NS-Zeit
„Euthanasie“-Morde gab es auch in Bayern

Moritz Fischer forschte über die Menschen, die in Ostbayern Opfer der nationalsozialistischen „Reinhaltung der Rasse“ wurden.

13.12.2018 | Stand 16.09.2023, 5:51 Uhr
Michaela Schabel

Das Bild zeigt den Abtransport von Pfleglingen 1940 vom Pflegeheim Ecksberg bei Mühldorf nach Eglfing-Haar. Darunter sind zwei Landshuter, die später in Hartheim bei Linz vergast wurden. Foto: Stiftung Ecksberg

Euthanasie in Landshut? Ja, es gab sie. 118 Menschen aus der Stadt und dem Landkreis wurden während Zeit des Nationalsozialismus ermordet, 439 Menschen sterilisiert, um die „Rasse reinzuhalten“. Der 23-jährige Landshuter Moritz Fischer, Student der Geschichtswissenschaften und Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, recherchierte drei Jahre lang im Auftrag der Stadt Landshut über die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde in Landshut.

In seiner Publikation „Zwangssterilisation und Euthanasie in Landshut“ bringt er ein ganz dunkles Kapital ostbayerischer Vergangenheit ins Bewusstsein, von der bürokratischen Erfassung der „Erbkranken“ über die Unterbringung in den Heil- und Pflegeanstalten in Mainkofen in Deggendorf, in Karthaus-Prüll, Regensburg, in Eglfing-Haar, München, bis zur Tötungsanstalt Hartheim/Linz.

606 Patienten vergast

Die Gesundheitsämter, ursprünglich ausgerichtet auf die Fürsorge der Bürger, wurden „zentrale Verfolgungsorgane der völkisch-biologistischen Diktatur“ mit dem Ziel, die ganze Bevölkerung erbbiologisch zu kontrollieren. Die Diagnose „angeborener Schwachsinn“ wurde der Anfang vom Untergang. Es handelte sich dabei nicht immer um eine Krankheit im eigentlichen Sinn, sondern um eine soziale Abweichung bürgerlicher Vorstellungen. Fehlende Schulbildung, Arbeitslosigkeit, Armut, Unordentlichkeit wurden als Krankheit und Gefährdung des Gemeinwohls erklärt.

Die Ärzte wurden zu Spionen des Systems, handelten in Niederbayern in der Regel gesetzestreu, ohne Handlungsspielräume zugunsten der Betroffenen auszunützen. Die Opfer hatten keinerlei Möglichkeit, sich gegen diese Diagnosen zu wehren. Ihre psychische Belastung ging bis zum Selbstmord.

Zwangssterilisationen wurden vorwiegend in der sozialen Unter- und Mittelschicht vollzogen. Betroffen waren vor allem gesellschaftlich integrierte Menschen, die meist einer Arbeit nachgingen und sich fortpflanzen konnten.

Dagegen mordete man im Rahmen der „Euthanasie“ sogenannte „Ballast-Existenzen“, Menschen, die nicht arbeiten konnten, schon länger in einer Anstalt waren, von den Pflegern als störend und deshalb als „lebensunwert“ eingestuft wurden. Es ging weniger darum, den „Volkskörper zu reinigen“, als einfach Kosten und Ressourcen im Krieg zu sparen.

1940 wurden die Patienten in Mainkofen in die reichsweite T4-Aktion einbezogen, bei der in sechs Vergasungsanlagen insgesamt mehr als 70 000 Menschen getötet wurden, darunter 606 Patienten von Mainkofen, die man in fünf Transporten vom Bahnhof Pankofen mit Schnellzugwägen der Deutschen Reichsbahn über die Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz brachte.

Erst als die Geheimhaltung nicht mehr gewährleistet werden konnte, wurde die T4-Aktion gestoppt. Man mordete im Rahmen des ein Jahr später erfolgten Hungerkost-Erlasses durch fleisch-, fett-, kohlenhydratlose Kost, Überdosierung von Medikamenten, Nichtbehandlung von Krankheiten und extreme Kälte in den Pflegeanstalten weiter.

Etwa 760 als „lebensunwerte“ eingestufte Menschen verhungerten allein in Mainkofen, davon 20 Frauen und 29 Männer aus Landshut. In Eglfing-Haar bei München wurde eigene „Hungerhäuser“ eingerichtet. In Karthaus-Prüll bei Regensburg dagegen wurde die Hungerkost zum Vorteil der Kranken nicht konsequent verabreicht.

Milde für die Täter

Viele Freisprüche und milde Strafen prägten die Prozesse der Strafverfolgung gegen die Verantwortlichen der „Euthanasie“-Morde. Als Paul Reiß, Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll, in Regensburg 1947 vor Gericht kam, waren die Akten verschollen. Hermann Pfannmüller, Direktor von Eglfing-Haar, wurde 1951 wegen Beihilfe zum Totschlag und gemeinschaftlich begangenen Totschlags zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Verantwortlichen der nationalsozialistischen Zwangssterilisation blieben unter Berufung auf ihre berufliche Gehorsamspflicht gegenüber straffrei.

Dass dieses Kapitel deutscher Vergangenheit in Niederbayern jetzt aufgearbeitet werden konnte, dankt Moritz Fischer vor allem dem Leitenden Direktor des Bezirksklinikums Mainkofen, Gerhard Schneider. Fischers Werk „Zwangssterilisation und Euthanasie“ in Landshut ist erschienen in der Schriftenreihe des Stadtarchivs Landshuts zur Zeitgeschichte, Archiv Landshut, 2018.

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