wohnung in seinem Haus beschränkt. Dank transportabler Sauerstoffgeräte ist Erich Ernst mobil. „Wir fahren auch in Urlaub“, sagt seine Frau. Heuer geht es an den Kalterer See. Und am Steuer wird ihr Mann sitzen. Agnes Ernst lacht. Das Ein-und Aussteigen sei das größte Problem, erzählt sie, „aber wenn er mal sitzt, dann fährt er auch 500 Kilometer“.

Bei Kurzurlauben kommt der 20-Liter-Sauerstofftank in den Kofferraum. Wenn der Urlaub länger dauert, wird der Sauerstoff an das Urlaubsdomizil geliefert. So ist das Leben für Erich Ernst „noch lebenswert“. Wie lange er noch leben wird, die Frage stellt sich für Erich Ernst nicht mehr. Er denkt „in Vierteljahren“. Und er hat gelernt, für jedes weitere Vierteljahr, das er mit seiner Frau, seinen beiden Kindern, seinen fünf Enkeln und seinen Freunden verbringen darf, dankbar zu sein.

Den 65. Geburtstag groß gefeiert

Den 65. Geburtstag hat Erich Ernst vor fünf Jahren groß gefeiert. „Und jetzt schaut es so aus, als würde ich auch meinen 70. Geburtstag feiern können“, sagt er und lacht schelmisch. Zumindest habe er schon einen Raum gemietet. Agnes Ernst schüttelt den Kopf. „Jedes Jahr sagt er, dass es sein letzter Geburtstag ist“, erzählt sie.

Agnes und Erich Ernst haben ihren Humor nicht verloren. Beim Weg durch die Wohnung steigt die Frau des Hauses über ein Gewirr aus Schläuchen. Da sei sie schon so oft drüber gestolpert, sagt sie. „Ja, und wenn du in Fahrt warst, bin ich mit dem Schlauch an den Ohren abgehoben“, ergänzt ihr Mann und lacht herzlich.

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