Bulgarien
Es ist nicht alles Goldstrand, was glänzt

Seit die Türkei bei Urlaubern in Ungnade gefallen ist, boomt das Nachbarland – und seine Ferienzentren am Schwarzen Meer.

18.06.2017 | Stand 16.09.2023, 6:27 Uhr
Wolfgang Polte

Wie aus einem Karibik-Bilderbuch: ein mit Palmen aufgehübschter Beachclub am Sonnenstrand Bulgariens Fotos: Polte

Sonnenstrand? Von wegen. Strömender Regen fällt bei der Ankunft nach knapp dreistündigem Flug bei der Landung in Burgas vom Himmel. Doch schon am nächsten Morgen ist der Himmel strahlend blau und der Strand leuchtet – wie der Name dies verspricht. Nach einem noch etwas feuchten Mai liegt über der Slancev brjag (wörtlich übersetzt: Sonnenküste), wie Bulgariens größtes Badeziel bei den Einheimischen heißt, jetzt vier Monate lang ein Dauerhoch, das – so die Voraussagen – rund neun Millionen Urlauber genießen wollen. Das Land boomt, seitdem der Nachbar Türkei gemieden wird. Die meisten Gäste kommen aus Deutschland, England, den Benelux-Staaten, Russland und Polen.

Elf Kilometer lang ist der feine, goldgelbe Sand, an dem die Urlaubsorte am Schwarzen Meer liegen, dessen Wasser meistens silbern glänzt und manchmal türkis schimmert wie in der Karibik. Zum Beispiel am südlichen Ende vor der Bucht von Nessebar. Weit über 3000 Jahre alt ist das Städtchen, angeblich das schönste ganz Süd-Bulgariens mit engen, gepflasterten Gassen und vielen restaurierten sogenannten Wiedergeburtshäusern. Ihr oberes Stockwerk ist aus dunkelbraunem Holz, das Erdgeschoss aus Stein. Oben wohnten früher die Besitzer, unten schliefen Vieh und lagerten Vorräte. Heute sind dort Boutiquen, kleine Restaurants, gemütliche Cafés und Bars zu finden.

Ein Hauch von Ibiza

Die ganze Altstadt ist Unesco-Weltkulturerbe und beliebtestes Nahziel der Sonnenstrand-Besucher. Alle 15 Minuten fahren Busse für 1,30 Leva (umgerechnet 66 Euro-Cent) von der langgestreckten Hotelzone in das romantische Städtchen, das hinter einem 400 Meter langen Damm beginnt. Davor liegen die Neustadt Nessebar und übergangslos die Ferienstadt Sonnenstrand. 1989 standen dort 108 Hotels und rund 130 Restaurants. Heute sind es über 800 Herbergen und unzählige Kneipen, Bars und Restaurants. Früher gab es Bons für das einfache Abendessen, meistens Hähnchen mit Kraut. Heute bieten fast alle Hotels „all inclusive“ mit Wein, Bier und riesigen Buffets an.

Die modernsten Hotels stehen hinter einer kleinen Grünzone und sanften Dünen. In den vergangenen vier Jahren wurden dort schicke Beachbars eröffnet und kleine Palmengärten angelegt. Ein Hauch von Ibiza ist zu spüren. Die Strände sind fast überall privat verpachtet. Weiße Liegestühle und Sonnenschirme warten auf Sonnenhungrige.

Je näher man dem Ortskern von Sonnenstrand kommt, desto mehr stolpert man aber noch immer über Reste aus sozialistischer Zeit: Bier- und Bratwurstbuden, billige Klamottenläden mit Designer-Fakes, Sexshops, Hotel-Hochhäuser. Die „Flowerstreet“ ist so etwas wie eine Ballermann-Meile, amüsant für einen Abendausflug oder für eine Partynacht. In dieser Fußgängerzone mischen sich auch die Urlauber aus Ost und West. Sie wohnen sonst, von den Reiseveranstaltern sanft gesteuert, nach Hotels getrennt. Die Westler schlafen eher in den kleineren, renovierten Häusern, die Osteuropäer in den Bettenburgen – all inclusive gibt es hier wie dort. Das verführt zum Kampftrinken und endet oft genug in Partys bis zum frühen Morgen.

