Gesellschaft
„Ein wenig zurückgeben von meinem Glück“

Der Abensberger Mediziner Dr. Viktor Damjantschitsch arbeitete für die „German Doctors“ sechs Wochen auf den Philippinen.

22.09.2016 | Stand 16.09.2023, 6:47 Uhr
Walter Dennstedt
Dr. Viktor Damjantschitsch im Dschungel beim Behandeln. Vor allem Kinder brauchten seine Hilfe, als er als „German Doctor“ auf den Philippinen arbeitete. −Foto: alle Fotos: Dr. Damjantschitsch

Manchmal sind es kleine Zufälle, die dem Leben eine Wendung geben, die so nicht vorhersehbar war. Dr. Viktor Damjantschitsch, Abensberger Allgemeinarzt, erfuhr dies in der Zeit vom 25. Mai bis zum 8. Juli. In diesen sechs Wochen war er für die Hilfsorganisation „German Doctors“ auf den Philippinen. Freiwillig und unentgeltlich.

Der Reisebericht, den Dr. Damjantschitsch nach seiner Rückkehr erstattet, ist aufregend. Schon allein die Anreise vom Münchner Flughafen über Dubai, Manila nach Cagayan dauerte von Donnerstag bis Samstag um 1.30Uhr. Temperaturen von bis zu 38 Grad, eisig herabgekühlte Flugzeuge, Lärm, allenthalben stetig bellende Hunde, philippinische Hähne, die gefühlt die gesamte Nacht durchkrähen, Mopeds, die nach europäischem Standard nicht mal mit Ohrenschützern betrieben werden dürften und schließlich noch zu nachtschlafender Zeit am Morgen eine katholische Prozession – das war zu viel für den Mediziner, so dass er erst mal, nachdem er drei Tage lang gar nicht geschlafen hatte, „eine Auszeit benötigte“, wie er sagt.

Von Zuhause nur wenig Gerät

Aber der erfahrene Arzt, der im Jahr 1993 nach einer internistischen Ausbildung in Coburg nach Abensberg in die Praxis des damaligen Arztes Dr. Heid wechselte, kam schnell wieder auf die Beine. Denn die „German Doctors“ warteten schon auf den Einsatz des Wahlniederbayern, sollte er doch, nur mit eigenem Stethoskop, einem Ohrenspiegel und einer Taschenlampe als Ausrüstung (der Rest war vor Ort an medizinischem Gerät, Material und Medikamenten) im Sinne der „German Doctors“ denjenigen auf den erzkatholischen Philippinen helfen, die selbst dort fast gar nicht mehr als Menschen erachtet werden – den Ärmsten der Armen.

Dass Dr. Damjantschitsch zu den „German Doctors“ Kontakt fand, ist wiederum einem Zufall zu verdanken. Sein Praxiskompagnon Dr. Ulrich Pauer war als junger Arzt ebenfalls für die „German Doctors“ unterwegs gewesen, hatte ihm berichtet. Und irgendwann, so sagt nun Dr. Damjantschitsch, habe ihn seine Gattin darauf angesprochen: „Du hast immer davon geträumt, zu machen“. Nach nur wenig Bedenkzeit offenbarte er sich seinem Praxiskollegen, leitete alles Notwendige in die Wege, und nach zwei Schulungen in Würzburg, und einem Treffen in Köln hatte Dr. Damjantschitsch Reisetermin, Flugticket und Einsatzort samt einer umfangreichen Dokumentationsmappe über Dinge, die man auf den Philippinen tunlichst lassen oder tunlichst machen solle, in der Tasche.

Freilich, nach den Anfangsstrapazen des Flugs, der Akklimatisation an den Lärm (da geht das Leben in den Städten und Dörfern um 4.30 Uhr morgens los), war Dr. Damjantschitsch einsatzbereit. Wenngleich ihn nach eigenem Bekunden anfangs noch Zweifel plagten, ob er das schaffe. Die Zweifel verflogen von Einsatz zu Einsatz, erst in einem Krankenhaus in Valencia, einem Armenkrankenhaus mit 30 Betten, wo ein Langzeitarzt, er als Kurzzeitarzt und ein oder zwei philippinische Ärzte versuchen, die Leiden der Menschen zu lindern. Dann in einer Ambulanz in Cagayan. Von dort ging es mit der „Rolling Clinic“, sprich einem Pick-up, über unwegsame Straßen zu den Dörfern, um dort den Menschen zu helfen.

