Flucht
Ein neues Leben in Bad Abbach

Svetlana Savchenko floh aus Kiew. Nun unterrichtet die Flugbegleiterin ukrainische Kinder an der Angrüner-Mittelschule.

23.05.2022 | Stand 15.09.2023, 5:00 Uhr
Gabi Hueber-Lutz
Florian Spies von der Angrüner-Stiftung besucht Svetlana Savchenko und ihre ukrainischen Schützlinge in der Angrüner-Mittelschule. −Foto: Gabi Hueber-Lutz

In ihrem früheren Leben war sie Flugbegleiterin, Übersetzerin, Business-Managerin, Privatlehrerin und Lektorin und lebte in ihrer Eigentumswohnung im 23. Stock eines Hochhauses in Kiew. Dieses Leben ist gerade vorbei. Heute lebt Svetlana Savchenko bei Bad Abbach und ist so froh, dass sie etliche Schutzengel hatte, die ihr auf dem Weg zu diesem Leben in Deutschland halfen. Sie ist in der Angrüner-Mittelschule als Ansprechpartnerin für Kinder und Eltern aus der Ukraine und als Lehrkraft mit Magisterabschluss für mehrere Kinder aus ihrem Heimatland eingesetzt, die hier die Schule besuchen. Der Weg aus Kiew war mühsam, der Weg in die Schule auch.

Bevor die 36-Jährige floh, war sie in einem Bunker, hat die Stadt aber schließlich verlassen, als die Gefahr zu groß wurde. Sie konnte sich einem Bekannten anschließen, der wusste, worauf es bei einer solchen Flucht ankommt. Die Autobahnen aus Kiew heraus haben sie zum Beispiel gemieden, denn die Schlange der Flüchtenden wäre ein leichtes Ziel für einen Beschuss gewesen.

Den kleinen Koffer, den die junge Frau auf die Flucht mitnehmen wollte, hat ihr der Bekannte gleich ausgeredet. Nimm mit, soviel du tragen kannst, es kann lange dauern, war die Instruktion. Mit drei Fahrzeugen sind sie losgefahren, Svetlana wurde zur Mithilfe eingeteilt: Sie musste Patronen in die Gewehre laden, die die Männer dabei hatten.

Zwischendrin wechselten die Begleiter und als ein syrischer Bekannter aus Regensburg ihren Post mit den fallenden Bomben auf Instagram sah, bot er Svetlana Savchenko an, nach Regensburg zu kommen. Er stellte den Kontakt zur Flüchtlingshilfe nach Bad Abbach und zu Rektor Heiner Bruckmüller her.

Nun begann eine Zeit intensiver Arbeit. Weil Svetlana Savchenko schon einmal ein Jahr in Deutschland gewesen war und ihr Sprachstudium im Fach Deutsch abgelegt hatte, war sie als Betreuerin für die Angrüner-Mittelschule und die 17 ukrainischen Kindern, die in dieser Schule angemeldet sind, ein absoluter Glücksfall. Kinder und Mütter waren froh, jemanden zu haben, der mit ihnen in ihrer Muttersprache spricht.

An dieser Stelle kam die Angrüner-Stiftung ins Spiel: Sie bot sofort an, die Personalkosten zu übernehmen. Der Markt Bad Abbach mit Bürgermeister Grünewald übernahm die Rolle als Arbeitgeber, die Mitarbeiter der Verwaltung erledigten alles in Windeseile. Und was keiner für möglich gehalten hätte: Innerhalb von nur einer Woche waren alle Formalitäten wie Bankkonto, Masernschutzimpfung, Krankenversicherung, Wohnungssuche, Anmeldung beim Finanzamt und bei der Ausländerbehörde in trockenen Tüchern und Svetlana Savchenko stand am Montag, 4. April zum ersten Mal vor „ihren“ Kindern“.

Seither hält sie nun selbst Unterricht, beaufsichtigt den ukrainischen Online-Unterricht der Kinder oder redet sich mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen ab, um die ukrainischen Kinder in passende Stunden in die regulären Klassen zu schicken. Die Osterferien waren für sie keine freien Tage, sie unterrichtete ihre Kids, kochte ihnen zu Mittag Essen, nachmittags ging die ganze Gruppe spazieren.

Und auch eine große Freude gab es schon: den Eurovisionsgewinn der Ukraine. Mit dem ukrainischen Siegersong begann Svetlana Savchenko am Montag danach den Unterricht. Auch für sie war es schön zu sehen, dass einige Kinder mittanzten. Denn ansonsten sind sie eher zurückhaltend, sprechen wenig über das, was sie mitgemacht haben und zucken zusammen, wenn das Dröhnen eines Hubschraubers über ihnen hörbar wird. „Diese Kinder sind schon keine Kinder mehr“, stellt Svetlana Savchenko fest. Sie haben schon zu viel gesehen. Ihr ganz besonderes Anliegen ist es nun, die Kinder zu lehren, dass sie keine Vorurteile haben und keinen Hass aufbauen sollen, denn später - irgendwann - müssen russisch und ukrainisch sprechende Menschen wieder einen gemeinsamen Weg finden. Dann möchte sie, dass die Kinder eines wissen: „Bedeutend ist die Menschlichkeit, nicht die Sprache.“