Ähnlich geht es am zweiten wichtigen bulgarischen Urlaubsziel zu: Goldstrand, etwa drei Autostunden nördlich von Sonnenstrand, liegt landschaftlich schöner als das flache Sonnenküsten-Hinterland, vor einer parkähnlichen Steilhangzone an der die meisten Hotels stehen. Sie sind nicht so riesig wie viele Sonnenstrand-Paläste und verschwinden hinter Bäumen. Die neuesten Bauten, darunter auch Adults-only-Hotels, glänzen mit Glasfassaden. Von fast allen hat man einen herrlichen Blick auf die Küste und den Strand.

Buden, Bars und Ballermann

Dazwischen steppt der Bär. Was sich am Sonnenstrand auf fast zehn Kilometer erstreckt, drängt sich hier auf ein paar hundert Metern: Buden, Bars und Ballermann. Schon mittags prosten sich Männergruppen und Abiturientenschwärme zu. Sie haben Goldstrand zum Trendziel erwählt, weil dort alles erlaubt, billig und bunt ist.

Wer es ruhig haben will, bucht im 20 Autominuten entfernten Albena. Dort entstand 1968 ein Ort nur für Urlauber, vom Rest der Welt durch eine Schranke getrennt. In einem riesigen Wald- und Wiesengrundstück direkt hinter dem Meer wurden mehr als 40 Hotels und fünf Feriensiedlungen gebaut. Das Wasser gilt als besonders sauber (Blaue Flagge).

Pulsierende, charmante Großstadt mit rund 350 000 Einwohnern ist das nahe Varna, gleichzeitig Bulgariens größte Hafenstadt. Sie kann es an Flair und Charme durchaus mit westeuropäischen Metropolen aufnehmen und liegt auf dem gleich Breitengrad wie Nizza oder Monaco. Der Morska gradina (Meeresgarten) ist eine feine, riesige Bummel- und Flirtmeile mit Millionen Blumen und Tausenden Zypressen.

Größte Sehenswürdigkeit der Stadt ist die Kathedrale Hram Sveto Uspenie Bogorodicno, die Kathedrale Maria Himmelfahrt, mit goldenen Zwiebeltürmen, neobyzantinischen Fresken und beeindruckenden Ikonen. Sie wurde zwischen 1880 und 1888 nach dem Ende der osmanischen Herrschaft gebaut. Vom Glockenturm hat man die schönste Aussicht über Stadt und Meer. Allerdings ist der Aufstieg etwas mühsam: 133 Stufen. Entspannter lässt es sich durch die Fußgängerzone bummeln, die gleich schräg gegenüber der Kathedrale beginnt.

Grünes Hinterland

Dank seines ganzjährig milden Klimas ist die Stadt auch ein immer beliebter werdendes Winterziel. Das kann man von den Sonnenstrand-Orten nicht behaupten. Der September und die ersten Oktober-Wochen sind noch golden mit riesigen Sonnenblumenfeldern im Hinterland. Spätestens Ende Oktober schließen die meisten Hotels und Restaurants aber.

Allerdings sind diese letzten Wochen der Saison die beste Zeit für Ausflüge ins fast menschenleere Hinterland. Dorthin, in Richtung türkische Grenze, führt eine gut erhaltene Asphaltstraße. Schon nach zehn Minuten tauchen die ersten Storchennester auf. Millionen Zugvögel machen auf dem Flug Richtung Afrika Zwischenstopp im Naturreservat „Cengene Skele“ (Eintritt umgerechnet 2 Euro, im September an zwei Wochen frei). Dort kann man im Herbst und Frühjahr auch Nacht- und Purpurreiher, Flussseeschwalben, Kormorane und sogar Krauskopfpelikane sehen.

Ein Meer in Grün dehnt sich um die Dörfer aus, von denen viele wie ausgestorben sind. Nur ein paar Alte sitzen auf den Bänken vor ihren Häusern und bestaunen neugierig die Fremden. Früher war hier mal alles Militärzone – kommunistischer Hochsicherheitsbereich zum benachbarten Nato-Land Türkei.