Zuversicht verdrängt Zweifel

„Ich hatte keine Ahnung, was auf mich zukommt“, sagt Dr. Damjantschitsch. Andere Krankheiten als bei uns, zum Beispiel Lepra, Tuberkulose, viele Kinder mit Herzkrankheiten, Hauterkrankungen und Virusinfektionen, die bei uns völlig unbekannt sind. Das waren die fachlichen Herausforderungen. Die menschlichen Herausforderungen sollte Dr. Damjantschitsch noch erfahren.

Sicher, so räumt er ein, war er bei der Diagnose nicht ganz auf sich gestellt, konnte bei den Langzeitärzten nachfragen, wie sie denn die Lage einschätzen. Und zudem sind die Helfer dort, sowohl der Fahrer als auch Dolmetscher und eine Dispenserin, wie die Hilfskräfte bezeichnet werden, erfahrene Mitarbeiter, die den „German Doctors“ mit Rat und Tat zur Seite standen. Und Dr. Damjantschitsch ist ja auch ein Mensch der jahrzehntelang Erfahrung gesammelt und schon viel gesehen hat – als Arzt und im Leben.

Indes, was er bei den Terminen in den Dörfern und Weilern erleben sollte, hätte sich der Abensberger Arzt wohl nicht mal in seinen kühnsten Träumen auszumalen gewagt. Meistens waren die Patienten Kinder mit Unterernährung und Husten. Es gebe nicht ausreichend Nahrung und die Zusammensetzung sei äußerst einseitig, so dass Vitaminmangel und Untergewicht bei Babys und Kleinkindern schon fast an der Tagesordnung seien. Zudem treten immer wieder Durchfallerkrankungen auf, aufgrund unzureichender Hygiene, unzureichender Wasserversorgung mit wirklich sauberem Wasser, so dass bei Auffälligkeiten, wenn beispielsweise in einem Dorf gleich 15 Menschen an Durchfall erkranken, eine Meldung von den „German Doctors“ an die staatlichen Stellen gemacht wird, um die hygienischen Verhältnisse auch von Staatsseite her zumindest zu verbessern.

„Ich kenne das Flüchtling-Sein“

Aber manchmal reicht dies alles nicht; so berichtet Dr. Damjantschitsch von einem Geschehnis, das ihm ein Kollege vor Ort erzählt hat. Ein Arzt der „German Doctors“ fand heraus, dass ein Dorf sich von einer 800 Meter entfernten Quelle, jenseits eines Berges, bedient. Zu Fuß, mit Behältnissen. Nachdem staatliche Hilfe eher marginal war, spendierte er 800 Meter Schlauch… Das, so sagt Damjantschitsch, sei im Übrigen das Ziel der „German Doctors“, einer Hilfsorganisation, die im Jahr 1983 von einem Berliner Priester gegründet wurde und die seitdem zwar nicht so exponiert wie „Ärzte ohne Grenzen“ in Krisengebieten, aber eben dort helfe, wo es auf der Welt große Not gebe. Oder, um es einfach auszudrücken: Das Ziel der „German Doctors“ ist nicht, einen Arzt zu schicken, der Hustensaft verteilt, sondern dafür zu sorgen, dass das Trinkwasser gut ist und die Hygiene verbessert wird.

Das alles ist bei uns eine Selbstverständlichkeit, eine oftmals nicht gewürdigte, sagt Dr. Damjantschitsch. Denn er ist selbst ein Kind von Eltern aus ärmlichsten Verhältnissen – der Vater aus dem ehemaligen Jugoslawien, die Mutter aus der ehemaligen Tschechoslowakei, als Flüchtlinge in Österreich gelandet nach dem Krieg. „Ich kenne das Flüchtling-Sein persönlich“, sagt der Arzt. Und er stellt nachdenklich fest, dass er in Deutschland ganz viel bekommen habe. „Ich bin privilegiert. Und es gibt ganz arme Menschen, von denen man weiß, dass sie im Leben nie eine Chance haben werden. Irgendetwas wollte ich zurückgeben.

