Felix Brych im Interview
Er studierte in Regensburg, pfeift Bundesliga – und will auch mit 47 weitermachen

15.02.2023 | Stand 25.10.2023, 10:57 Uhr
Er entscheidet: Schiedsrichter Felix Brych lässt sich von Gesten wie des Bremers Leonardo Bittencourt nicht beeindrucken – und der Münchner will auch nächstes Jahr Bundesliga pfeifen. −Foto: Imago Images

Felix Brych (47) gehörte zu den besten Schiedsrichtern der Welt. Seine Fifa-Karriere hat er vor zwei Jahren beendet. Nach dieser Saison müsste er auch in der Bundesliga aus „Altersgründen“ aufhören – doch der Jurist, der in Regensburg studierte und bei Bundesverfassungsrichter Udo Steiner promovierte, will nicht von der Pfeife lassen. Im Interview spricht der Münchner über Freud und Leid eines Referees im Fußball.



Herr Brych, bei der WM in Katar wurde jüngst ein neues Phänomen offenkundig: Nicht nur ein einzelner Spieler bedrängt den Schiedsrichter, sondern gleich mehrere Kicker rücken ihm nah auf die Pelle?

Brych:Diese Form der Unsportlichkeit hat zugenommen, das „Anlaufen“ ist extremer geworden. Dabei geht die Stimmung ganz klar von den Spielern aus und wir Schiedsrichter müssen darauf reagieren und dies mit einer gelben Karte bestrafen.

Haben Sie keine Angst, wenn ein oder mehrere Spieler auf Sie losstürmen?

Brych:Nein, ich habe keine Angst, sonst wäre ich ja fehl am Platz. Und wenn ein Sergio Ramos so auf mich zuläuft, kriegt er auch Gelb.

Vielleicht wollte Sergio Ramos ja nur mit Ihnen über die Regeln und deren Auslegung parlieren?

Brych:Ich hatte zu Sergio Ramos über die ganzen Jahre ein richtig gutes Verhältnis. Es bringt trotzdem nichts, auf dem grünen Rasen mit den Schiedsrichtern über die Regeln zu diskutieren. Wir machen die Regeln ja nicht, meine Aufgabe ist es, auf dem Platz für Gerechtigkeit zu sorgen.

Nochmal zurück zu Herrn Ramos. Haben Sie in Champions-League-Spielen anders agiert und interagiert?

Brych:Ein Spiel in der europäischen Königsklasse hat für mich mit Vor- und Nachbereitung immer in Summe vier Tage lang gedauert. Zunächst habe ich mich intensiv auf die Partie, auf ihre Bedeutung, auf die Spieler beider Mannschaften vorbereitet. Und beim Warmmachen habe ich auf viele Faktoren und Einflüsse geachtet, etwa: Wie laufen die Mannschaften ein, welche Stimmung verbreitet das Publikum, wie verhalten sich die Trainer?

„Verhältnis zwischen Trainern und Schiedsrichtern ist nicht schlecht“

Champions League ist also für Schiedsrichter eine andere Liga?

Brych:Ganz klar, ich habe in der Champions League auch mit einer anderen Mimik agiert – auch zu meinem Schutz.

Kommt die Aggression auch von außen, also von den Trainern?

Brych:Die Zündschnur bei den Trainern in der Bundesliga ist kürzer geworden. Das Verhältnis zwischen Trainern und Schiedsrichtern ist dennoch nicht schlecht, aber wir müssen es immer wieder neu justieren und gemeinsam daran arbeiten.

Ist das denn ein Problem?

Brych:Eigentlich nicht, denn wenn ein Trainer Gelb-Rot erhält, ist dies nicht anders zu behandeln als eine Strafe für einen Spieler. In Deutschland wird dann medial gerne ein Fass aufgemacht und es werden große Schlagzeilen produziert. Dabei ist unter den Akteuren meist nach dem Spiel alles vergessen. Aber: Die DNA des Fußballs verändern die Vereine, die Trainer und die Spieler, nicht die Schiedsrichter.

Ist der VAR denn in jeder Situation bereit, oder meldet sich der „Kölner Keller“ erst bei einem Treffer oder einer kritischen Entscheidung?

Brych:Der Schiedsrichter steht in ständigem Kontakt mit dem Video Assist Center (VAC). Und der VAR und sein Team dort sind permanent am Ball.

Wie kann man sich das vorstellen?

Brych:Die Video-Assistenten haben einen Monitor mit dem Hauptbild der Führungs-Kamera und einen Split-Screen mit vier verschiedenen Kamera-Perspektiven. Das ist eine unglaubliche Konzentrationsleistung für alle Beteiligten über 90 Minuten.

Also kein entspannter Zeitvertreib oder ein gut bezahlter Nebenjob?

Brych:Ich checke als VAR dutzende Szenen, bin permanent fokussiert und muss schnell entscheiden. Da finde ich es despektierlich, wenn Fußball-Fans behaupten, „im Kölner Keller essen sie jetzt wieder Pizza“ – das ist grob unsportlich.

