Glückwunsch
„Frau Doktor“ feiert 85. Geburtstag

Die Ärztin Dr. Susanne Lechner schrieb ein Stück Waldmünchner Stadt- und Medizingeschichte mit und bewies soziales wie auch politisches Engagement.

22.10.2013 | Stand 16.09.2023, 7:21 Uhr
Wulf Hiob

„Selber kaum fassen“ kann es Dr. Susanne Lechner, dass sie schon auf 85 Jahre zurückblicken kann.Foto: Hiob

Für viele Trenckstädter ist Dr. Susanne Lechner noch immer die „Frau Doktor“, auch wenn sie schon seit Jahren nicht mehr in der Praxis tätig ist. Heute feiert sie ihren 85. Geburtstag und das ist schwer zu glauben, wenn man ihr gegenübersitzt und mit ihr spricht.

„Mir geht es wirklich gut“, sagt sie im Gespräch mit dem Bayerwald-Echo-Reporter und der zweifelt keine Sekunde an ihren Worten. „Die Zahl ändert nichts“, fährt sie fort, „außer, dass ich schon 85 Jahre gelebt habe, und das kann ich selber kaum fassen“.

Den Begriff „Zeitzeugin“ hört sie weniger gern, als wir sie fragen, wie das denn damals so war in Waldmünchen, als sie kurz nach dem Krieg das erste Mal in den Böhmerwald gekommen ist, genauer gesagt zu Bekannten nach Untergrafenried „zum Sattessen“. Aber da war die gebürtige Jenaerin gerade frischgebackene Abiturientin und engagierte sich am städtischen Krankenhaus im Pflegedienst, um ihre Aussichten auf einen Medizin-Studienplatz zu erhöhen.

Das Studium nahm sie im Herbst 1949 in Würzburg auf, legte 1995 das Staatsexamen ab und promovierte. Im selben Jahr heiratet sie Dr. Michael Lechner, den Bruder des Leiters des Waldmünchner Krankenhauses, Dr. Mattias Lechner. Anschließend war sie an verschiedenen Krankenhäusern tätig, auch in Waldmünchen. Sie erinnert sich noch, dass sie damals auf Wunsch von Landrat Franz X. Hegerl das Gesundheitsamt übernehmen sollte, habe aber abgelehnt.

Lieber betreute sie nebenbei das Erholungsheim der Bundesbahn in Herzogau, das später von der Arbeiterwohlfahrt betrieben wurde und eine öffentliche Gastronomie besaß. Dort gab es die legendäre „Herzogauer Platte“ zum Sattessen, „am besten bei schönem Wetter auf der Terrasse mit wunderbarem Blick weit ins Land hinaus“, schwärmt die Jubilarin rückblickend. Heute befindet sich in dem Gebäude die Polizei-Hundeschule.

Praxisübernahme vom „Hias“

Zur „Frau Doktorin“ wurde dann Susanne Lechner endgültig, als Dr. Matthias Lechner im Jahr 1963 überraschend seine Praxis aufgab und seiner Schwägerin antrug, dort anzufangen. Daraufhin habe sie stundenweise Sprechstunden in der ehemaligen Lechner-Villa (heute Polizeistation) abgehalten. Schon bald darauf verlegte sie ihre Praxis in die „Linde“ am Marktplatz, die aber trotz eines Anbaues schnell zu klein wurde.

Dann bot sich ihr im Jahr 1972 die Chance, den Jackerlbräu gegenüber des Kindergartens zu kaufen, der sich im Besitz des früheren Landrats Franz X. Hegerl vom „Russenbräu“ in Tiefenbach befand. Anstatt das große Gebäude zu sanieren, entschied sie sich zum Abriss – sehr zum Wohlgefallen von Kindergarten-Leiterin Schwester Monhilda. Die hat ihr mit Blick auf die weniger rühmliche Vergangenheit des einstigen „Jackerlbäu“ als „Crazy-Alm“ und „Drei-Mäderl-Haus“ gesagt, dass sie nach einer Sanierung „drei Priester braucht, um das Haus auszuweihen“.