Nackt in einem Verschlag ...

Zwar ginge das in einer Landarztpraxis, wie der seinen, „in Einzelfällen“, aber irgendetwas fehlte im beruflichen Leben des Dr. Viktor Damjantschitsch. Das hat er jetzt gefunden. Die Menschen, die er auf den Philippinen behandeln durfte, seien einfach dankbar gewesen.

Aber die sozialen Verhältnisse in dem fremden Land, die Lebensumstände, haben ihm nach eigenem Bekunden klargemacht „in welchem Paradies wir leben“. Und er bemüht ein hinreichend bekanntes Bonmot, dass wir, wenn wir jammern, dies auf sehr hohem Niveau machen. Aber es helfe auch nichts, den Menschen dort von unseren Verhältnissen zu erzählen, es helfe allein, die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken.

Deshalb, so sagt der Mediziner, ist es sein erster Einsatz mit den „German Doctors“ gewesen, aber hoffentlich nicht sein letzter. Auch wenn es Situationen gab, die der erfahrene Mediziner so noch nie gesehen hat. So kam er eines Tages in ein Dorf, wo ihn mitten in einem Maisfeld ein wegen eines Motorradunfalls Beinamputierter begrüßte, hinter dessen Hütte in einer „Hundehütte“, ein anderes Wort fällt Dr. Damjantschitsch da nicht für den 60 Zentimeter breiten und 1,50 Meter hohen und in etwa so langen Verschlag ein, dessen Mutter hauste. Die Frau saß dort seit 15 Jahren in der Hütte, nackt, wurde nur mit Essen versorgt, Sie ist psychisch krank geworden. Gott sei Dank hatte Dr. Damjantschitsch dort inzwischen einen Psychiater kennengelernt, der sich der Frau annahm. Jetziger Stand der Dinge: Die Hilfe, die der Frau in einer psychiatrischen Klinik ein menschenwürdiges Leben ermöglichen würde, kostet 2100 Euro pro Jahr. Man sucht nach Spendern …

Das war das Schlimmste, was Dr. Damjantschitsch sah; nicht so sehr wegen der Krankheit der Frau, sondern dass ein Mensch in einem christlich geprägten Land so zum Dahinvegetieren verdammt war, ohne dass sich jemand um ihn kümmerte.

Als schöne Erfolge sieht Dr. Damjantschitsch, dass eine 14-Jährige Philippina, die ein Kind geboren hatte, mit dem sie völlig überfordert war, dazu gebracht werden konnte, das Kind zu stillen und eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Die Mutter, selber noch Kind, war gegen eine Kuh regelrecht zur Ehe verkauft worden. „Da hat man ein Leben schützen können“, sagt Dr. Damjantschitsch.

Ein weiteres Beispiel: Eine junge Frau, schlank, aber Diabetikerin vom Typ I, bekam durch seine Hilfe erstmals eine für sie lebensnotwendige Insulinbehandlung. „Da haben wir jemandem wirklich helfen können“.

Ein wenig Fernweh bleibt

Indes, Langzeiteffekte seiner Arbeit hat Dr. Damjantschitsch wohl nicht erlebt; dafür waren die sechs Wochen zu kurz. Er hat Hunderte von Kindern untersucht und behandelt, viele bereits mit chronischen Atembeschwerden behaftet, weil dauerrauchende und dauerrußende Heizungen mit offenem Ofen die Lungen der Kleinkinder stark schädigen.

Nun ist Dr. Damjantschitsch wieder zurück, behandelt seine heimischen Patienten. Und er hat etwas mitgebracht, das er nur andeutet, das sich aber in seiner Person seither widerspiegelt und im Gespräch manifestiert.

Eine kleine Zufriedenheit, dass er medizinisch helfen und diesbezüglich kleine Mosaiksteinchen bewegen konnte. Und ein klein wenig Fernweh nach den Philippinen oder einem anderen Einsatzort, wo die „German Doctors“ aktiv sind.

Vielleicht braucht es ja den einen kleinen Zufall, der dem Leben des Menschen manchmal eine Wendung gibt …