Aber jede strittige Szene lässt letztlich nicht immer klar und eindeutig analysieren darlegen?

Brych:Wichtig bei allem ist, dass der Schiedsrichter auf dem Platz entscheidet, er ist die zentrale Figur. Wenn ich pfeife und mir nicht sicher bin, schaue ich mir die Szene auf dem Monitor in der Review-Area an. Denn im Hochgeschwindigkeits-Fußball werden mittlerweile etwa einige Zweikämpfe so schnell geführt, dass ich auf dem Platz nicht eindeutig bewerten kann: War es ein Foul oder nicht?

Und Sie gehen zum Monitor?

Brych:Damit habe ich kein Problem, mir genügen meistens zwei bis drei verschiedene Kamera-Perspektiven, dann weiß ich Bescheid.

Umstrittene Handspiel-Regel: Wichtigstes Kriterium ist die Absicht

Beliebtes Reizthema sind Handspiele im Strafraum. Helfen Sie dem Leser mit einer kleinen Regelkunde: Was ist strafbar, was nicht?

Brych:Vergrößert ein Spieler durch eine Handbewegung seine Körperfläche, ist dies zu ahnden. Es sei denn, die Handbewegung steht im natürlichen Verhältnis zur restlichen Bewegung seines Körpers. Eindeutig ist die Sache, wenn sich der Arm über Schulterhöhe befindet, dort hat er nichts zu suchen. Wichtigstes Kriterium ist aber die Absicht des Spielers.

Es wäre ja schön, wenn den Fans im Stadion erklärt würde, warum ein Tor aberkannt wird. Aber soweit ist die Bundesliga ja noch nicht …

Brych:Es liegt nicht an DFB oder DFL, sondern an den Regelhütern beim IFAB und der FIFA, die dafür verantwortlich sind.

Bei der Klub-WM der Fifa werden die Entscheidungen durch Videobeweis erstmals den Fans im Stadion per Mikrofon und Lautsprecher erklärt – der richtige Weg?

Brych:Ich denke, wir werden die Erfahrungen der Fifa auswerten. Ob der Ton gestimmt hat, ob man den Schiedsrichter in einem vollen Stadion mit 60000 Zuschauern verstehen kann.

Mehr Gerechtigkeit durch VAR? „Ganz klar: Ja.“

Der VAR ist trotzdem integraler Bestandteil des Fußballs, in der Saison 2017/18 wurde er in der Bundesliga eingeführt? Hat dieses System den Fußball gerechter gemacht?

Brych:Wir korrigieren jedes Jahr über 100 Fehlentscheidungen in der Bundesliga durch den VAR – deshalb ist die Antwort ganz klar: Ja.

Trotzdem ist der Schiedsrichter der Chef auf dem Platz?

Brych:Absolut. Meine Aufgabe auf dem Platz ist es, Regeln durchzusetzen. Dabei folge ich einer Spiellinie, die ich früh im Spiel festlege. Daran muss ich mich orientieren und bei 50:50-Entscheidungen beide Mannschaften gleich behandeln. Im Laufe der Zeit habe ich viel gelernt, Erfahrungen gesammelt. Das hilft mir, damit ein Spiel nicht entgleitet.

Ist das schon passiert?

Brych:Ja, sicher ist mir auch schon ein Spiel entglitten.

Hat die Öffentlichkeit nach einem solchen Spiel das Recht, dass sich der Schiedsrichter dann vor laufender Kamera erklärt?

Brych:In der Bundesliga ist es so, dass über den Produktionsverantwortlichen der DFL nach dem Spiel in der Schiedsrichter-Kabine Anfragen zu Interviews gestellt werden. Ich kann mich zur Verfügung stellen, habe aber auch das Recht, diese Interviews abzulehnen, ich darf auch Nein sagen.

Was ist der Idealfall?

Brych:Das beste Spiel ist, wenn nach den 90 Minuten keiner etwas vom Schiedsrichter will. Vielleicht gibt es sogar Respekt und Anerkennung für die Leistung.

Es macht Ihnen offenbar Freude, denn Sie wollen auch in der nächsten Saison in der Bundesliga pfeifen, obwohl Sie nach der noch geltenden Alters-Regelung eigentlich aufhören müssten?

Brych:Wir müssen jetzt zunächst das aktuelle Urteil in dieser Angelegenheit auswerten. Der DFB hat mir jedoch schon angeboten, dass ich weiter pfeifen dürfte. Ich habe gegenüber der Sportlichen Leitung meine Bereitschaft erklärt, dass ich auch weiter pfeifen möchte. Aber keiner kann sagen, was in der nächsten Saison ist. Ich muss diese Saison zu Ende pfeifen, muss gesund bleiben und die Leistungstests bestehen. Ich fühle mich allerdings noch fit und deshalb habe ich gesagt, dass ich gerne weitermachen will.