Dort entstand 1972 die Praxis in Bungalow-Bauweise und noch im selben Jahr hat Dr. Susanne Lechner als Lehrling Irmgard Scheuerer (heute Manner) eingestellt, die noch immer in der Praxis ihres Sohnes Michael tätig ist. Das 40-jährige Praxis- und Dienstjubiläum wurde vor einem Jahr gefeiert. Die „Frau Doktorin“ hat die Praxis geführt, bis sie mit 70 Jahren per Gesetz aufhören musste. Vorher hatte sie schon Sohn Michael mit aufgenommen, so dass der Betrieb nahtlos weiterging.

Abenteuerliche Patientenbesuche

Das läuft heute alles in geordneten Bahnen und ist mit der damaligen ärztlichen Versorgung nicht vergleichbar, erinnert sich Dr. Susanne Lechner. Als sie angefangen hat, gab es keinen Sonntags- oder Notdienst, jeder Arzt hatte seine Patienten jeden Tag und rund um die Uhr zu versorgen. Erste Erleichterung brachte ein riesiges Funkgerät, das einen Bereitschaftsdienst ermöglichte und beim Dienstwechsel zum Nachfolger geschleppt werden musste.

Das hatte den Nachteil, dass man auch des Nachts oder im Winter in Weiler oder Einöden gerufen werden konnte, wobei oft ein Treffpunkt mit einem „Einweiser“ vereinbart wurde, der die „Frau Doktorin“ zum Patienten geleitete. Ihr sei oft nicht wohl gewesen, nachts einen fremden Mann ins Auto steigen zu lassen, erzählt sie. Deshalb habe sie gern ihre beiden großen Schäferhunde mitgenommen. Die haben ihr Sicherheit gegeben, aber „in einem Fall hatte der Einweiser Riesenangst vor den Hunden und wurde auf dem Beifahrersitz immer kleiner“, schmunzelt sie noch heute. Als sie ihm nach der Behandlung anbot, ihn zur Apotheke nach Rötz zu fahren, habe er dankend abgelehnt – er gehe lieber zu Fuß.

22 Jahre im Stadtrat vertreten

Dr. Susanne Lechner hat sich nicht nur als Ärztin für die Menschen engagiert, von 1978 bis 2000 saß sie zudem fast vier Amtsperioden im Stadtrat für die Freien Wähler. Bei ihrer offiziellen Verabschiedung würdigte Bürgermeister Dieter Aumüller ihre Arbeit im Gremium, die vielen Bürgern zugutekam, weil sie deren Anliegen nicht mit großen Tamtam über den Ratstisch, sondern lieber über den Bürodienst des Bürgermeisters oder der Verwaltung vorbrachte.

Sozial engagiert hat sich Dr. Susanne Lechner auch 1986 nach der Reaktorkatastrofe in der Urkraine für die Kinder-Krebshilfe Tschernobyl. Dazu hat sie persönlich ein Krankenhaus in Kiew besucht und war erschrocken: „Da sah es entsetzlich aus“.

Engagement für Kinder-Krebshilfe

Damals hat sie Sachspenden von Waldmünchner Firmen gesammelt und in die Ukraine weitergeleitet. Das habe die Lage verbessert, heute würden hauptsächlich Geldspenden für spezielle Behandlungen oder Medikamente gebraucht. Sie ist noch immer Mitglied im Verein Kinder-Krebshilfe Tschernobyl, eine Führungsdelegation aus München hat ihr in diesem Tagen schon die besten Glückwünsche überbracht.

Die wird sie heute an ihrem Geburtstag zu Hauf in ihrer Wohnung am Birkenweg 2 in Empfang nehmen können. Sie erwartet viele Freunde, Verwandte und Bekannte, obwohl sie nicht groß eingeladen hat. Von 9 bis 18 Uhr ist bei ihr „Tag des offenen Geburtstags – ich freue mich über jeden Gratulanten“, lächelt die „Dokterin“.

Dr. Susanne Lechner

Geboren am 23. Oktober 1928 in Jena, Thüringen

Abitur im Jahr 1949 auf einem Internat in Lippstadt

Medizinstudium von 1949 bis 1955 in Würzburg

Praxisübernahme von Dr.Matthias Lechner im Jahr 1963 und Umzug in die „Linde“ am Marktplatz

Neubau der Praxis anstelle des „Jackerlbräu“ im Jahr 1972

Übergabe an Sohn Michael 1998 (wh)